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La Paloma, oh weh!
Das Berliner Trio „Ich schwitze nie“ schlingert mit Liedern aus See- und Raumfahrt zwischen Cooljazz und kindlicher Kakophonie

Gerne würde ich Lars Rudolph richtig gern haben. In den achtziger Jahren hat sich der Mann als Trompeter in Freejazz-Formationen um Peter Brötzmann einen Namen gemacht. Später hat er mit seiner Band „Stan Red Fox“ gezeigt, wie man den Sound des Popstars Prince und seiner dutzendköpfigen Begleitband „Revolution“ zu dritt auf die Bühne bringt.

Damals war Rudolph ein Rumpelstilzchen im Rüschenhemd, das an Saiten, Tasten, Ventilen und als Sänger auf Konzerten das Geschehen bestimmte und dazu die Langhaarmähne schüttelte. Ein Ausnahmetalent, und auch als Schauspieler machte er eine gute Figur. 1998 spielte er in dem österreichischen Spielfilm „Die Siebtelbauern“ die Hauptrolle.

Doch mit seinem jüngsten Album „Billige Flaggen“ macht es der Berliner selbst den Fans stilübergreifender musikalischer Exaltiertheit nicht leicht. Sein neues Trio „Ich schwitze nie“ dreht Klassiker des maritimen Schlagers durch den Wolf moderner Tonstudiotechnik. Bei den „Liedern aus See- und Raumfahrt“, wie das Album thematisch überschrieben ist, sind an die Stelle der Rock-Instrumentierung ein Cello und elektronische Klangerzeuger getreten – vom modernen Musikcomputer bis zum Klanggenerator „Theremin“, 1921 von einem russischen Physiker erfunden. Dazu scheppert ein billiges Schlagzeug, das klingt, als sei es aus einer Hafenkneipe geborgt.

Geblieben ist allein der Falsettgesang. Wie Tom Waits im Stimmbruch bearbeitet Rudolph die musikalischen Stoffe, aus denen die Träume der Daheimgebliebenen sind: von „La Paloma“ über „Der weiße Mond von Marantonga“ bis zu Zarah Leanders Hymne „Der Wind hat mir ein Lied erzählt“, an dem sich vor kurzem mit bescheidenem Ergebnis auch Nina Hagen versucht hat.

Rudolph bricht musikalische Stile aller Art, mal röchelnd, mal jammernd, gern auch absichtsvoll haarscharf neben der Note, die man für gewöhnlich singt – so schroff und schön wie das havarierte, mittschiffs einfach auseinander brechende Kreuzfahrtschiff, das den Umschlag der CD ziert.

An die Stelle von Hans Albers’ teutonischem Frohgemut setzt Rudolph in seiner Version von „La Paloma“ sehnsuchtsvolles Schmachten. Das Meer dient ihm, wie beim ersten Lied des Albums, „Warum bin ich“, vor allem als Projektionsfläche für große und allzu menschliche Gefühle:

„Frauen gehen am Hafen spazieren
ich schaue auf das Hinterteil
die Sonne scheint, ich bin allein
die Schiffe fahr’n davon
ich sehe nur das Hinterteil
warum bin ich nur so geil?
lalala ...“

Selbst einen abgetragenen Hut wie den Oldie „Voulez-vous coucher avec moi“ verwandelt das Trio in eine musikalische Perle, die, ganz weg vom Original, die Einsamkeit von Matrosen und Mätressen beschreibt.

Der Wille, auch die Raumfahrt in seinem Werk über die See unterzubringen, wirkt allerdings bemüht. Was man schon immer an Gemeinsamkeiten zwischen Space Shuttle und Schanghaien, zwischen Fernweh und Weltraumkrankheit wissen wollte – beim kindlichen Lied über Rakete „Nummer neun“, dem einzigen Stück des Albums, das die Atmosphäre unseres Planeten verlässt, erfahren wir es nicht.

