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Malen im Auftrag Seiner Majestät
Romantizistischer Hofkünstler des Zaren und Förderer der städtischen Wasserleitung: der armenische Marinemaler Iwan Aiwasowski

Das Privileg, Marineuniform zu tragen, hat der Nichtsoldat Iwan Aiwasowski sehr genossen. In Feodossija, der uralten Hafenstadt auf der Krim, geboren, liebte er das Meer, Matrosen kannte er zuhauf, und mit der Admiralität war er befreundet. Seeschlachten beobachtete er am liebsten aus sicherer Distanz bei den Manövern und führte sie dann im Komfort seines großbürgerlichen Ateliers aus: Ivan Konstantinowitsch Aiwasowski war Hofmaler im Auftrag des Stabs der russischen Flotte.

Der Weg zum Ruhm des Armeniers ist mit glücklichen Zufällen und Fürbitten von Gouverneuren, Generälen und Großfürstinnen gesäumt und gipfelt im Statement des Zaren Nikolai: „Was auch immer Aiwasowski malen sollte, ich kaufe es.“ Der düstere Herrscher hatte dieses Mal nicht gelogen. Das erste Marinebild hat ihn 1000 Rubel gekostet, die nächsten, der Berühmtheit entsprechend, waren teurer.

Der Zeitgenosse von Alexander Puschkin führte ein großes Leben. Zwei Mal verheiratet, mit vier Zaren samt Familien bekannt, von fünf internationalen Akademien geehrt, schaffte er es auch noch, in die USA zu reisen, die Niagarafälle zu besichtigen und der Eröffnung des Sueskanals als offizieller Gast beizuwohnen.

Als er im Jahr 1900 mit 83 vor der Staffelei starb, hinterließ er 6000 großformatige Gemälde – alle verkauft. Bei solcher Karriere ist es leicht, Gönner zu werden: Der Maler gründete in Feodossija eine Schule für Handwerker und ein Museum, finanzierte die städtische Wasserleitung und setzte sich für den Ausbau des Hafens ein. Seine Geburtsstadt bedeutete ihm alles, die Ausbrüche der Kunst hingegen regten ihn nicht auf. Ein multikulturelles Publikum war begeistert von der „naturgetreuen Meisterschaft“ seiner Malerei; der konservative Routinier nahm es aber ziemlich großzügig mit dem Realismus und der Arbeit am Motiv. „Auf der Krim male ich die Ostküste, im Sommer Winterlandschaften, am Nebeltag einen strahlenden Himmel bei Sonnenaufgang.“ All dies tat er schwindelerregend schnell: Innerhalb einer Stunde war ein Bild gemalt und verkaufsbereit.

Kaviar, Sklaven und Aiwasowskis Marinebilder waren die besten Exportartikel von Feodossija. Die Gemälde passten sowohl in Repräsentationsräume als auch in jede gute Stube. Wer sich kein Original leisten konnte, musste sich mit einem – meist blau gebundenen – Bildband begnügen. Je nach ideologischer Wetterlage wurde in den Begleittexten entweder Aiwasowskis Nähe zum Volk oder eben zum Hof betont.

Der Zeitgenosse von Gustave Courbet reiste oft nach Paris und hatte genug Gelegenheiten, die neuen Tendenzen der Landschaftsmalerei und des Impressionismus wahrzunehmen. Dennoch blieb Aiwasowski einem idealisierten Romantizismus treu, verehrte Claude Lorrain wie auch William Turner und kombinierte in seinen besten Kompositionen theatralische Lichteffekte mit zeichnerisch exakter Handschrift.

Im DuMont Verlag ist nun ein neues Buch über Iwan Aiwasowski erschienen, und es glänzt mit prächtigen Abbildungen. Die Autoren erzählen die Vita des Meisters und ergänzen sie mit für den Kunsthandel nützlichen Passagen über Signaturen und Fälschungen. Über den Werde- gang des Malers, seine Beziehungen zu Kunst und Künstlern seiner Zeit erfährt man nur wenig.

