In Zeiten des zunehmenden Lichts
Eine Küste, ihre Geschichte und ihre Darsteller: Zwei Bildbände zeigen szenische und gesellschaftliche Facetten der französischen Riviera
Bücher über die Côte d’Azur erscheinen am laufenden Band – jüngst aber kamen zwei Werke hinzu, die sowohl ästhetisch als auch in dokumentarischer Hinsicht herausstechen.
In „Light on the Riviera“ erzählen die Galeristin Geneviève Janvrin und die Fotografieexpertin Sophie Wright zunächst die Geschichte der Region anhand dessen, wie sie fotografisch festgehalten wurde. Chronologisch penibel beginnt ihr opulenter Bildband mit noch recht dunklen Ansichten von Cannes und seinem Umland aus den 1850er- und 1860er-Jahren, meist vom Franzosen Charles Nègre. Als die Riviera im 20. Jahrhundert nach und nach zum Hotspot für die Reichen und Berühmten wird, ändern sich auch Charakter und Motive der Bilder, von Naturaufnahmen hin zum Casino in Monte Carlo oder dem Hafen von Saint-Tropez.
Obwohl Orte wie diese die Côte d’Azur fortan prägen und zur Weltmarke machen, hält das Buch immer wieder auch Szenen aus dem Alltag „normaler“ Menschen bereit, ungestellt in pittoresken Dörfern, Cafés oder beim Picknick auf den Îles de Lérins; die schönsten Stücke darunter zeigen die Blumenernte in Grasse, eine Lavendeldestillerie oder die Töpfer von Vallauris bei der Arbeit.
Auf den Bildern ab den 1950ern, etwa von Robert Capa, Man Ray oder Dora Maar, folgen wiederum illustre Riviera-Gäste aus Film und Musik oder die Künstler, die sich dort niederließen, allen voran der darbietungsfreudige Picasso. Als Konstante strahlt durch die Jahre und Jahrzehnte hinweg selbst aus jedem Schwarz-Weiß-Foto das unverwechselbare Licht der Côte d’Azur heraus, und sei es gespiegelt in einer Pfütze auf der regennassen Croisette. Der Band, der letztlich zur echten Chronik avanciert, verzichtet durchgängig auf Bildbearbeitung, um das jeweilige Zeitgefühl zu transportieren, und endet mit modernen Werken, darunter von Helmut Newton.
Dessen Zeit in Südfrankreich und somit der „Riviera in Hochglanz“ widmet sich unterdessen das Buch des Direktors der Newton Foundation Matthias Harder und des Kunstautors Guillaume de Sardes, „Newton, Riviera“. Newton kaufte 1964 ein Haus in Ramatuelle, zog später nach Monaco und nutzte die Riviera als Location für seine Arbeiten bis in die 1990er. Auf einen Textteil folgen – gefühlt erschließend – seine Porträts von Prominenten an der blauen Küste, von Cindy Crawford über Luciano Pavarotti bis zu Prinzessin Caroline. Newtons Akte werden derweil nicht wie in seinem sonstigen Werk von den Spannungsfeldern zwischen Freiheit, Provokation und Voyeurismus bestimmt, vielmehr leben sie von Andeutungen, sind sanfter und spielerischer; seine Bilder von den Filmfestspielen in Cannes sind fast touristisch. Vielen Bildern wohnt ein Widerspruch von Inszenierung und Privatem inne, zudem ist oft nicht klar, ob das Model oder der Ort im Mittelpunkt steht.
