Muscheljagd durch die Wüste

Immer wenn El Niño dem Klima Perus zusetzt, beginnt das Wettrennen der Glücksritter um eine seltene Muschel

Mit der aufsteigenden Sonne kommen immer mehr Autos, Busse und Lastwagen durch die Wüste zu dem kleinen Hafen in der Independencia-Bucht, gut 250 Kilometer südlich von Lima. Hier ankern die hochwandigen, bunten Holzboote der Tauchfischer, rund 70 Schiffe normalerweise. Doch nun liegen sie dicht an dicht, über 600, denn es herrscht „El Niño“, jenes Klimaphänomen, das alle paar Jahre Winde und Meeresströmungen an der Pazifikküste aus ihrer Bahn wirft.

Die kleine Stadt Pisco, zwei Autostunden von der Bucht entfernt, ist die Heimat der meisten Tauchfischer von Peru. An der Plaza de Armas, dem Zentrum, schauen sich die Kolonialgebäude gegenseitig auf die bröckelnden Fassaden. Die spanischen Eroberer gaben der Stadt das Gesicht und den Namen. Sie versuchten, im Wüstenklima Wein zu keltern, doch es entstand ein klarer Traubenschnaps, der „Pisco“. Bis heute ist er das peruanische Nationalgetränk. Mit ihm ertränken die Fischer die Angst vor ihrer Arbeit, dem Meer und der Geldnot.

Seit 3000 Jahren leben Menschen in der rauhen Landschaft. Nur an wenigen Stellen gibt es Süßwasser, kaum eine Kulturpflanze überlebt die sengende Sonne des Tages und die klirrende Kälte der Nacht. Doch die Küstenwüste liegt am Rande eines der reichsten Fischgründe der Welt. Grund dafür ist der kalte Humboldtstrom. Auf seinem Weg von der Antarktis entlang der südamerikanischen Pazifikküste, 200 Meter unter der Wasseroberfläche, stößt er auf die Küste von Peru.

In Äquatornähe biegt er nach Westen ab. Die stetigen Passatwinde aus südöstlicher Richtung treiben das Oberflächenwasser auf den Pazifik hinaus und lassen so einen Sog entstehen, der das kalte und nährstoffreiche Wasser aus der Tiefe in die lichtdurchfluteten oberen Schichten holt.

Dort wächst eine riesige, schwebende Wasserweide, das Phytoplankton. Die mikroskopisch kleinen Algen nähren große Schwärme von Sardellen und Sardinen, die Peru zu einem der führenden Fischereiländer machen. Von diesen Schwärmen leben aber auch Delfine, Haie und Schildkröten. Die riesigen Bestände der Meeresvögel und die Herden der Seelöwen bestimmen das Bild der Küste und der vorgelagerten Inseln.

Es herrscht Goldgräberstimmung in dem sonst langweiligen Städtchen Pisco. Grund dafür ist die Fächermuschel „Concha de abenico“, eine begehrte Delikatesse, die nur alle paar Jahre, nach „El Niño“, in Massen vorkommt. Seit Menschen hier leben, sammeln sie diese Tiere vom Meeresboden. Schon die Inka-Fürsten ließen sich die Leckerbissen von ihren schnellen Läufern in die Anden bringen. Die purpurfarbenen Muschelschalen zierten ihre Gewänder. In beinahe jedem Grab finden die Archäologen die handgroßen Schalen.

Heute genießen die Menschen weit über die Grenzen Perus hinaus das süßliche Muschelfleisch. Es wird in die USA, nach Kanada und Europa exportiert. In einem guten Muscheljahr verdienen die Tauchfischer viel Geld, mit einer Arbeit, die ihnen sonst kaum das Überleben sichert. Fremde Fischer, Arbeiter und Tagelöhner, die sich ihren Anteil am Reichtum des Meeres sichern wollen, bevölkern den sonst so beschaulichen Ort.

Die flachen, unverputzten Häuser der Tauchfischer liegen am Rand der Stadt, umgeben von Wüste. Hier türmen sich Haufen leerer Muschelschalen, und über allem hängt der Gestank von verwesendem Muschelfleisch. Wenn die Männer nicht fischen, sitzen sie in den kleinen Bars, in denen es auch Brot, Bier und Kaugummis zu kaufen gibt. Oder sie spielen Fußball, eine Straße gegen die nächste, die Jungs und Männer einer Familie gegen die der anderen. Denn zu Hause ist die Frau, und die scheucht sie aus dem Haus.

Die Arbeit der Taucher ist hart und gefährlich. Früh geht es in dem noch dunklen Hafen von Pisco los, wo die Männer sich an kleinen Ständen mit Proviant eindecken und ihr Gepäck in alten Lastwagen verstauen. Auch Juan Mendoza, der seit 30 Jahren taucht, ist mit seinen Brüdern und einem Nachbarn dabei. Der Fahrer eines uralten Chevrolets stopft die Sachen der Fischer in den Wagen. Kaum einer hat ein eigenes Auto. Sie teilen sich den Preis für die Fahrt quer durch die Wüste zu den reichen Muschelbänken der Independencia-Bucht.

Ein großer Teil der schwarzen Bevölkerung Perus lebt in diesem Landstrich. Aus Afrika verschleppten die Großgrundbesitzer die Menschen hierher, um sie auf ihren Baumwollfeldern in den Flusstälern arbeiten zu lassen. Heute ist jeder Zweite arbeitslos. Das Einkommen der übrigen ist niedrig. Sie leben vom Fischfang, sie tauchen nach Muscheln und Kraken, oder sie haben einen Job in den großen Fischmehlfabriken am Rande der Stadt. Andere, die zu jung oder zu alt für den harten Broterwerb auf dem Meer sind, versuchen als Schuhputzer, Tagelöhner oder Bettler zu überleben.


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mare No. 23

No. 23Dezember 2000 / Januar 2001

Von Verena Rademaker-Wolff und Ed Kashi

Verena Rademaker-Wolff, geboren 1966, ist Meeresbiologin und lebt als freie Journalistin in Worpswede bei Bremen. Dies ist ihr erster Beitrag für mare.

Ed Kashi, Jahrgang 1957, lebt als freier Fotograf in San Francisco. In mare No. 18 erschienen seine Bilder vom Austernfestival im irischen Clarenbridge

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Vita Verena Rademaker-Wolff, geboren 1966, ist Meeresbiologin und lebt als freie Journalistin in Worpswede bei Bremen. Dies ist ihr erster Beitrag für mare.

Ed Kashi, Jahrgang 1957, lebt als freier Fotograf in San Francisco. In mare No. 18 erschienen seine Bilder vom Austernfestival im irischen Clarenbridge
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Vita Verena Rademaker-Wolff, geboren 1966, ist Meeresbiologin und lebt als freie Journalistin in Worpswede bei Bremen. Dies ist ihr erster Beitrag für mare.

Ed Kashi, Jahrgang 1957, lebt als freier Fotograf in San Francisco. In mare No. 18 erschienen seine Bilder vom Austernfestival im irischen Clarenbridge
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