Der Rest der Mannschaft, der unter „Billige Flaggen“ mitsegelt, ist ganz und gar Hintergrund. Nicholas Bussmann und Hanno Leichtmann, beides Produzenten elektronischer Musik, spielen wunderbar mit Reglern und Erwartungen: Cello, Piano, Trompete und die klappernde Snare-Trommel bilden einen schönen Kontrast zu Riffs aus dem Computer, BossaNova-Rhythmen aus der Heimorgel und pfeifenden Synthesizerfiltern. Anklänge an die Neue Deutsche Welle der achtziger Jahre – von „Palais Schaumburg“ mit ihrer arroganten Bürgersöhnchenhaltung bis zu Andreas Dorau, als er noch über „Fred vom Jupiter“ sang – harmonieren mit dem großen, alten Jazz.

Das geht bis zu dem Moment gut, da das Trio beschließt, der geschmackvoll arrangierten Sehnsucht nach der See mit absichtlichen musikalischen Hässlichkeiten das Genick zu brechen: Mal tutet Rudolph schlaff, als fehle ihm plötzlich die Kraft zum Trompetespielen. Ein anderes Mal bricht ein lateinamerikanischer Rhythmus unvermittelt ab und zwingt den Zuhörer, der eben noch glücklich mitwippen durfte, zum Aufpassen, zum Mitdenken. Das sind schwer verdauliche Schnurren, mit denen Rudolph gelegentlich selbst die Geschmacksgrenzen von Liebhabern der Trash-Ästhetik überschreitet.

Aber es soll eben wild sein und „voll zarter Sehnsucht und ironischem Halsbruch“, wie die Plattenfirma Trikont seinen neuesten Tonträger lobt. Das Haupthaar trägt Rudolph übrigens inzwischen kurz. Stefan Gerhard

Ich schwitze nie: „Billige Flaggen“, Trikont, US-0268


Soll er doch
Ein Käpten liebt die See, seine Frau den Mann mit dem Cello

Ein kleiner Küstenort in der Bretagne um die Jahrhundertwende: Dort residiert in einem Herrenhaus Kapitän Graf Kerleven. Der Blaublütige ist ein Blaubart, der schon vier Ehefrauen verschlissen hat. Seine eigentliche Liebe nämlich gehört dem Meer.

Gattin Nummer fünf wird die liebreizende Brunehaut de Prémonts. Sie verkündet ihm Erstaunliches: „Ich weiß nur zu gut, was für eine Art Ehemann Ihr abgebt. Und genau das reizt mich. Ich werde Euch weder Eure Schiffe noch Eure Abwesenheit noch Eure Torheiten vorwerfen, denn eben das macht Euch für mich so attraktiv.“ So bleibt Brunehaut an Land und erleidet das Schicksal aller Seemannsfrauen – sie wartet. Immer seltener kommt der Käpten an Land, aber noch feiern sie jedes Mal stürmisches Wiedersehen.

Und doch langweilt sie sich zu Tode. Bis eines Tages ein Mann kommt, der Cello spielt und ihr zeigt, dass es noch etwas anderes gibt als die Sehnsucht nach der Liebe: die Gegenwart eines Menschen und eine Musik, die von dieser Erfüllung kündet. So wird die Kapitänsfrau unversehens zu einer Frau, die nicht länger warten will.

Die Autorin, die junge Historikerin Elisabeth Hennebert, verbindet die Geschichte der Brunehaut de Prémonts mit der Emanzipation der Frauen im anbrechenden 20. Jahrhundert, geschrieben in einer zarten, poetischen Sprache, mehr in Andeutungen als in feministisch eindeutigen Statements. Das Meer wird darin zu einem Gleichnis für das Verhältnis zwischen Männern und Frauen, und deshalb könnte das Buch auch heißen: „Das Verschwinden der Männer“. Es ist zugleich eine neue, überraschende Version der Geschichte von Odysseus und Penelope, deren 20-jährige Trennung zum Mythos wurde. Unda Hörner

Elisabeth Hennebert: „Die Frau am Meer“, Roman, aus dem Französischen von Wolfgang Rössig, Bertelsmann Taschenbuch, München 2000, 157 Seiten, 14 Mark


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 20. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 20

No. 20Juni / Juli 2000

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