Das Buch, das so mit überraschenden Blickfängen aufwartet, endet mit verschwommenen Landschaftspanoramen – und der Erkenntnis, dass selbst Helmut Newton zuweilen einfach das funkelnde Meer fotografierte. Stephan Sura
Geneviève Janvrin, Sophie Wright: „Light on the Riviera. Photography of the Côte d’Azur“, Englisch, Französisch, Deutsch, TeNeues, Düsseldorf, 2022, 256 Seiten mit mehr als 250 Farb- und Schwarz-Weiß-Fotografien, 60 Euro
Matthias Harder, Guillaume de Sardes: „Newton, Riviera“, englische Ausgabe, Prestel, München, 2022, 352 Seiten mit 150 Farb- und 150 Schwarz-Weiß-Fotografien, 39 Euro
Menschen, die als Instrumente dienen
Der Franzose Joseph Ponthus schildert seine Erfahrungen in der Fischverarbeitungsindustrie. Es sind prekäre Umstände
Joseph Pontus, geboren 1978 in Reims, studierte Literatur und Soziale Arbeit und war anschließend als Sozialarbeiter in Vororten von Paris tätig. Als er 2015 in die Bretagne zog und dort in seinem eigentlichen Beruf keinen Job fand, heuerte er bei einer Zeitarbeitsfirma an, die ihn in Fischfabriken und Schlachthöfen einsetzte. In „Am laufenden Band“ beschreibt Ponthus nicht nur dortige Betriebsabläufe, sondern vor allem die Primitivität der Arbeit – und was dies mit dem menschlichen Gemüt anstellt.
Sachlich, nach und nach aber doch von seinen Emotionen ergriffen, schildert er den Werdegang als Fließbandarbeiter. In der Fischfabrik pult er zuerst Garnelen, wird dann zum Frischfrisch versetzt, zur Panierstation, zum Abtrocknen von Tofu und schließlich zum Schneckensortieren. Schon nach kurzer Zeit wecken die Schwere und Monotonie der Arbeit in der dauerkalten Umgebung bei ihm das Bedürfnis, die Gegebenheiten festzuhalten; gleichzeitig setzen bereits früh Erschöpfung, Zermürbung und ein langsamer Schwund von Lebenslust ein, die alsbald auch auf das Privatleben übergreifen. Später wechselt der Autor als Putzkraft in einen Schlachthof, wo ihm im Angesicht der Zerlegehallen, notwendiger Gasmasken und Unmengen an Tierkot die Arbeit mit den Fischen fast romantisch erscheint. Trotz der Gräuel und des Tierleids setzt jedoch allmählich wieder die Abstumpfung ein, sodass er selbst dort einfach nur noch seine Arbeit verrichtet.
Nicht weniger eindringlich als die Beschreibungen der Um- und Missstände in den Fabriken ist sein Zeugnis von der Zeitarbeitsbranche. Ponthus zeigt einen Mikrokosmos sozialer Außenposten, in dem Menschen als Instrumente dienen und nützlich sind, solange sie zwei Arme haben. Quasi täglich treibt ihn die Unsicherheit darüber, wie lange der aktuelle Einsatz andauert, ganz zu schweigen von den Belastungen der Schichtarbeit mit zu wenig Schlaf, schlechtem Kaffee und kurzfristigen, vermeintlich arbeitsrechtswidrigen Dienstplanänderungen; die resultierenden Strapazen pointiert er mit der Erkenntnis, dass der Feierabend kein solcher mehr ist. Nebenbei zeichnet er ein einfühlsames Bild der anderen Arbeiter am Band, für die ein wenig frische Luft, eine Zigarette und ein kurzer Blick aufs Handy schon das Paradies darstellen.
Das in Frankreich mehrfach ausgezeichnete Buch ist zwar mit „Roman“ betitelt, gleicht aber mehr einem Protokoll, in dem Ponthus seine Erlebnisse und Empfindungen ohne Punktsetzung und wie im Akkord niederlegt, während der Rhythmus des Texts den Takt der Tagesabläufe und Arbeitsschritte anzunehmen scheint. Immer wieder sucht der Autor literarische Assoziationen, gerade bei den anspruchslosesten und widerlichsten Arbeiten, zur Ablenkung, aber wohl auch, um geistig nicht zu verfallen. Dann und wann findet er in Schufterei sogar ein Quäntchen Glück, etwas Existenzielles in der gesellschaftlichen Parallelwelt der Fabrik.
„Mögen meine Garnelen und meine Fische meine Steine sein“, proklamiert er in Anlehnung an eine Parabel von Paul Claudel – bis ihn die Arbeitsrealität wieder unverzüglich übermannt. Im Februar 2021 starb Joseph Ponthus an Krebs. Stephan Sura
Joseph Ponthus: „Am laufenden Band. Aufzeichnungen aus der Fabrik“, aus dem Französischen von Mira Lina Simon und Claudia Hamm, Matthes & Seitz, Berlin, 2021, 239 Seiten, 22 Euro
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