Mea culpa!

Ein Vierteljahrhundert Meeresjournalismus – neben allen erfreulichen Möglichkeiten und Erfolgen aber auch eine ozeanische Quelle für Fehler ­aller Art. Geständnisse und der Versuch einer Entschuldigung

Es war wieder eine jener Kopfgeburten. Wie wäre es, hieß es fröhlich bei einer Themenkonferenz zu unserer Jubiläumsausgabe, wenn wir „Pleiten, Pech und Pannen“ der 25 mare-Jahre zum Thema machen würden? Das werde uns doch zur Ehre gereichen, zu Fehlern zu stehen beweise wahre Größe. Dazu fällt einem Textchef zwar eine Menge ein. Nur: Gleich so viel Größe zu zeigen sei vielleicht ein wenig eitel, versuchte er einen zarten Einspruch, too little, too late. 

Unsere Pannen. Manche waren derart verstörend, dass eine gnädige Amnesie sie ins Unterbewusstsein verschob, einige schienen wie ein scharfer Papierschnitt im Finger nie heilen zu wollen, anderen wiederum konnten wir mit Abstand sogar etwas Komisches abgewinnen. Aber für alle gilt: Wir bedauern sie sehr. Es rührt an unser Berufs­ethos, auch an die emotionale Bindung zu unserer Arbeit.

Und herrje, was haben wir in den 25 Jahren unseres Bestehens an Böcken geschossen, wie jeder in den „Errata“ der Leser­brief­rubrik lesen kann (und unseren sich daran anschließenden zerknirschten Entschuldigungen). Die Klassiker: Ost und West verwechseln (merkwürdigerweise nie Nord und Süd), analog dazu Backbord und Steuerbord. Ein Fehler kam wie ein böser Running Gag mehrfach vor: die „Sauerstoff­flasche“, die „Pressluftflasche“ heißen muss. (Es gibt in der Redaktion nur einen Taucher, den Chefredakteur. Er wird nicht müde, uns darüber aufzuklären.)

Ein weites Feld für Fehler ist die Geografie, etwa Nord- mit Ostfriesischen Inseln vertauschen, die Tierwelt ein noch größeres: Wir verfrachteten Pinguine in die Arktis und Eisbären in die Antarktis. Historische Details, Entfernun­gen, Daten und Maße sind eine Crux. Und die Bilder erst: Wir vergaßen schützende Augenbalken, hielten Sturm­vögel für Möwen, ein Kreuzfahrtschiff für eine Mega­yacht und wähn­ten überlebende Bootsflüchtlinge als tot.

Es irrt der Mensch, so lang er strebt. Die wissenschaftliche Bibliothek zum Thema Irren ist lang. Sie lässt sich in einige schlichte Sätze fassen: Wo gehobelt wird, fallen Späne. Konzentration ist tagesformabhängig. Der Fehlerteufel existiert. Eine amerikanische Redensart ist da harscher: Zweimal denselben Fehler zu machen ist die Definition von Wahnsinn. Nur Philosophen sind gnädig: Irren ist menschlich. 

Reden wir von unseren Fehlern, müssen wir ihre Art unterscheiden: sachliche oder moralische? Bei Letzteren sind Sie am Zug. Ohne Ihr Vertrauen in ­unsere Redlichkeit können wir Ihnen keine Story, keine Information sinnvoll vermitteln. Natürlich ist Aufrichtigkeit nicht dasselbe wie Wahrheit. Aber Desinforma­tion verlangt böse Absichten. Das müssen wir derzeit auf schreckliche Weise erfahren.

Bei den sachlichen Fehlern geht es um Fragen von Kompetenz und Handwerk, um den „Humanfaktor“. Artikel, die bei mare entstehen, sind in dieser Hinsicht gut gerüstet. Viele Fehler entstehen aber außerhalb der Redak­tion: in seriösen Datenbanken und Bildagenturen, die uns versehentlich fehlerhafte Informationen senden. Wir können uns zwar kein Dokumentationsressort leis­ten (was kaum vor vorsätzlicher Irreführung schützt); aber für uns gilt das vergleichsweise aufwendige Acht-Augen-Prinzip, das heißt, dass mindestens vier Personen Texte und Bildinformationen auf Fehler überprüfen.

Vor dem vielleicht größten Fehler hat uns unser Alarmsystem zum Glück geschützt. 2011 bot uns ein Autor namens Claas Relotius eine Reportage aus Nor­wegen an. Wir lehnten ab, aus Gründen. Eine Schweizer Zeitung brachte die Geschichte und musste sich später dafür entschuldigen. Eine Hauptfigur war frei erfunden. 

mare No. 151

mare No. 151April / Mai 2022

Von Karl Spurzem

Karl Spurzem, Jahrgang 1959, ist Textchef bei mare.

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Vita Karl Spurzem, Jahrgang 1959, ist Textchef bei mare.
Person Von Karl Spurzem
Vita Karl Spurzem, Jahrgang 1959, ist Textchef bei mare.
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