Ein Bild von einem Kraken
Keiner fotografiert die eigenwillige Schönheit von Meereswesen so konsequent ästhetisierend wie der US-Amerikaner David Liittschwager
Er hat so einiges zu schleppen. Wenn David Liittschwager unterwegs ist, um bleiche Mondquallen, weiße Kraken oder dornige Seepferdchen zu fotografieren, dann hat er 225 Kilogramm Gepäck dabei. Verstaut in zwölf Koffern.
Liittschwager ist freiberuflicher Fotograf und arbeitet für „National Geographic“ und andere Magazine. In seinem neuen Buch zeigt er auf 189 Fotografien drei Arten von Meereswesen in atemberaubend schöner Weise. Quallen mit blaugrün leuchtender Biolumineszenz oder als ätherische Wesen, Oktopusse in akrobatisch anmutenden Verschlingungen oder stolz erhabene Seepferdchen.
In zahlreichen Tauchgängen erforscht Liittschwager die Objekte für seine Kamera, doch die Aufnahmen stammen meist aus Aquarien, die er rund um die Welt besucht. Seine Meereswesen präsentiert er mit außergewöhnlicher Porträttechnik vor weißem Hintergrund. So aufgenommen erscheinen sie in ungeahnter Schönheit und manchmal in überraschenden Situationen. Einmal drückte er exakt bei der Geburt von Seepferdchen auf den Auslöser seiner Kamera. Und bannte so auf Bilder, wie die neu geborenen Winzlinge zu Hunderten aus dem dicken Bauch des Männchens quellen.
Während die Seepferdchen manchmal etwas erstarrt erscheinen, werden Quallen bei ihm zu hauchzarten, durchscheinenden, schwebenden Wesen. Kraken muten fast wie Kunstobjekte an, die dem Betrachter direkt ins Auge schauen. Sie winden ihre Tentakel um sich, breiten sie auf riesige Größe wachsend aus und legen sie schützend um winzige Tintenfischeier, in denen das Leben der neuen Generation schon zu ahnen ist. Und manchmal wechselt das gleiche Tier die Farbe von einer zu anderen.
Liittschwagers Buch verändert die Art und Weise, wie Meerestiere oft gesehen werden. Es sind eben keine ekligen Glibberwesen, keine mit Tentakeln um sich greifende gefährliche Kraken wie der Riesenkrake, der im Film „Fluch der Karibik“ den Piratenkapitän Jack Sparrow, gespielt von Johnny Depp, verschlingt.
Liittschwager erschafft so eine einzigartige und wundersame Verzauberung des Lebens im Meer. Seine Bilder sind ein gelungenes und überaus ästhetisches Zusammenspiel von Wissenschaft und Kunst, man könnte an Rachel Carson denken, der Ähnliches in ihren Meeresbüchern allein mit ihren Worten gelungen ist. Die Biologin kombinierte auf einzigartige Weise Poesie mit ihren Erkenntnissen und Beobachtungen, als sie beschrieb, wie Tausende der bleichen Mondqualle Aurelia schlängelnde Linien im Wasser erzeugen. Oder sich die Quallen namens Cyanea – von der Größe eines Fingerhuts bis zu der eines Regenschirms auswachsend – im Mittsommer rhythmisch pulsierend im Wasser fortbewegen.
Beide Arten finden sich auch in David Littschwagers Buch porträtiert. Auf einer Infografik ist außerdem eine regenschirm-große Qualle dargestellt, die mit ihren Nesselfäden deutlich länger als 36 Meter werden kann. Doch sie ist längst nicht die größte. Eine andere, rund doppelt so große, schwimmt rund um Japan, mit einem Gewicht von 200 Kilogramm. Zu jeder der drei Spezies gibt es eine solche Infografik und spannend geschriebene Texte der renommierten Wissenschaftsjournalistinnen Elizabeth Kolbert und Jennifer Holland und der Biologin Olivia Judson.
Doch noch ist nicht alles Wissen erschlossen. Es gibt mehr Unbekanntes
als Bekanntes über die Wesen im Meer, schreibt Liittschwager. Auch er werde manchmal überrascht und entdecke bei der Nachbearbeitung seiner Fotografien ihm Unbekanntes. Etwa dass eine sechs Millimeter kleine Ohrenqualle doch keine acht Augen hat. Als er genauer hinsah, entpuppten sich die dunklen Flecken als körpereigener Kompass, der der gehirnlosen Qualle nicht nur ansagt, wo oben und unten, sondern auch, wie spät es ist.
Ein wenig verrät Liittschwager über seine spezielle Fotografietechnik im Vorwort. Wie er diese verzaubernden Aufnahmen aber tatsächlich hinbekommt, bleibt sein Geheimnis. Das letzte Bild zeigt den Großen Blauen Kraken. Er sieht aus wie jemand, der die Arme übereinandergeschlagen und den Kopf darauf gelegt hat. Verdreht er etwa die Augen? Als wollte er sagen, habt euch nicht so, wir Meereswesen sind doch nichts Besonderes? Der Mensch aber blättert immer wieder von vorn und staunt und staunt. Katja Maria Engel
David Liittschwager: „Das geheime Leben von Oktopus, Seepferdchen und Qualle“, aus dem Enlischen von Susen Truffel-Reiff, National Geographic, München, 2022, 256 Seiten, 200 Abbildungen, 39,99 Euro
Tentakeltheorie
Ein gelungener Versuch, die Qualle in kluge Worte zu fassen
Im Science-Fiction-Film „Sphere“ wird eine von Queen Latifah gespielte Wissenschaftlerin auf einem Tauchgang von einer Horde Quallen angegriffen und getötet. Wer sich die kurze Szene auf YouTube anschaut und die Kommentare liest, weiß, warum Quallen auf die meisten Menschen bis heute unheimlich wirken. Samuel Hamen ist es zu danken, dass er in seinem Band in der Reihe „Naturkunden“ mit Klischees aufräumt und den Blick auf diese im wahrsten Sinn des Worts nicht so recht greifbaren Tiere auf eine solide Faktenbasis stellt. Dabei leistet der Autor ganze Arbeit, indem er die medialen Darstellungen der Qualle in der Populärkultur zeigt und mit der Historie der wissenschaftlichen Beschäftigung kontrastiert.
Auf beide Weisen wird deutlich, wie schwer die Gattung der Medusen zu fassen ist. Quallen entziehen sich fast allen gängigen Kategorien, mit denen wir Lebewesen beschreiben, und befeuern damit die Klischees, mit denen wir sie belegen.
Das wunderbar illustrierte Buch zeigt die Vielfalt der Quallen, erklärt, warum manche leuchten und welche Arten dem Menschen mit ihren Tentakeln tatsächlich gefährlich werden können. Im Anschluss an den allgemeinen Teil werden acht Quallenarten von der Nomuraqualle bis zur Portugiesischen Galeere einzeln porträtiert. Dabei erfährt man, wie eine Quallenart zur Verleihung des Chemienobelpreises beigetragen hat und dass man in 2000 Meter Tiefe auf Arten treffen kann, deren Durchmesser 1,50 Meter beträgt und die bis zu zehn Meter lange Tentakel besitzen. Carsten Tergast
Samuel Hamen: „Quallen“, Matthes & Seitz, Berlin, 2022, 143 Seiten, 20 Euro
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