Seht und fühlt unsere Pracht und Stärke
In einer kompositorisch facettenreichen Auswahl ist in Köln ein seltenes Konvolut niederländischer Seestücke zu sehen – vorwiegend Bilder eines Privatsammlers
Ruhig ist die Wasseroberfläche. Bewegungslos stehen die Wolken am pastelligen Himmel. Diesig zeichnet sich im Hintergrund die Silhouette der Stadt ab. Unterbrochen wird die Idylle nur durch den fast spürbaren Salutschuss einer stolzen Fregatte.
Schon das im Ausstellungsplakat gezeigte Gemälde von Willem Hermansz. van Diest, „Schiffe und Boote vor der -Küste von Dordrecht“, enthält die Kernelemente der niederländischen Marinemalerei des 16. und 17. Jahrhunderts, der die aktuelle Jahresschau im Kölner Wallraf-Richartz-Museum mit dem Titel „Poesie der See“ gewidmet ist: Authentizität, Huldigung, greifbare Spannung. Sämtliche -Bilder stammen aus der Privatsammlung eines Unternehmers, der von seinem Großvater und Vater nicht nur die Leidenschaft für das maritime Thema geerbt hat, sondern auch die ersten Werke.
Gegen Ende des 16. Jahrhunderts entwickelte sich die Marinemalerei in den Niederlanden als eigenständige Stilrichtung, beflügelt vom Aufstieg des kleinen Landes zur See- und Handelsmacht, der -allein auf Scharfsinn, Handwerkskunst und Fleiß beruhte – und daher noch -identitätsstiftender war als in den anderen zeitgenössischen Schifffahrtsnationen England, Spanien oder Portugal. Bestimmte Maler wie Jan Porcellis oder die Gebrüder Willaerts wurden durch ihre -exakten Wasser- und Schiffsdarstellungen zu Spezialisten für Seestücke.
Unter den immer zahlreicher werdenden Kaufleuten fanden sie mühelos Abnehmer für ihre Bilder; manche der nun in Köln ausgestellten Gemälde scheinen gar Auftragsarbeiten gewesen zu sein, in die beiläufig persönliche Hintergründe ihrer Besteller integriert wurden, etwa christliche Symbole, eine italienische Gon-del oder bestimmte Städte als Herkunftsindiz.
Hervorstechend ist indes das Hauptmotiv des Genres: die Präsentation der Überlegenheit und Pracht der niederländischen Seeflotte. In fast jedem Werk wird die technische und ästhetische Perfektion der Schiffe veranschaulicht, nicht profan durch opulente Porträts, sondern anhand ihrer Inszenierung in Alltagssituationen – bei der Einfahrt in einen Hafen, beim Verladen von Fracht oder beim -Heringsfang. Stets sind majestätisch die Segel gehisst, verschwenderisch wehen niederländische Flaggen, fast alle Schiffe sind von der Seite oder vom Heck aus zu sehen, wodurch der Blick auf die detailreichen Dekorierungen, die Kanonen oder die feine Takelage gelenkt wird. Wie nah die Kunst an der Wirklichkeit ist, illustriert ein aus dem Maritiem Museum -Rotterdam geliehenes Modell eines Zweideckers.
Oft sind mehrere von ihnen abgebildet, um die zahlenmäßige Stärke der Flotte anzudeuten, nicht selten befinden sie sich an exotischen Orten, um die geografische Einflusssphäre zu demonstrieren. Auch Sturmszenen strotzen nur so vor Durchsetzungsvermögen der Schiffe und bringen ein anderes kompositorisches Kolorit hinein, was schön durch die Unterbringung der Ausstellung im Fenstersaal der Barockabteilung des Wallraf-Richartz-Museums inklusive Blick auf den Dom flankiert wird, wo jeder äußere Wetterumschwung unmittelbar die Stimmung im Raum verändert. Dass es an Schlachtendarstellun-gen fehlt und stattdessen Werke über die friedvolle Binnenschifffahrt auftauchen, erzeugt abermals einen erfrischenden Kontrast und pointiert die unaufdringliche, doch selbstgewisse Vorführung des damaligen Wesens der Niederlande.
Potenzial für Poesie ergibt sich folglich schon aus den verschiedenen Panoramen: die tosende See als Sinnbild der Liebe, die Leistungsfähigkeit der Schiffe als staatsformende Kraft, die fernen Reisen für Heim- und Fernweh, die Gefahren auf den Weltmeeren für das barocke Vanitasmotiv.
