Zimmer mit Aussicht
Schöner wohnen geht nicht: Ein Haus am Meer ist ein Tempel des Lichts, ein Logenplatz an der Bühne, auf der die Elemente spielen
Es gibt keinen spektakuläreren Baugrund als das Ufer. Wer daran noch zweifelt, der möge sich diese Häuser anschauen: Die Topografie definiert ihre Proportionen; Wasser, Felsen und das Licht bestimmen die Grundrisse. Manche Häuser liegen gestrandeten Schiffen gleich am Ufer, andere scheinen förmlich über der Wasseroberfläche zu schweben, wieder andere stemmen sich dem Meer entgegen, eine massige Fortsetzung des felsigen Fundaments. „Wohnen mit spektakulärer Aussicht“ hat Paco Asensio seinem Bildband als Untertitel gegeben. Was er zeigt, sind nicht einfach Häuser – es sind Tempel, die dem Blick aufs Meer geweiht sind.
Es gibt allerdings auch kaum einen Grund, der den Architekten größere Anstrengungen abverlangt. Auf die spitzesten und entlegensten Klippen möchte die Kundschaft noch ihre Paläste setzen und dabei die Gesetze der Gravitation möglichst außer Kraft setzen. Da sollen grazile und lichtdurchflutete Konstruktionen – irgendwie – auf winzigen Vorsprüngen über dem Wasser balancieren oder der künstliche Horizont des Swimmingpools perfekt in dem dahinter liegenden Meer verschwimmen. Einmal abgesehen von der Poesie des Entwurfs: Wie soll der Bauunternehmer an dieser Nahtstelle von Meer und Land bloß seine Maschinen bewegen?
Lord Jacob Rothschild ist einer von denen, die sich von solch banalen Einwürfen nicht beirren ließen. Von seiner Sommerloggia auf der Insel Korfu, die Xavier Barba im Stil einer antiken römischen Villa baute, hat er einen atemberaubenden Blick auf die Küste Albaniens.
Auch der japanische Architekt Kengo Kuma setzte sich mutig über die Widrigkeiten des Untergrunds hinweg. Er setzte sein dreistöckiges Gästehaus vor den Klippen der Atami-Küste direkt ins Meer. Der Boden der untersten Ebene ist mit Wasser bedeckt. Ein Steg führt vom Treppenhaus zu einem großen Konferenztisch, der auf einer Insel aus Stahl und Glas in einem spiegelglatten künstlichen Meer steht. Ganz typisch für ein Gebäude, das sich bequem an den Uferhang lehnt, ist das Haus Scobie, das die Architekten Grose und Bradley im australischen Avoca an den Pazifik stellten: auf drei Ebenen Blick aufs Meer und schiffige Holzdecks. Auch die kleine Festung, die Cristián Boza im chilenischen Los Vilos in Naturstein direkt auf die roten zerklüfteten Felsen mauern ließ, wirkt, als hätte sie schon immer an diesem Ort gestanden. „Bozas Entwurf“, schreibt Paco Asensio, „stellt nichts Neues dar. Er lotet nur einmal mehr aus, wie es der Architektur immer wieder gelingt, Menschen der Natur näher zu bringen.“
Das klingt lapidar, unspektakulär. Aber ein ähnlicher Gedanke hat wahrscheinlich allen Architekten, die Asensio in seinem Buch präsentiert, als Leitmotiv gedient: Ihre Konstruktionen schotten sich nicht ab zum Meer, sie thronen nicht darüber. Nein, sie feiern das Leben am Wasser. Ein schöneres Kompliment kann Paco Asensio den Baumeistern gar nicht machen. Harald Loch
Paco Asensio: „Häuser am Wasser. Wohnen mit spektakulärer Aussicht“, Callwey Verlag, München 2001, 176 Seiten mit 252 Fotos und 86 Plänen, 99,88 Mark/57,07 Euro
Ruppiger Ton
Familiensaga aus dem Hafenmilieu von Reykjavík
Mindestens einmal im Leben sollte man eine Lesung von Einár Mar Gudmundsson besuchen. Der isländische Dichter hockt nicht verschüchtert hinterm Wasserglas und nuschelt sich durch seinen Text. Er stellt sich vielmehr dem Publikum entgegen und weicht keinen Schritt zurück. Mal hoch konzentriert und nüchtern, mal hoch konzentriert und sturzbetrunken trägt er seine Geschichten vor, und es kann passieren, dass er nicht wie angekündigt aus seinem Roman liest, sondern Gedichte herausdonnert:
Es regnet in Strömen.
Ein Tief über uns,
ein zweites im Anzug.
Das Wasser schießt
an den Scheiben herab.
Die Erde quirlt vor Leben
wie ein Kind, das Würmer hat.
Nun gibt es einen neuen Roman, der Gudmundssons Talent, kraftvolle Bilder mit manchmal milder, dann wieder ruppiger Erzählweise zu verknüpfen, erneut unterstreicht. „Fußspuren am Himmel“ ist eine Familiensaga aus dem isländischen Hafenmilieu, und nicht umsonst ist gleich zu Anfang ein Stammbaum abgedruckt, der 28 Namen umfasst.
Gudmundsson nimmt uns an die Hand und führt uns durch das Reykjavík von der Jahrhundertwende bis in die späten sechziger Jahre. Wir tauchen ein in eine Welt von Fischern und Dichtern, Verlierern und Versagern, werden Zeuge von Landflucht, Verzweiflung, Armut und Aufbäumen.
Da ist der Großvater des Erzählers, der keine 50 Jahre alt wird und der dennoch zwei Zeitalter kennen lernt: das Kutter- und das Trawlerzeitalter; und der sich immer wieder als Bracker, als Fischsortierer, verdingen muss. Da ist dessen rebellischer Sohn Ragnar, der im Spanischen Bürgerkrieg kämpfen wird, während Island den Boxsport entdeckt. Und Halli, der allein stehende Schauermann, der all sein Geld der Frauenzuflucht vermacht und als einer der Ersten seines Landes ein ganz besonderes Paradies findet: Mallorca.
Die Stärke dieses Romans liegt nicht zuletzt in seiner Episodenhaftigkeit. Gudmundsson verzichtet klugerweise darauf, die verschiedenen Lebensläufe, die sich anbahnenden Katastrophen und die spärlichen Errettungen durch eine fortlaufende Handlung aneinander zu ketten, auf dass sie ihr Eigenleben verlieren.
Er leuchtet wie mit einer Taschenlampe durch das Dunkel der Welt und fürchtet sich nicht vor dem, was es zu entdecken gibt. Dabei ist sein Ton nie höhnisch, nie zynisch, sondern bei aller Vergeblichkeit, dem Lauf der Dinge Einhalt zu gebieten, immer um Tröstung bemüht.
Wir hören Trockenfisch auf den Gestellen klappern, spüren, wie sich Nebel über den Hafen senkt, wie uns die Kälte in die Knochen kriecht. Und lauschen dem Taxifahrer Ivar, der weiß, was gegen alle Krankheiten der Welt hilft: Zwiebeln essen und Meerwasser trinken! Frank Keil
Einár Mar Gudmundsson: „Fußspuren am Himmel“, aus dem Isländischen von Angelika Gundlach, Carl Hanser Verlag, München 2001, 235 Seiten, 35,01 Mark/17,90 Euro
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