Mit Jesus übers Meer

Der christliche Jahreskalender lieferte Seefahrern die Namen für ihre Entdeckungen in aller Welt

So verschieden Europas Seemächte waren, die ab dem 15. Jahrhundert auf den Ozeanen segelten und die Welt unter sich aufteilten, so unterschiedlich Portugiesen, Spanier, Franzosen, Briten und Niederländer sprachen, aßen und feierten – eines an Bord war bei allen gleich: der christliche Kalender. In ihm waren penibel die Namenstage der Heiligen und die kirchlichen Feiertage verzeichnet. Wer immer ein neues Kap, eine unbekannte Bucht oder eine fremde Insel anlief und keine passende Bezeichnung zur Hand hatte, schlug schlicht das Kalendarium beim Tag der Entdeckung auf. Besonders die Lebensstationen Jesu ziehen sich wie ein roter Faden über die Weltkarte.

1.1.
Neujahr muss nicht Neujahr sein
Im Juli 1738 verließ Jean-Baptiste Charles Bouvet de Lozier mit zwei Fregatten die Gestade Frankreichs. Sein König Ludwig XV. hatte ihn beauftragt, den vermuteten Südkontinent zu entdecken. So kreuzte Bouvet de Lozier Ende des Jahres in der Kälte des Südatlantiks umher, das nächste bekannte Festland lag Hunderte Seemeilen entfernt. Endlich, am 1. Januar 1739, zeichnete sich im Nebel Land ab. Das musste die nördliche Spitze des erwarteten Erdteils sein!
Bouvet de Lozier dachte bei dem Datum jedoch nicht an Neujahr. Für ihn war es mit der Beschneidung Christi verknüpft, die laut Bibel am achten Tag nach Jesu Geburt stattgefunden hatte. Für einen gläubigen Katholiken der damaligen Zeit folgerichtig, taufte der Franzose das Land Cap de la Circoncision, Kap der Beschneidung.

Ein Dutzend Tage kreuzten die Segler gegen widrige Winde und erhofften den Landgang. Dem Kommandanten blieb schließlich eine Erkenntnis, die er dürr formulierte: „Die Küste ist sehr hoch, steil, mit Eis bedeckt und unzugänglich.“

Eine Generation später versuchte James Cook bei seiner zweiten Weltumsegelung, das Land erneut zu sichten. Vergeblich. Es müsse sich wohl um einen Eisberg gehandelt haben, so seine Einschätzung. Erst 1808 retteten zwei Walfänger die Ehre des Erstentdeckers, indem sie das Kap der Beschneidung exakt lokalisierten: am Schnittpunkt von 54° 25' Süd und 3° 21' Ost.
Später wurde es als Insel erkannt, in Bouvetinsel umbenannt und 1930 zu Norwegen geschlagen. Bis heute erinnert der Name eines Zipfels im Nordwesten an die Entdeckungsgeschichte: Kapp Circoncision.

6.1.
Trinkwasser bei den Heiligen Drei Königen
Nur fünf Tage im Kalender entfernt liegen die Three Kings Islands – wenn auch fast ein Jahrhundert Richtung Vergangenheit. 1642 war der Niederländer Abel Janszoon Tasman aufgebrochen, um der vagen Idee „Terra Australis Incognita“ Gestalt zu geben. Dabei erreichte er in weniger als einem Jahr als erster Europäer das später nach ihm benannte Tasmanien sowie Neuseeland, Tonga und Fidschi.

Neben diesen prominenten Punkten erscheinen die Three Kings Islands auf der Karte als Fliegendreck: Am 13. Dezember 1642 meldeten die Männer in den Mastkörben der beiden Schiffe „Heemskerck“ und „Zeehaen“ Land. Sie segelten direkt auf Neuseelands Südinsel zu. In den folgenden Tagen fuhr die Expedition an der Küste entlang. Rauchsäulen verrieten, dass dort Menschen lebten. Würden sie es zulassen, dass die Seeleute ihre Wasservorräte auffüllten? Sechs Tage später kam die Antwort: Ein Beiboot war zwischen den ankernden Schiffen unterwegs. Plötzlich schnellte ein Doppelkanu heran, in ihm 13 Maori, die in einem Handstreich vier der sieben Matrosen töteten. Unter dem Donner der Schiffskanonen floh Tasman den Ort und befehligte die Schiffe Richtung Norden.

Erst an der äußersten Spitze der Nordinsel wagte er den nächsten Ankerplatz. Trinkwasser erhofften sich die Männer auf einer vorgelagerten Insel. Zwölf Musketiere begleiteten die Ruderer, die ihrerseits Spieße und Säbel trugen. Allein, der Aufwand war umsonst – wie das Logbuch dokumentiert: „Der Steuermann berichtete, dass jeder Versuch einer Landung zu gefährlich sei. Überall in Ufernähe war das Meer gespickt mit Felsen, nirgendwo gab es sandigen Grund.“

Prompt ließ Tasman die Anker lichten und segelte fort, die Entbehrung und die Toten zu vergessen. Der Kalender zeigte den 6. Januar 1643, es war der Tag der Heiligen Drei Könige.

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mare No. 113

No. 113Dezember 2015 / Januar 2016

Von Dietmar Falk

Dietmar Falk, Jahrgang 1965 ist diplomierter Geograf und freier Autor in Berlin. Seine Faszination für die Epoche der Entdeckungen schlägt sich auch in den Texten für mare nieder. Skurrile Randaspekte haben es ihm besonders angetan: In Heft No. 107 schrieb er etwa über die Notnahrung für hungrige Seefahrer: Ratten.

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Vita Dietmar Falk, Jahrgang 1965 ist diplomierter Geograf und freier Autor in Berlin. Seine Faszination für die Epoche der Entdeckungen schlägt sich auch in den Texten für mare nieder. Skurrile Randaspekte haben es ihm besonders angetan: In Heft No. 107 schrieb er etwa über die Notnahrung für hungrige Seefahrer: Ratten.
Person Von Dietmar Falk
Vita Dietmar Falk, Jahrgang 1965 ist diplomierter Geograf und freier Autor in Berlin. Seine Faszination für die Epoche der Entdeckungen schlägt sich auch in den Texten für mare nieder. Skurrile Randaspekte haben es ihm besonders angetan: In Heft No. 107 schrieb er etwa über die Notnahrung für hungrige Seefahrer: Ratten.
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