Sirenengesänge
Der norwegische Musiker Ketil Bjørnstad setzt seine Huldigungen an das nasse Element fort
Leise schnarren die Drums, sie hüpfen auf der Stelle, halten unmerklich das Tempo. Verhalten setzt das Piano ein, gefolgt von dunklen Cellotönen, denen sich eine kreisende E-Gitarre widersetzt. Ein Bild wie von einem verregneten Sonnenuntergang am Meer, wenn plötzlich der Himmel aufreißt. Wir befinden uns in der musikalischen Welt des norwegischen Komponisten und Jazzers Ketil Bjørnstad.
Bjørnstad ist gewiß einer der begabtesten Musiker, den die Jazzszene des skandinavischen Landes derzeit vorzuweisen hat. Dabei hatte er ursprünglich einen ganz anderen Weg einschlagen wollen. Doch der klassisch ausgebildete Pianist, der mit Bartóks Klavierkonzert Nr. 3 debütierte, geriet unerwartet in den Einflußbereich der populär-modernen Musik, sah sich bald prägenden Klängen aus Rock, Folk und Jazz ausgesetzt.
Höreinflüsse von Miles Davis, John Coltrane und Thelonius Monk sorgten dafür, daß Bjørnstad mit Jazz-musik zu experimentieren begann und sich so langsam aus dem Korsett der strengen und abgeschlossenen E-Musik befreite. Die Vertonung von Naturerlebnissen, wie sie im Folk seit alters her Thema ist und die den nordischen Jazz von Anfang an beeinflußt hat, tat ihr Übriges, um Bjørnstad eine neue Heimstatt zu verschaffen.
Es begann 1993 mit den „Water Stories“ für ein Festival an der Westküste Norwegens, eine Auftragsarbeit, für deren Umsetzung Bjørnstad einige namhafte Jazzmusiker gewinnen konnte. Es waren dies vor allem der Gitarrist Terje Rypdal und der Percussionist Jon Christensen, denen sich später der Cellist David Darling anschloß. Musiker übrigens, die zum Umfeld von Jan Gabarek zählen, dem wohl bekanntesten skandinavischen Jazzmusiker. Daraus entstand eine Zusammenarbeit, die sich ausgezahlt hat. Aus der damals losen Verbindung ist mittlerweile eine echte Band geworden.
Auf „Water Stories“ ist noch der Geist des Aufbruchs zu spüren. Recht rauh und schroff gestalten die Musiker ihr Spiel, nähern sich so einander an. Es überwiegen die freien Elemente, das Schlagzeug erlaubt sich kraftvolle Ausflüge, der Baß folgt seinen eigenen stoischen Gesetzen, fast rockig zupft Rypdal die Gitarre, wenn auch im Hintergrund bereits deutlich Bjørnstads Notenschrift und sein Wille zur Vereinheitlichung zu vernehmen sind.
Die nachfolgende CD „The Sea I“ zwei Jahre später ist denn in ihrer Struktur wesentlich geschlossener. Verhalten schweben die Töne des Pianos, kurze Celligewitter und das nun umsichtige Trommeln unterstreichen eine Atmosphäre von Düsternis und Weltabgeschiedenheit. Es sind dabei gerade die Zwischenräume, die mitunter sich fast verflüchtigenden Piano-Parts, die von Rypdals verzerrter Gitarre sorgsam kontrastiert werden und für eine melancholische, zuweilen bedrohliche Spannung sorgen – getreu einem der CD als Motto beigestellten Kafka-Zitat, das dem Schweigen der Sirenen eine größere Macht zuschreibt denn ihrem Gesang.
Mit „The River“, 1996 aufgenommen, gönnt sich Bjørnstad, sein Klavierspiel einmal ausdrücklich in den Vordergrund zu stellen, nur begleitet von den fließenden Cellosentenzen David Darlings. Das Fehlen jedes Schlagwerks und das Ausbleiben von Rypdals Gitarren-Eskapaden legen denn auch die Bjørnstadsche Struktur blank. Kontemplativ und eingängig, ohne dabei beschaulich zu werden, entsteht eine dichtgewebte meditative Huldigung an die Kraft des Süßwassers, das sich langsam von einem kaum beachteten Quellwässerchen zu einem breiten Strom auswächst.
Und nun also wieder der Sprung nach vorn, mitten hinein in die tosende See: „The Sea II“ ist die konsequente Fortsetzung der bisherigen Projekte. Spröde und gefühlvoll zugleich erarbeitet sich Bjørnstads Crew eine Klangwelt von enormer Fülle und Präsenz.
