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Wie das Licht auf dem Meer tanzt
Eine Ausstellung in Hamburg behandelt die Darstellung von Wasser in Kunstwerken und Fotografien aus über zwei Jahrhunderten

Als der britische Maler William Turner im Winter 1807 zum Professor an die Londoner Royal Academy berufen wird, nimmt er sich fast vier Jahre Zeit, bis er 1811 seine ersten Vorlesungen hält. Zwischenzeitlich untersucht er Reflexionen und Spiegelungen, die besonders die sich etablierende Landschaftsmalerei aufwühlen. Er benutzt für seine Studien verschiedene Objekte: polierte Metallkugeln und transparente Glaskugeln, letztere füllt er mit Wasser. Und stellt fest, dass sich bei den Kugeln, in denen Wasser schwappt, keine Regeln über die Brechung des Lichtes aufstellen lassen. Kommt Wasser hinzu, ist die Welt offenbar nicht mehr in einer Formel zu erfassen. Gut 30 Jahre später wird sich die Fotografie auf die Suche nach dem perfekten Licht begeben und sich dabei technisch wie künstlerisch schnell fortentwickeln – bis heute in schöner, kreativer Konkurrenz zur Malerei.

Die Ausstellung „Über Wasser. Malerei und Photographie von William Turner bis Olafur Eliasson“ versammelt gut 160 Kunstwerke aus über 200 Jahren. Sie ist der Beitrag des Bucerius Kunst Forums zur diesjährigen Triennale der Photographie in Hamburg, mehr aber noch ist sie eine gelungene Schau, die nahebringt, wie beide Disziplinen im Wasser ein unerschöpfliches Erkundungsfeld finden.

Die ausgestellten Künstlerinnen und Künstler haben vielseitige Antworten gefunden: wie die vordergründig abstrakten Wattfotografien von Alfred Ehrhardt, der als Maler begann und in der Welt des Wattes seine Formsprache weiterzuentwickeln suchte, um sie von jeder Naturtümelei frei zu halten. Andreas Gursky fotografiert mehr als 80 Jahre später von einer Brücke aus den Fluss Chao Phraya in Bangkok, bearbeitet die Bilder am PC und findet zurück in eine elegische Bilderwelt, die an die Malerei Claude Monets erinnert. Man könnte sich in der Schönheit seiner Aufnahmen rückhaltlos verlieren – würde nicht der zweite Blick enthüllen, dass auf der irisierenden Oberfläche handfeste Gegenstände schwimmen: ein Teppich aus Müll.

David Hockney ist mit seinen kühlästhetischen Poolbildern vertreten, die vom wachsenden Selbstvertrauen der US-amerikanischen Homosexuellen erzählen. Ganz anders der wüste ukrainische Fotograf Boris Mikhailov: Seinen Badenden in einem Salzsee fehlt jegliche demonstrative Eleganz. Und Martin Parr zerlegt mit der ihm eigenen Unerbittlichkeit jede romantische Vorstellung vom Strandidyll.

Auch vor aktueller Weltpolitik scheut man sich nicht. Mit Verve widmet sich die Schau dem Thema der Flüchtlingsbewegungen über das Meer. Von Thomas Hoepker wird dazu eine beeindruckende Arbeit gezeigt: Der Grenzzaun, der Mexiko und den Süden der USA trennen soll, erstreckt sich auch in den Pazifik – und mit der vergeblichen Hoffnung auf ein besseres Leben relativiert sich auch der sehnsuchtsvolle Blick auf den Horizont. Auch Lampedusa, bis vor wenigen Jahren eine kaum bekannte Mittelmeerinsel, heute Synonym für die Flüchtlingsdramen unserer Tage, findet sich in der Ausstellung: Das Künstlerduo Federico Baronello und Takuji Kogo thematisiert mit der Videoarbeit „How to Reach Lampedusa“ in Werbefilmästhetik die Gleichzeitigkeit von Urlaub und Todesgefahr. In „Guitgia, Lampedusa“ setzt sich die Münchner Fotografin Eva Leitolf ebenfalls mit der tragischen Linie zwischen Hoffnung und Schrecken auseinander.
Leitolf ist seit Jahren unterwegs, um in Europa Grenzstationen, aber auch unmarkierte Grenzverläufe zu dokumentieren, deren optische Banalität aufgehoben wird, wenn wir erfahren, auf welchen Ort wir schauen. Die Fotografin benutzt für die Verbreitung ihrer Bilderkundungen ein Medium, das im Zeitalter digitaler Kommunikation altmodisch, aber vielleicht deswegen umso stärker wirkt: Sie veröffentlicht ihre Werke in limitierten Postkarteneditionen. Frank Keil

