Die Stadt aus Licht und Wasser
Altbekannte Schönheit in kunstvoller Variation. Eine Ausstellung zeigt Venedig aus der Perspektive der Meister von Canaletto bis Monet
„,Zu schön, um gemalt zu werden‘, sagt Monet. Ich hoffe sehr, dass er seine Meinung noch ändern wird“, schreibt Monets Frau Alice in einem Brief an ihre Tochter Germaine während ihres Venedigaufenthalts im Herbst 1908. Aus zwei Wochen Urlaub im Palazzo Barbaro, zu dem das Ehepaar Monet von einer kunstsinnigen Freundin eingeladen worden war, sollten mehr als zwei Monate werden. Monet begann zu malen, wie den Briefen zu entnehmen ist, nach einem strengen Zeitplan von 8 bis 18 Uhr, in Abhängigkeit von Tageszeit und Wetter, und es sind leuchtkräftige, in ihrer Präsenz überwältigende Bilder entstanden. Monet arbeitete an mehreren Gemälden gleichzeitig. Gerade die Beschränkung auf einige wenige Motive – Ansichten und Ausschnitte der Palazzi Contarini, da Mula, Dario, Ducale – zeigt noch einmal die ganze Leidenschaft des Malers, der sich Jahre zuvor und danach ganz auf seine Seerosen im Garten von Giverny konzentriert hat.
In der Fondation Beyeler in Basel-Riehen sind derzeit Gemälde, Aquarelle, Grafik und Fotografien aus drei Jahrhunderten zu sehen, die den Mythos Venedig aufs Schönste vor Augen führen. Die von Martin Schwander kuratierte Schau setzt ein mit Canaletto, der im frühen 18. Jahrhundert mit seinen Stadtansichten über Generationen hinweg das Venedigbild geprägt hat: Seine detailgetreuen, Licht und Schatten effektvoll einsetzenden Gemälde von San Marco in der Totalen und den Palazzi am Canal Grande wurden in England von Zeitgenossen zu Höchstpreisen gehandelt. Vor allem die Briten waren fasziniert von der architektonischen Pracht der einst unermesslich reichen Handelsstadt und Seerepublik. Ihre wirtschaftliche Stagnation nach zermürbenden Kriegen mit dem Osmanischen Reich und dem Aufstieg der Seemächte Spanien, Portugal, Niederlande und England illustrierte Canaletto mit Ansichten feudaler Paläste, an denen windschiefe Markisen angebracht und nonchalant Tücher über die Brüstung geworfen sind. Canalettos Veduten und später Lord Byrons Verse auf die morbide Schönheit der Stadt prägten das Bild der englischen Reisenden. „No one enters Venice as a stranger“, konnte deshalb ein Reiseführer im Jahr 1842 schreiben.
Doch gerade weil die statische Stadtsilhouette wohlbekannt ist („Hier sind wahnsinnig viele Maler, und das vor dem kleinen Platz vor San Giorgio. Außer Monet noch fünf Männer und eine Frau“, berichtete Alice Monet), kann das Temporäre, Vergängliche, Atmosphärische der Serenissima in strahlenden Farben gefeiert werden. Ganz im Hier und Jetzt, zeigen die Lichtreflexe und Spiegelungen eine flirrende, irisierende Welt, die doch erkennbar getragen wird von ihrer unverwechselbaren Architektur. Der Aufbruch in die Moderne ist in der Ausstellung wirkungsvoll inszeniert: Nach den detailgetreuen Werken von Canaletto und Guardi, den in warmes Licht getauchten Aquarellen Turners, die im abgedunkelten Raum einen konzentrierten Betrachter erfordern, wird im nächsten Raum zunächst der Blick auf zwei Gemälde Manets aus dem Jahr 1874 fokussiert. Schlagartig befindet man sich in einer anderen Welt: sattes Blau, Bildausschnitte statt Frontalansichten. Der Blick wird durch das Gewirr von Pfählen im Canal Grande geführt, fällt auf eine Gondel, an den Rand des Geschehens verwiesen erscheinen die berühmten Bauten. Fast die Häfte der 37 in Venedig entstandenen Bilder von Monet sind neben Manet und Renoir zu sehen, eine späte Verheißung aus Farbe und Licht.