Musik also für Ohren, die der schnöden Popwelt samt ihrer aufdringlichen Rhythmisierung entsagen wollen, die stattdessen offen sind für leise Töne, die das innere Auge mit universellen Hörbildern voller poetischer Kraft ausfüllen – getragen vom Vertrauen, daß die Welt der Klippen, der Brandungswellen und des Seevögelgeschreis mittels Musik auch die Großstadtbewohner in ihren klimatisierten Apartments erreichen kann. Frank Keil
Diskographie:
Mikrokosmos der Unmenschlichkeit
Fred D’Aguiars Neuer Roman widmet sich einem düsteren Kapitel – der Sklaverei und dem Holocaust an den Afrikanern
Das Sklavenschiff „Zong“ ist auf dem Weg von Afrika nach Jamaika vom Kurs abgekommen. Es regnet, tost und stürmt – apokalyptisches Szenario für eine perverse „Säuberungsaktion“: Um die Ausbreitung einer Seuche zu verhindern, beschließt der Kapitän, alle Kranken bei lebendigem Leibe über Bord werfen zu lassen. Einem der 132 Opfer, der Sklavin Mintah, gelingt es, ein Seil zu fassen und sich wieder an Bord zu ziehen. Aus ihrem Versteck heraus zettelt sie einen Aufstand an, der jedoch fehlschlägt. Mintah wird am Ende der Reise verkauft, aber ihr gelang etwas Außergewöhnliches: Da sie von Missionaren lesen und schreiben gelernt hatte, zeichnete sie die Vorfälle an Bord auf.
Fred D’Aguiar widmet sich in seinem zweiten Roman einem der dunkelsten Kapitel des 18. Jahrhunderts bzw. der Neuzeit überhaupt. Der afrikanische Holocaust, so wird deutlich, fand in erster Linie auf Schiffen statt. Hier gab es keine Fluchtmöglichkeit, hier ließen die zusammengepferchten Sklaven alle Hoffnung fahren, hier kam es zu einer mörderischen Auslese, die in D’Aguiar Geschichte noch beschleunigt wird. Nicht nur wegen eines kruden, religiös geprägten Rassismus, nicht nur wegen sadistischer Launen von Kapitän und Mannschaft, sondern vor allem wegen des Profits.
Wenn ein Sklave beim Transport starb, mußten die Investoren den Verlust tragen – es sei denn, der Verlust war auf eine Maßnahme zurückzuführen, die dem Erhalt des Schiffes und der Fracht diente. Dann zahlte die Versicherungsgesellschaft. So auch im Fall der „Zong“, wie es ein englisches Gericht verfügt. Dagegen richteten auch Mintahs Aufzeichnungen nichts aus, die als Beweismittel für die Willkür des Kapitäns dienen. Wo Menschen als Stückgut gelten, geht die Moral buchstäblich über Bord.
Fred D’Aguiar, der in Guyana aufwuchs und in London lebt, hat nicht nur ein erschütterndes Sklavendrama geschrieben. Er nutzt den Verdichtungseffekt des Seeromans, um einen Mikrokosmos der Unmenschlichkeit zu entwerfen. Die Dummen erweisen sich darin als barmherzig, die Gescheiten als rückgratlos, das Meer als Sinnbild äußerster Ausweglosigkeit. Es ist ein Unort, an dem die Sklaven Selbstachtung, Lebensmut und Menschenwürde verlieren. Die Fahrt der „Zong“ ist wie ein zielloses Umhertreiben in einer Vorhölle, der nur die Verdammten entkommen.
„Ich bin auf dem Meer. Ich habe kein Land. Mein Körper gehört nicht mir. Mein Name ist ohne Heimat.“ Das Ende des Romans ist aus Mintahs Perspektive erzählt. 1833 hält sie auf Jamaika Rückschau, in dem Jahr, als die Sklaverei im britischen Empire aufgehoben wurde. Ihr Bericht über die Geschehnisse auf der „Zong“ ist der intensivste Teil des Buches. Hier entfaltet D’Aguiar noch einmal die schmerzliche Kraft seiner Poesie: mit knapper, präziser Diktion und einem Rhythmus trauernder Erkenntnis, der noch lange nachhallt. Thomas Kastura
Fred D’Aguiar: „Futter für die Geister“, Roman, aus dem Englischen von Brigitte Walitzek, Berlin Verlag, Berlin 1998, 283 Seiten, 39,80 Mark
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