Mehr Meer in die Pfanne

Spitzenköche entdecken die Vorzüge vom Kochen mit Meerwasser

Pierre Nippkow nimmt gern einen Schluck aus der Pulle. Mit einem leichten Schwung gießt der Spitzenkoch konzentriertes Meerwasser über zwei Makrelenfilets und legt Zitronengras hinzu. Die beiden Fischhälften baden jetzt vollständig in sogenanntem jus de mer. Die „Essenz des Meeres“ liefert ihm eine Firma aus den Niederlanden. „Die roh marinierte Makrele wird durch das hoch salzhaltige Meerwasser fester“, sagt der Küchenchef, dessen Restaurant „Ostseelounge“ in Dierhagen auf dem Darß mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet ist.

Fester heißt für Nippkow auch feiner. Und deshalb legt er nach dem Beizen den Fisch nochmals für eine kurze Zeit in den klaren jus de mer, „für den jodigen Geschmack des Meeres“.
Nippkow schaut aus seiner Küche direkt aufs Meer. Ein kurzer Spaziergang zum Strand, und er könnte sich frisches Ostseewasser schöpfen. Doch die Hygieneaufseher wären mit ihren Gesetzblättern wohl fast so schnell vor seiner Tür wie Nippkow zurück am Herd.

In aller Welt ist die regionale Küche höchst angesagt. Alles, was um die Ecke wächst, fließt, wuchert oder weidet, nehmen Spitzenköche gern für ihre Gerichte. Warum dann nicht auch Meerwasser? Vor allem die Köche an der Küste wollen diesen Kick für ihre Schöpfungen.
Bislang kreierten vor allem die deutschen Küchenmeister ihr Meer in der Retorte. In bestes Quellwasser rührten sie allerfeinste Fleur de sel, und fertig war der Salzblüten-Wasser-Shake. Aber dennoch waren sie ein wenig neidisch auf ihre Kollegen aus Skandinavien.

Denn die Nordeuropäer nehmen das Meerwasser tatsächlich bedenkenlos aus den Fluten der Fjorde. Das „Noma“ in Kopenhagen gart selbstverständlich seine Langusten in Meerwasser. Auch Thorsten Schmidt in Århus, gebürtiger Hesse und einer der besten Köche Dänemarks, verwendet es für seine Vorspeise „Meer-Sand-Seetang“. Er mariniert seine Austern mit Zitronensaft und Meerwasser und arrangiert die Muscheln mit diversen Algen neben Klecksen eines Mayonnaisequarks, den er mit der Zitronen-Meerwasser-Marinade anrührt. Das salzige Seewasser holt er aus dem Limfjord im nördlichen Jütland.

Das Menü in Meerwasser ist keine Erfindung der modernen Haute Cuisine. Auf der Kanareninsel Lanzarote wurden die berühmten papas arrugadas, ungeschälte Kartoffeln in Salzkruste, schon mit Atlantikwasser gekocht, als an Michelin-Sterne noch lange nicht zu denken war. Italiener ließen ihre Spaghetti und Makkaroni schon früher in Meerwasser ziehen, und für ein altes Rezept aus Kalabrien muss ein gefülltes Huhn im Ofen bei 180 Grad immer wieder mit Wasser aus dem Meer begossen werden, damit das Salz die Haut schön kross macht.

Den meisten Spitzenköchen fehlt allerdings eine Wasserstelle ihres Vertrauens. Ein findiger Brite wollte aus diesem Mangel schon vor sieben Jahren ein Geschäft machen. Aus der See nahe der schottischen Insel Berneray in den Äußeren Hebriden schöpfte er das Wasser, ließ es von Sand, Schmutz und Rost reinigen und füllte es ab – drei Liter für fast fünf Pfund, das sind gut sechs Euro. Das Produkt konnte sich in Supermärkten nicht durchsetzen.

Dass die Idee kein Schuss ins Wasser war, beweisen nun Niederländer. Das Meerwasser, das Pierre Nippkow an der Ostsee für seine Marinade nimmt, stammt aus dem Nationalpark Oosterschelde in der Provinz Zeeland. Am tiefsten Punkt der Oosterschelde pumpt die Firma Aqua Divina das Wasser hinauf und reinigt es erst von Algen und Schmutz, anschließend mit Biofiltern und Saugern von aufgeschäumten Proteinen. Dann tötet UV-Licht eventuelle Keime, zuletzt wird seine Salinität von den natürlichen 3,5 auf 35 Prozent erhöht.

Der Clou des jus de mer sei das Konzentrat an Mineralien und Spurenelementen wie Kalium, Magnesium und Kalzium, sagt Thijs Wullems von Aqua Divina. Das bringe mehr Power und Würze, als wenn man nur schnell ein paar Salzflocken ins Wasser rieseln lässt.

Köche wie Stefan Neugebauer aus Deidesheim freuen sich über das abgepackte Meer. Der Chef im Sternerestaurant „Schwarzer Hahn“ serviert den jus de mer auch in einer Kombination in Grün, zusammen mit Gurke, Brokkoli und Apfel.


In Meeresessenz gebeizter Kabeljau mit Wildreis

Zutaten (für vier Personen)
600 g Kabeljauloins, 1 l Meeresessenz, 1 kg Nussbutter, 200 g Wildreis, 500 ml Frittieröl.

Zubereitung
Die Kabeljauloins portionieren und 10 bis 15 Minuten in Meerwasseressenz beizen, dann abtropfen lassen und bei 60 Grad 10 bis 15 Minuten in der Nussbutter konfieren. Wildreis und Öl in eine Auflaufform geben und so lange im 220 Grad heißen Backofen frittieren, bis die Körner platzen. Anschließend auf Krepppapier abtropfen lassen und servieren.
Die Essenz mit den Handelsnamen „Oosterschelder Culinair Water“ und „Aqua Divina Jus de mer“ ist online erhältlich.

mare No. 123

No. 123August / September 2017

Von Oliver Zelt und Hans Hansen

Oliver Zelt, Jahrgang 1965, arbeitet als Redakteur bei den "Tagesthemen" in Hamburg.

Hans Hansen lebt als freier Fotograf in Hamburg.

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Vita Oliver Zelt, Jahrgang 1965, arbeitet als Redakteur bei den "Tagesthemen" in Hamburg.

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