Eine Entdeckung, die es in der Ausstellung zu machen gibt, sind Gemälde und Aquarelle John Singer Sargents, der sich regelmäßig in Venedig aufhielt und eine Wohnung im Palazzo Barbaro besaß. Er zeigt das moderne Venedig um 1900, Passanten, Arbeiterinnen, architektonische Fragmente, die Wände des Brückenbogens von Rialto und eine wie ein Reisewagen ausgepolsterte Gondel, in der ein befreundeter chilenischer Maler 1880 auf seiner Europareise Skizzen anfertigt. Überhaupt die Gondeln: Von Canaletto über Manet bis Sargent ließe sich auch anhand der Darstellung dieses zeitlos erscheinenden venezianischen Wahrzeichens der Weg in die Moderne ablesen. Andrea Gnam
Philippe Piguet: „Die Geschichte einer Reise. Briefe aus Venedig von Alice und Claude Monet“, Hatje Cantz, Ostfildern, 2008, 112 Seiten, 28 Abbildungen, 19,80 Euro
„Venedig. Von Canaletto und Turner bis Monet“, Ausstellung bis 25. Januar 2009, Fondation Beyeler, Basel-Riehen, www.beyeler.com, Katalog bei Hatje Cantz, Ostfildern, 224 Seiten, 182 Abbildungen, 49,80 Euro
Sekunden des Lebendigseins
Über den höchsten Punkt hinaus: Der Australier Tim Winton versucht sich an einem Surferroman mit gedankenschwerem Tiefgang
von wegen Sonne, Strand und Meer – mit einem Toten geht es los. Rettungssanitäter Bruce Pike erkennt: Das Opfer hat beim Strangulieren nicht den Tod, sondern den entscheidenden Kick gesucht. Atemnot als Grenzerfahrung, damit kennt auch Bruce sich aus. Als kleiner Junge suchte er mit seinem Kumpel Loonie ähnliche Momente. In einem Fluss tauchten sie um die Wette, bis ihnen Lunge und Kopf zu platzen drohten. Und als sie auf den geheimnisvollen Surfguru Sando treffen, entdecken sie in der Brandung des Meeres ihre wahre Herausforderung: Wellenreiten, stets auf der Suche nach dem ultimativen Adrenalinstoß auf dem Surfbrett.
Der australische Autor Tim Winton, selbst Surfer, erzählt davon im Rückblick des gealterten Bruce als Coming-of-age-Story zweier Jugendhelden, die im Wesen so ganz unterschiedlich sind. Beide sind Außenseiter in der australischen Dorfwelt, wetteifern um die Anerkennung ihres Meisters Sando, verlieren darüber Schule und Familie aus den Augen. Doch während der ungestüme Loonie vor keiner Welle zurückschreckt, bremst Bruce sein eher nachdenkliches Temperament. Als Meister Sando sich schließlich für Loonie als Begleiter auf dem nächsten Surftrip nach Indonesien entscheidet, bleibt Bruce enttäuscht zurück – und gerät in ein ganz anderes Abenteuer: Der gerade mal 15-Jährige beginnt eine verhängnisvolle Liaison mit Sandos Freundin. Bis dahin hat auch der Leser so manchen dramatischen Wellenritt durchlebt. Tim Winton, einer der erfolgreichsten Autoren Australiens, inszeniert das riskante Brandungssurfen gekonnt als Selbsterfahrungstrip im Naturschauspiel. „Um mich herum war nichts als brodelnder Dampf. Ich hing in dem kochenden Nest aus Schaum ganz oben auf ihrer Spitze, aufgehoben in Lärm und Ungläubigkeit, bevor ich in einer Walze blendender Gischt nach unten fiel.“ Ähnlich wie der Surfdichter Kem Nunn in „Wellenjagd“ (2002) versteht Winton sich auf die Dramatik des Sports. So wie seine Helden auf ihren Brettern gleiten auch die Sätze meisterlich über die Seiten des Buches. Doch statt es dabei zu belassen, zieht der Autor eine poetische Ebene ein, die zuweilen nah am Kitsch liegt. „Es geht um dich und das Meer, dich und den Planeten“, philosophiert Sando. Allzu bemüht, mehr als einen Surferroman zu schreiben, treibt Winton immer wieder ab in die Nachdenklichkeit des gealterten Bruce, der als Rettungssanitäter nach Feierabend, einsam sein Didgeridoo blasend, über „Sieg und Erkenntnis an diesen wenigen Sekunden des Lebendigseins“ seiner Jugend grübelt. Das allerdings passt so gar nicht zum Sujet des Surfens, wo es doch gerade um den einzelnen Moment jenseits aller Gedankenschwere geht. Die atemlose Freiheit des Augenblicks, wie sie Bruce und Loonie im Angesicht der Welle erleben, verwehrt Winton dem Leser, indem er unnötige Kausalitäten konstruiert: vom Scheitern der Ehe bis zum Aufenthalt in der Psychiatrie; alles, was später schiefläuft im Leben von Bruce, wird auf dessen frühe Erlebnisse am Strand zurückgeführt. So gerät das Surferbuch zum Bildungsroman – und verliert damit am Ende viel von seiner Unschuld. Roland Brockmann
Tim Winton: „Atem“, aus dem Australischen von Klaus Berr, Luchterhand, München, 2008, 240 Seiten, 16,95 Euro
Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 71. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.
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