mare-Salon

Empfehlungen aus Literatur, Musik, Film und Kulturleben

Nichtstun in Nizza
Klaus und Erika Mann reisten 1931 zu den Snobs und Spielern an der Riviera. Evelyn Hamann liest vor, was die beiden erlebten

Wieso liest ausgerechnet Evelyn Hamann den Bericht der beiden ältesten Kinder Thomas Manns über eine Reise an die Côte d’Azur? Es ist auf den ersten Blick eine seltsame Verbindung. Die Namen Klaus und Erika Mann, man kommt bis heute nicht drum herum, lassen vor allem an den berühmten Vater denken. Bei Evelyn Hamann stellt sich unweigerlich die Erinnerung an die erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Loriot-Darsteller Vicco von Bülow ein.

So besteht der humoristische Aspekt dieses schönen Hörbuchs darin, dass Loriot und Thomas Mann im Bewusstsein des Hörers zu einer einzigen merkwürdigen Gestalt verschmelzen, die sich dann aber verflüchtigt wie ein Gespenst im Morgengrauen. Dies leistet die meisterhafte Diktion der Hamann, die den nahezu vergessenen Text der Geschwister Mann zu neuem Leben erweckt.

Im März 1931 brechen Klaus und Erika Mann zu einer Reise an die französische Riviera auf, um darüber ein Buch für die Reihe „Was nicht im Baedeker steht“ zu schreiben. Entsprechend leichtfüßig geraten die Beschreibungen der düsteren Viertel von Marseille. Ironisch halten die beiden Distanz, wenn sie die absurd vermögende Schickeria im Cannes jener Zeit schildern.

Beiläufig erfährt der Hörer von heute, was man denn damals trug; und beruhigt kann er feststellen, dass die wirklich guten Klamotten schon damals unbezahlbar waren. Es wird erklärt, wie die französische Jugend den Charleston übt, man hört, wie Jean Cocteau seine Cafés einrichtet und was es 1931 im Cinéma zu sehen gab.

Dem von den Snobs etwas naserümpfend betrachteten Nizza mit seinen verschwenderisch beleuchteten Boulevards, die nachts von fern aussehen, als werde „ein prachtvoller Schmuck ins schwarze Meer hinausgeworfen“, wird eine Liebeserklärung der jungen Autoren zuteil. Monte Carlo schließlich bietet Gelegenheit, literaturgesättigte Reflexionen über das Glücksspiel, dieses „primitive Gleichnis des Schicksals“, anzustellen.

Bei allem Glanz, den diese – von Camille Saint-Saëns’ „Carnaval des animaux“ musikalisch begleiteten – Beschreibungen verströmen, ist es eine Welt, in der etwas nicht mehr stimmt: Auch die mondäne Côte d’Azur bleibt 1931 nicht von der Weltwirtschaftskrise und dem heraufkommenden Faschismus verschont. Deshalb weben Klaus und Erika Mann auch warnende Bemerkungen in ihren sonst unbeschwerten „Reiseführer“ ein: Sie rügen den „blutrünstigen Ernst Jünger“ und verdammen die auch im Frankreich jener Zeit grassierende Kriegsfilmwelle.

Gegen die schwierige wirtschaftliche und politisch düstere Lage setzen die Mann-Geschwister das friedliche Leben der einfachen Fischer an der Riviera – und nicht zuletzt das süße, schuldlose Nichtstun. Insofern formt diese Reise einen schönen Traum, von dem der Träumende weiß, dass er nur allzu bald daraus erwachen wird. Eckart Goebel

„Mit Klaus & Erika Mann an die Riviera“, Hörbuch, gelesen von Evelyn Hamann, Der Audio Verlag, Berlin 1999, 32,95 Mark


Gezähmter Sturm
Herbie Hancocks Jazz-Quintett spielt Ozean

Selten hat sich ein Jazzer so intensiv mit dem Meer auseinandergesetzt wie Herbie Hancock mit seinem 1965 eingespielten Album „Maiden Voyage“, das mit dem Titelstück und „Dance Of The Dolphins“ zwei Jazz-Klassiker enthält. „Diese Musik versucht, die ungeheure Weite und Erhabenheit der See zu erfassen, den stetigen Kampf ums Überleben noch der kleinsten Meereslebewesen und die Zerstörungskraft des Wirbelsturms“, kündigt der Jazzpianist und Komponist seine fünfteilige Ode an den Ozean etwas altbacken auf der Plattenhülle an.

1963 stieß Hancock zum legendären Miles-Davis-Quintett. Aber ihm blieb genug Zeit, eigene Platten aufzunehmen. Für „Maiden Voyage“ lieh er sich bei Davis den Schlagzeuger Tony Williams und den Bassisten Ron Carter aus. George Coleman (Saxophon) und Freddie Hubbard (Trompete) vervollständigten das Quintett.

Das Naturphänomen Meer kam als Motiv dem Kurs Hancocks zwischen Hard-Bop und den freieren Formen des Jazz entgegen. Die Gruppe ließ sich treiben, ohne die herkömmlichen Navigationsmittel völlig aus der Hand zu geben. Melodien wurden fragmentiert, aber nie ganz über Bord geworfen. Selbst turbulentere Stücke wie „Eye of the Hurricane“ oder „Survival of the fittest“ klingen nie wirklich aggressiv. Man stelle sich vor, wie ein Wirbelsturm bei Freejazzern wie Cecil Taylor oder Albert Ayler geklungen hätte ...

Hancock widmet sich ganz den erhabenen Seiten der See. Kein Sklavenschiff taucht am Horizont auf, kein Müll treibt auf den Strand. Vielleicht ist es gerade diese Gleichgültigkeit gegenüber der Menschheitsgeschichte, die „Maiden Voyage“ zu einem Album von großer Schönheit und Eleganz macht. Gero Günter

Herbie Hancock: „Maiden Voyage“, CD, Blue Note, 72434.4 96427 26


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mare No. 18

No. 18Februar / März 2000

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