„Über Wasser. Malerei und Photographie von William Turner bis Olafur Eliasson“, Bucerius Kunst Forum, Hamburg, 13. Juni bis 20. September. Katalog zur Ausstellung bei Hirmer, München, ca. 236 Seiten, ca. 39,90 Euro


Im Sand wandern gegen die Schwermut
Michael Köhlmeier schickt Churchill und Chaplin auf gemeinsame Strandspaziergänge und vermischt gekonnt Fakten mit Fiktion

Charlie Chaplin eilt zu seinem Freund nach Biarritz. „Im Hôtel du Palais hieß es, Churchill sei unten am Strand. Er male.“ Das ist eine schlechte Nachricht. Fern von Europa beginnt in diesem Buch die Freundschaft der Männer zunächst mit einem Spaziergang an einem anderen Strand. Die beiden Briten, alter Adel der Staatsmann, aus armen Verhältnissen der Schauspieler und Regisseur, stehen auf einer Terrasse in Kalifornien, und „Churchill fragte, ob Chaplin ihn auf einem Spaziergang über den Strand begleiten wolle“. Chaplin gibt zu bedenken, dass sie mit ihren Partyschuhen im Sand versänken und nasse Füße bekämen. Beide stellen fest, dass dies sie nicht störe. So schildert Michael Köhlmeier den Anfang ihrer lebenslangen Freundschaft.

Was ist das? Eine Doppelbiografie? Eine erfundene Geschichte? Der Icherzähler des Romans ist ein Clown, vor allem aber ist er Jongleur. Virtuos spielt er mit Fakten und Fiktion, wirft Bälle erfundener und tatsächlicher Quellen in die Luft, bis keiner mehr erkennen kann, was Wahrheit und was Dichtung ist.

Mit Small Talk halten sich die beiden Ikonen des 20. Jahrhunderts nicht auf, sie erkennen sofort den anderen als Spiegel des eigenen Ichs, ist doch beiden allzu vertraut der „Bastard aus fehlgeleiteten Impulsen und verpanschter Gehirnchemie“: Beide haben Depressionen. Ihre Spazierganggespräche haben hauptsächlich ein Thema: den Freitod und wie er zu bewerkstelligen oder zu vermeiden sei. Wie ein Maler der dunklen Romantik entwirft Köhlmeier dazu die Landschaft: „Hinter den letzten Häusern war die Welt schwarz und das Wasser nicht vom Land zu unterscheiden.“ Einmal wandern sie in den Malibu Hills. Churchill steigt trotz seiner Leibesfülle bergauf. Er suche einen Platz, wo er seine Staffelei aufstellen könne, gesteht Churchill. „Er male nämlich. Das sei seine Methode.“

Chaplin hingegen schreibt einen Brief an sich, im Liegen. Bis auch er nicht mehr weiterweiß. Wie an jenem Jahresende, als er einen Film fertiggestellt hat und nach aller Euphorie in ein Loch fällt. „In der Nacht meldete sich der schwarze Hund zurück. Er bellte nicht. Er stellte sich vor ihn hin und starrte auf ihn nieder.“ Und so telegrafiert er: „Charlie braucht Winston.“ Und Winston kommt.

Außer um jene finstere Ausweglosigkeit geht es um die Gegenwart von „Charlie und Winston“. Und um den Feind von außen, gegen den dann beide, wenn auch sonst politisch nicht einer Meinung, kämpfen werden: um Hitler.

Das Buch selbst durchwebt tiefste Melancholie, sodass man sich fragt, ob man sich Sorgen machen muss um den Autor, um Köhlmeier selbst. Schon einmal, in „Idylle mit ertrinkendem Hund“ schrieb er gegen die Traurigkeit und den Schmerz mit einer Geschichte an, in der zwei Männer gemeinsam spazieren gehen.

In Biarritz also findet Chaplin den Freund am Strand, „in einen fleckigen Mantel gehüllt“, mit Strohhut, derben Schuhen, „die Staffelei in den Sand gerammt“. Auf der Leinwand ist ein harmloses Meerbild zu sehen. Der Maler „kämpft gegen den Hund in seiner Kehle und seiner Seele“, indem er eine Idylle auf die Leinwand zaubert. Barbara Schaefer

Michael Köhlmeier: „Zwei Herren am Strand“, Carl Hanser, München, 2014, 256 Seiten, 17,90 Euro


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mare No. 110

No. 110Juni / Juli 2015

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