Muschelfleisch

Die Muschel als Symbol sexueller Verführung

Ein Wunderweib, schaumgeboren. Wassertropfen auf der gebräunten Haut. Mit nichts als einem unverschämt kleinen Bikini am üppigen Leib entsteigt Ursula Andress dem Meer. Streicht sich mit einer einzigen, langsam fließenden Bewegung das feuchte Blondhaar aus dem Gesicht. In der Hand hält sie Schnecken, groß und schimmernd. Und sofort ist es da. Das Bild von Schenkeln und Hautfalten, Öffnungen und fleischlichen Höhlen.

Erst das feuchte Accessoire macht aus der Schauspielerin eine moderne Aphrodite. Verführerisch sieht sie aus, sexy und doch unschuldig. Eine Heilige im Körper eines Silikonwunders. Die traumhafte Szene am Meer ist der erste Auftritt der Andress als Honey im James-Bond-Klassiker „Dr. No“. Und diese paar Schritte aus den Wellen, direkt in die Arme von Geheimagent 007, haben sie zur Körperlegende der Leinwand gemacht. Das erste Bond-Girl aller Zeiten war eine Venus der 60er Jahre.

Das Original entstieg 1484 den Fluten und betrat die Männerträume des ausgehenden 15. Jahrhunderts. Auch sie eine Liebesgöttin, die durch eine Männerphantasie entstand. Sinnlich und keusch zugleich hat Sandro Botticelli die „Geburt der Venus“ im Zeichen der Muschel gemalt. Auf einem Muschelschiff ließ er die blonde Göttin nackt auf den Wellen treiben. Züchtig bedeckt sie mit ihrem langen Haar den Schoß. Das Geschlecht blieb im verborgenen. Allzuviel Fleisch vertrug der Geschmack der damaligen Zeit nicht. Was Botticelli nicht offenbaren konnte, nicht malen durfte, präsentierte er als Sinnbild: Die weichgerundete Muschelschale, auf der die Venus steht, suggeriert ihren verborgenen Schoß. Die Erotik offenbart sich erst auf den zweiten Blick.

Ein halbes Jahrtausend und die sexuelle Revolution trennen die Venus und das Bond-Girl. Im Zeitalter von FKK und Pornokabinen hat der Körper seine Scham verloren. Doch noch immer gibt es für das weibliche Geschlecht Sinnbilder, die es seit Hunderten von Jahren repräsentieren. Sinnbilder, die von Männern für den Frauenkörper erschaffen wurden und ihn im Dienste visueller Stimulanz definierten.

Wie das Wasser, wird auch die Muschel dem Symbolkreis des weiblichen zugeordnet. Und auch die Form der Conch, mit ihren Tiefen und Rillen, Farbspielen und ihrem dunklen Inneren dient als vielversprechendes Bild. Maskulines und Feminines vereint sich in ihr. Sie ist halb phallisch, halb Scheide. Äußeres und Inneres sind eine Einheit und doch nicht gleich.

Aus dem Wasser, dem Ursprung des Werdens, formt sich die Muschel, die für Fruchtbarkeit, Entstehung und Erneuerung des Lebens steht. Auch wenn sie in der christlichen Ikonographie an die Pilger erinnert, die Taufe und das Grab, aus dem der Mensch wieder auferstehen wird, dient sie doch hauptsächlich als Zeichen für die Frau. In der Antike, in Altjapan und in mitteleuropäischen Volksüberlieferungen verweisen die Gewächse aus dem Meer auf den jungfräulichen Frauenkörper. Die chinesische Kultur ordnet Muscheln dem Prinzip des Yin zu. Ein Körperteil wird so zum Symbol für Fruchtbarkeit, Erotik und Liebe – für die Hälfte der Menschheit.

„Weil aber eine schoosz der muschel bildnisz träget: glaub ich, dasz als zur welt die venus war gebracht, sie disz, woraus sie kam, zur frauenschosz gemacht“, vermerkt Grimms Wörterbuch unter dem Stichwort Muschel.

Ein Spaziergang am Strand verführt zu sinnlichen Gedankenspielen. Zwei Muschelhälften, die fast miteinander verschmolzen sind, nur durch einen Schlitz voneinander getrennt. Feuchtes Geheimnis im Verborgenen. Durch Wasser und Salz geglättete Rillen, die unter den Fingern zu Haut und Falten werden. Schimmernde Farben zwischen blassem Perlmutt und hellem Rot, die an pures Fleisch erinnern. Mulden und Öffnungen in den harten Schalen. Objekt des Begehrens, Moment der Defloration und Entkleidung. Aber in dieser fast körperlichen Schönheit offenbart sich auch ein Moment der Gefahr. Scharfe, schmale Kanten wirken wie Scheren und Messer und lassen an die größten aller männlichen Alpträume denken: Was verlockt und Lust verspricht, birgt die Angst des vom Weib Verschlungenwerdens, der Verwundung, der Kastration schon in sich.

„Die concha venerea hat ihren Namen wegen ihrer Schönheit erhalten, oder weil ihre Form dem weiblichen Schoss gleicht“, notierte der Arzt Ole Worm 1655, der seinen Geschlechtsgenossen als Aphrodisiakum auch gleich das gekochte Fleisch der Jakobsmuschel verschrieb. Der Volksmund liebte es dagegen deftiger. Venezianische Kaufleute nutzten lange Zeit den Begriff Porcella, das „Schweinchen“, als Vulgärausdruck für das weibliche Geschlecht und als Bezeichnung für Meermuscheln.

Zur Stimulanz während der Liebesnacht empfahlen sich die galanten Gedichte des Jahres 1704: „itzt wird sich gleich der süsze thau ergieszen. ach kind! ach schatz! thu deine muschel auf.“

Auch in der bildenden Kunst diente die geschwungene Form als erotisches Signet. Künstler des Barock, Rokoko und der Renaissance benutzten die mal asymmetrischen, mal regelmäßigen Reliefs als Masken für den weiblichen Körper und die fleischliche Lust. Doch auch für das Unbefleckte, das höchste aller weiblichen Ideale, die Frau in all ihrer Reinheit, steht die Muschel.


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mare No. 2

No. 2Juni / Juli 1997

Von Tanja Stidinger

Tanja Stidinger schrieb u.a. für taz, Spiegel und Berliner Zeitung. In mare no. 2 betrachtete sie die Muschel als Symbol sexueller Verführung.

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Vita Tanja Stidinger schrieb u.a. für taz, Spiegel und Berliner Zeitung. In mare no. 2 betrachtete sie die Muschel als Symbol sexueller Verführung.
Person Von Tanja Stidinger
Vita Tanja Stidinger schrieb u.a. für taz, Spiegel und Berliner Zeitung. In mare no. 2 betrachtete sie die Muschel als Symbol sexueller Verführung.
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