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Dem Spurensucher auf der Spur
Fontane I: Ein Maler reiste dem Dichter in Schottland nach. Und was Fontane begeisterte, ließ auch Pallusseck nicht kalt

Das Land der Griechen mit der Seele suchend, italienische Reisen und römische Erweckungserlebnisse: all das war bereits Schnee von gestern, Attitüde vergangener Generationen, als sich Theodor Fontane im Jahr 1858 auf große Schottland-Reise begab. Doch war auch er im Land der verwunschenen Schlösser und mysteriösen Seen auf literarischer Spurensuche. Aber nicht Schillers „Maria Stuart“ (deren Geburtsort Linlithgow Palace er dann auch ziemlich langweilig fand) hatte ihn angeregt, in London den Zug nach Edinburgh zu nehmen, sondern die historischen Schmöker und romantischen Gedichte des Vielschreibers Walter Scott.

Just diese zeittypische Lektürepräferenz sollte zum Glücksfall für die deutsche Literatur werden: Schottlands Fjorde, Ruinen, Moore und Seen waren Teile jener Landschaft, an der Fontane seine spezielle Epik zum ersten Mal erprobte, eine Art Vorstudie zum Stil der berühmten „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“.

Am Anfang jedenfalls war ein weißes Blatt Papier, das darauf wartete, mit Wörtern gefüllt zu werden, damit eine zweite, eine literarische Landschaft entstehe. Wie nun arbeitet ein Maler, der genau diese Fontane-Reise illustrieren will? Doch was heißt schon illustrieren? Seinen eigenen Augen muss er trauen, seine eigene Ästhetik entwickeln. Raimund Pallusseck, 1951 als Spross einer alten Seefahrerfamilie in Cuxhaven geboren, hat sich auf dieses Wagnis eingelassen und es auf faszinierende Weise gemeistert. Seine großformatige Mappe mit Schottland-Bildern in Steindruck trägt wie Fontanes Buch den Titel „Jenseit des Tweed“ und ist ein Sehgenuss auch für jene, die die literarische Vorlage nicht kennen. Pallusseck nämlich ist weder betulicher Naturalist noch Hardcore-Abstrakter, sondern ein Experte für Formen und Farben. Mit Fontane im Gepäck, vor allem aber mit seiner eigenen jahrzehntelangen Erfahrung als Maler hat er auf der Yacht „Arcadia“ (übrigens der letzten Konstruktion des hoch betagten Schotten Robert Clark) die schottische Küste befahren, hat mit Skizzenblock, Feder und Tusche Moore durchwatet und sich von der Atmosphäre historischer Schlachtfelder und verfallener Landsitze inspirieren lassen.

Wer die Mappe seiner Arbeiten öffnet, wird schnell erkennen, dass die verwendete Technik des klassischen Steindrucks eine adäquate Möglichkeit darstellt, den Arbeitscharakter, das kreative Flair eines visuellen Fahrt- und Skizzenbuchs in seiner Mannigfaltigkeit zu bewahren. Pallusseck, der vor allem in Norddeutschland durch zahlreiche Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen bekannt geworden ist, zeigt, wie eine Literaturadaption ein primäres Kunstwerk sein kann: ein Spiel mit Farbnuancen, eine Bildwelt, die eindeutig von schottischer Landschaft beeinflusst ist und gleichzeitig Zeugnis gibt vom künstlerischen Kosmos eines Augenmenschen und der Fähigkeit eines Malers, seine Wirklichkeit zu erschaffen. Marko Martin

„Jenseit des Tweed“, Idee und Konzeption: Raimund Pallusseck, Edition Molitoris, Hamburg, 2002, limitierte Auflage von 80 signierten Exemplaren, 1500 Euro


Bürger auf Reisen

Fontane II: Unterwegs verlor der Märker nur selten die gute Laune

„Reisen ist gut, aber reisen à tout prix ohne Rücksicht auf Leib, Seele und Thermometer ist Blödsinn.“ Wer schreibt hier? Ein bräsiger Bürger, der sich lieber rückversichert, bevor er irgendein Abenteuer wagt? So könnte es scheinen, und tatsächlich haben Theodor Fontanes Reiseskizzen durchaus manchmal etwas Biederes, Philiströses. Andererseits: Was für eine wohltuende Skepsis, welch souveräne Ironie gegenüber fremden Orten und Gewohnheiten, die sich nicht sofort anbiedert und in Provinzlermanier das Erstgesehene sogleich auch für das Letztgültige hält. Mochten seine Zeitgenossen von Venedig schwärmen, Fontane sieht das Schmuddelige, das Brüchige hinter den Fassaden. Die Stadt „bedarf des Mondlichts, bei dem man nur halb sieht, sie bedarf der Verschleierungen, um immer wieder zu entzücken“.

Hier schreibt kein notorischer Miesepeter, sondern einer der wenigen deutschen Schriftsteller, die erkannt haben, dass Ästhetik und Leben zweierlei und tunlichst nicht miteinander zu vermischen sind. Eine kluge Optik, verhindert sie doch hysterische Emphase ebenso wie jene Kaskaden maßlosen Weltekels, die dem Leser regelmäßig aus den Reiseaufzeichnungen Nietzsches oder des Venedig-Fans Richard Wagner entgegenschwappen.

Ob auf Rügen oder Usedom, der reisende Schriftsteller ist zuallererst ein Wohlfühlmensch, der den Seeblick in seiner Pension genießt, gern isst und trinkt, doch sehr wohl registriert, wenn Landschaft und Klima nur den Vorwand für Touristenabzockerei liefern. Selbst da aber bleibt er gut aufgelegt und schreibt den zu Hause gebliebenen Freunden und Verwandten launige Briefchen, die vielleicht keine große Literatur sein mögen, auf jeden Fall aber amüsant zu lesen sind.

Freilich gibt es eine Ausnahme, und die ist schlimm: Fontane, der aufgeklärte Preuße, entpuppt sich hier stellenweise als Antisemit. „Borkum ist judenfrei, das soll aber auch der einzige Vorzug sein; Max Nordau wurde vor zwei Jahren erst von der Table d’hôte und dann von der Insel weggegrault.“

Es ist kein Trost, dass in Tel Aviv eine nahe dem Strand gelegene Straße inzwischen nach eben diesem deutsch-jüdischen Schriftsteller Max Nordau benannt ist. Fontanes bildungsbürgerliches Ressentiment gegenüber den vermeintlich lärmenden Neureichen der Gründerzeit, die nun die Seebäder der deutschen Oberschicht frequentierten, mag soziologisch erklärbar sein – menschlich bleibt es eine Schande und historisch der Beleg für ein deutsches Delirium lange vor 1933, als Ahlbeck und Heringsdorf kollektiv „judenfrei“ gemacht wurden.

Fontane als ambivalentes Kind seiner Zeit – auch das gehört zur Lektüre dieser Reisetexte. Marko Martin

Theodor Fontane: „Der Lokus im Levkojenbeet. Kleines Brevier für Reisende und Sommerfrischler“, Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin, 2002, 159 Seiten, 7,50 Euro


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mare No. 34

No. 34Oktober / November 2002

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