Ein Buch des Dichters und Seemanns Elias Herckmans von 1634 mit der Geschichte der Seefahrt in Versen und herrlichen Illustrationen, darunter eine Radierung von Rembrandt, vollendet die Ausstellung – ihr Zauber aber liegt vor allem darin, dass sie die eigene Fantasie reisen und fabulieren lässt. Stephan Sura
Ausstellung: „Poesie der See. Niederländische Marinemalerei des Goldenen Zeitalters“, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln, bis 11. April 2021,Begleitheft mit 25 farbigen Abbildungen, 32 Seiten, 5 Euro
Bücklingspâté in Ahrenshoop
Kristine von Soden legt uns Ahrenshoop ans Herz. Die Soziologin tut dies kenntnisreich und mit viel Witz
Einmal soll er aufs Meer geschaut haben. Von oben, auf den Dünen stehend. Um gleich darauf an seine Schreibmaschine zurückzueilen. Viele Worte über seinen Ahrenshoop-Aufenthalt hat Bertolt Brecht nicht hinterlassen. Im Steyr-Cabriolet war er angerauscht, mit Anhang. Der Ostseeort soll sich zum „Bad der Kulturschaffenden“ mausern, zur kulturellen Kaderschmiede des realen Sozialismus werden, soll zunächst die heimkehrenden Exilanten wie ihn, Arnold Zweig, Anna Seghers oder Hanns Eisler binden. Aber die, die kommen, also höchst offiziell eingeladen werden, sonst geht das nicht, wollen meist lieber ausschlafen, gut essen, am Strand liegen.
Kristine von Soden erzählt diese Geschichte leicht belustigt, aber auch mit dem Verständnis der Kennerin. Ahrenshoop ist ihr vertraut, vom Frühling bis zum Herbst weilt sie hier, lädt zu literarischen Rundgängen ein, bietet eine Schreibwerkstatt an. Und hat nun mit „Ahrenshoop. Höchstpersönlich“ ein kluges, vielschichtiges und mäanderndes, weil durch die Epochen hüpfendes Ahrenshoop-Buch abgeliefert, das zu lesen schon sprachlich ein Genuss ist.
Dazu geht es zunächst zurück in die Anfangstage, als die Künstlerkolonie Ahrenshoop nahezu zeitgleich mit der Kolonie in Worpswede begründet wurde. Wir erfahren die Geschichte des Ahrenshooper Friedhofs, gegründet im November 1872 nach einer „Sturmfluth“, wie man damals noch schrieb. Sehr schön berichtet sie von der anfangs heimlichen Liebesgeschichte zwischen der Kunststudentin Julia Berg und dem Bauhäusler Lyonel Feininger, die je ihre ermüdete Ehe abschütteln werden und dafür im Sommer 1905 einen magischen Ort gut gebrauchen können. Wir schauen dem tief erschöpften Albert Einstein zu, wie er sich im August 1918 acht Wochen lang am Ahrenshooper Strand erholt und das Getöse der Hauptstadt nach und nach vergisst.
Wir erfahren, dass für Ribnitz, den Ort, zu dem die Gemeinde Ahrenshoop einst gehörte, 1894 amtlich festgestellt wird, dass es 4061 Einwohner zählt, darunter 53 Juden; dies als Hinweis, was später passieren wird. Und wie es war, als die Feriengegend verkehrstechnisch mit einer Zementchaussee beglückt wurde, die Touristen mit dem eigenen Auto anreisten und örtliche Fahrdienste wie Bahnbetreiber leer ausgingen. Sie erzählt, wie aus dem Frauen- und dem Männerbad das Familienbad und wie aus der Ahrenshooper Dorfstraße die Adolf-Hitler-Straße wurde, wobei es Ahrenshoop schaffte, kein offizieller „Kraft durch Freude“-Ort zu werden – ein Titel, um den sich konkurrierende Ferienorte bemühten.
Manchmal wird es sogar praktisch. Dann streut von Soden ein, welches Haus von damals es noch gibt, und man hört die Empfehlung heraus, dort zu übernachten oder einzukehren oder wenigstens vorbeizuschlendern, um sich von der Geschichte anwehen zu lassen. Oder ein Rezept für Bücklingspâté, in 15 Minuten anzurichten, nimmt man zimmerwarme Butter. Um im nächsten Moment zu einzelnen Kapiteln zu wechseln, die von Seegraswiesen, von Seenadeln, von Strandhafer und Dünenveilchen kundig, poetisch und verschmitzt euphorisch erzählen. Frank Keil
Kristine von Soden: „Ahrenshoop. Höchstpersönlich“, Transit, Berlin, 2020, 160 Seiten, 18 Euro
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