Das opulente Buch würde schön zu einem festlichen Tatarenbankett auf Teppichen im Freien und mit duftendem Räucherwerk passen. Auf eine kritische Monographie muss das Werk des Armeniers von der Krim noch warten. Ludmila Vachtova

„Meere, Städte, Träume. Die Gemälde des Ivan Aivazovsky“, herausgegeben von Gianni Gaffiero und Ivan Samarine, DuMont Verlag, Köln, 2002, 323 Seiten, 99 Euro


Obszön einsam
Eine Seefahrt ist nicht lustig! Fleur Jaeggys Roman überzeugt

Geschlossene Welten üben auf Menschen die unterschiedlichsten Wirkungen aus. Manche werden angezogen von Mikrokosmen, wie sie Krankenhäuser, Klöster oder auch die Armee darstellen. Andere fühlen sich darin beengt oder gelangweilt. Fleur Jaeggys Faszination für hermetische Welten ist offensichtlich: In ihrem letzten Roman „Die seligen Jahre der Züchtigung“ schilderte sie die selbstzerfleischenden Leidenschaften junger Mädchen in einem Schweizer Pensionat. Ihr neuer Roman „Proleterka“, ein schmales Büchlein, wie die 1940 geborene Autorin sie immer schreibt, lässt die Rahmenhandlung wiederum in einem Mikrokosmos spielen: dem des Kreuzfahrtschiffs „Proleterka“. Auch in diesem Roman ist eine Heranwachsende die Protagonistin, auch dieses Mal ist sie durchdrungen von einer Einsamkeit, die fast schon obszön wirkt, weil sie bei einer jungen Frau aus gutbürgerlichem urbanem Schweizer Milieu einfach nicht sein darf.

Die 15-Jährige unternimmt mit ihrem Vater Johannes eine Kreuzfahrt von Venedig nach Griechenland, das Schiff mit der jugoslawischen Mannschaft wurde eigens gechartert – von den Zunftfreunden des Vaters. Das Mädchen begegnet den alternden arrivierten Männern mit unverhohlener Distanz. Sie sucht sich zielsicher die Objekte ihres Interesses und Verlangens aus, um die sich ihre Welt in den 14 Reisetagen drehen wird: ihren Vater Johannes, den Kapitän, zwei Offiziere und eine allein reisende Frau, die sie irritiert. „Wir sind Rivalinnen. Zwei Frauen an Bord der Proleterka. Sie beachtet mich nicht. Sie betrachtet mich nicht als Rivalin. Sie nimmt mich gar nicht zur Kenntnis. Und doch stört ein winziger Makel ihre Schönheit. Eine flüchtige Verzweiflung. … Ihre und meine Vergangenheit sind bedeutungslos. Zwei Frauen und die Mannschaft. Man erzählt nicht sein Leben, dafür ist keine Zeit. Das Leben hat in dem Moment begonnen, an dem wir an Bord gingen. Der Anfang ist die Proleterka.“

Doch die „Proleterka“ ist nicht alles, es gab auch ein Leben davor und eines danach. So wie die Autorin den Mikrokosmos Schiff verlässt, um sich der Lebensgeschichte von Vater und Tochter anzunehmen, so verlässt sie auch die Ich-Perspektive der Erzählerin und springt in die kühl beobachtende dritte Person Singular. Jaeggy wählt ein ungewöhnliches Stilmittel, aber sie setzt es mit solcher Leichtigkeit ein, dass es geradezu natürlich wirkt, die junge Frau sowohl von außen zu sehen als auch an ihrem Innenleben teilzunehmen. So wird die „Tochter von Johannes“, die sich kaltem Sex mit einem der Offiziere hingibt, zu einem „Ich“, das von Bord geht und sich hoffnungsvoll nach dem kurzzeitigen Liebhaber umsieht. „Johannes, mein Vater, fragt mich, weshalb ich mich ständig umdrehe. Sein Tonfall ist scharf. Sicher geht es ihm auf die Nerven. Wie müssen sie ihm zuwider gewesen sein, diese nächtlichen Ausflüge in die Kabine des Offiziers.“

Geschlossene Welten schärfen die Sinne und beschleunigen die Entschlüsselung der Beziehungsgeflechte. Jaeggys böser Blick auf das menschliche Miteinander ist großartig, ihre knappe Sprache trifft genau. „Gegen Ende der Reise hegten die Passagiere keine Sympathie mehr fürei- nander. Die Gesichtsausdrücke schienen verändert. Ein eigenartiger Schwindel hatte sie erfasst, ein atavistisches und kriegerisches Bedürfnis, die Reisegefährten zu überwältigen.“ Doch das Ende der Reise ist nicht das Ende der Geschichte. Zora del Buono

Fleur Jaeggy: „Proleterka“, aus dem Italienischen von Barbara Schaden, Berlin Verlag, Berlin, 2002, 119 Seiten, 14 Euro


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 37. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 37

No. 37April / Mai 2003

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