„Komm, wir geh’n zu Meta“
Howard Carpendale, Otto und die Scorpions traten früher bei Meta hinterm Deich auf. Heute erlebt der Kultschuppen ein Revival
„Meta war so ’n richtiges ostfriesisches Mädchen!“ Der Mann, der das in die Kamera spricht, schwankt. Weniger vom Wind, der bei Norddeich kräftig von der Nordsee pustet, sondern weil schon ein wenig Bier durch seine ostfriesischen Adern pulst. 1994 ist sie gestorben, keine 60 Jahre alt, Meta Rogall, die Wirtin von „Metas Musikschuppen“, dem früheren „Waterkant“, direkt hinterm Deich. Dessen Karriere beginnt als Ausflugslokal und Milchbar – für eine Milchbar gab es Anfang der 1960er problemlos eine Lizenz.
Das und vieles mehr erzählt die DVD „Meta … die Erinnerung lebt“, vorläufiger Höhepunkt des Meta-Virus, wie das jene nennen, die mit Metas Schuppen groß geworden sind: die Ersten in den 1960ern, als die Musiker im Anzug und mit Schlips antraten, um dann umso brachialer auf ihre Instrumente zu dreschen. Die nächsten in den 1970ern, als die Haare und die Gitarrensoli länger und wirrer wurden. Die Letzten in den 1980ern und 1990ern, als die Musik gleichförmiger wurde – wie die sagen, die sich wehmütig an die Tage erinnern, als sich entlang des Deichfußes die Autos stauten, als es Ehrensache war, jeden mitzunehmen, der Richtung Norddeich trampte, angezogen von Metas Lokal wie Eisenspäne von einem Magneten.
Denn Meta hatte Kontakte zum „Starclub“ auf der Reeperbahn, und Rock ’n’ Roller wie Beatmusiker machten gern einen Umweg über Norddeich, ehe es über Amsterdam weiter nach London ging. Wer kam, blieb meist für einen Monat, spielte Abend für Abend, bis der letzte Gast ging. Später ankerten die sogenannten Piratenschiffe vor der Küste, um die Musik zu senden, die bei den trutschigen norddeutschen Lokalsendern zwischen Verkündung der aktuellen Schweinepreise, Ratespielen und sonntäglichem Wunschkonzert so gar keine Chance hat.
Okay, die ganz Großen waren es nicht, die bei Meta auftraten. Aber immerhin: Howard Carpendale hatte hier seine ersten Gigs; er rockte noch, bevor er im seichten Schlager versank. Otto Waalkes war öfter zu Gast, sein Heimatstädtchen Emden war nicht weit. Die Scorpions aus Hannover schauten regelmäßig vorbei und später manche Krautrockband wie Birth Control oder Jane – Musiker, die man oft abschätzig Lokalprominenz nennt und die doch für die Entwicklung einer musikalischen Gegenkultur so wichtig sind. Mit der Musik kamen auch die Drogen nach Norddeich; zeitweise wurde Metas Laden von Amts wegen geschlossen. Schon vorher da war der Alkohol. „Die waren alle gut am Schlucken“, sagt ein Zeitzeuge, als er von Metas Eltern und ihren Brüdern erzählt. Auch die Wirtin selbst hatte am Ende mit dem Alkohol zu kämpfen.
„Meta … die Erinnerung lebt“ ist nicht nur eine Hymne auf die Strahlkraft einer Musikkneipe, wie sie sich derart dauerhaft wohl nur in der Provinz entfalten kann. Zwischen eingeblendeten Fotos und Interviewsequenzen entwickelt sich in manchmal ungewohnter Behäbigkeit das Porträt einer Küstenszene, in der man ebenso seinen Spaß haben konnte wie in Berlin, Hamburg oder Frankfurt – nur musste man sich nicht so beeilen damit.
Das ist nicht alles in Sachen Meta. In Wilhelmshaven hat die dortige Landesbühne mit „Meta, Norddeich“ ein schmissiges, von Peter Schanz geschriebenes Rockmusical auf die Beine gestellt und tourt damit durch den Norden Niedersachsens, stets vor ausverkauften Reihen. Wieder erhältlich ist auch der Bildband „Komm, wir geh’n zu Meta“ von Werner Jürgens.
Es gibt Gründe für diesen Boom. Formal jährt sich Metas Geburtstag zum 70. sowie die Eröffnung ihres Schuppens zum 50. Mal. Entscheidender aber dürfte sein, dass hier im Weser-Ems-Gebiet das Interesse an der eigenen Geschichte wächst. Das beweist auch die mehrfach verlängerte Ausstellung „Break on through to the other side“ im Schlossmuseum von Jever, in der neben Metas Schuppen auch andere Diskotheken im Weser-Ems-Gebiet gewürdigt werden. Auch dazu ist eine DVD erschienen: „Zu laut, zu dunkel, to düür – Underground in Weser-Ems und andere Missverständnisse“. Es geht zurück ins „Scala“, eine in den 1970ern angesagte Disco in Lastrup, wo die Mutter des Besitzers an der Kasse saß. Rückblickend sagt sie: „Die jungen Leute haben sich hier alle – wie soll man sagen? – manierlich benommen.“ Das „Ede Wolf“ im Ammerland wird ebenso vorgestellt wie das „Whiskey“ in Wittmund, gleichfalls tiefstes Ostfriesland. Dessen Besitzer hortet mehr als 17 000 Schallplatten. „Wer Wittmund überlebt hat, kann auch am Nordpol Kühlschränke verkaufen“, sagt er knapp.
In Metas ehemaligem Reich steht heute Sven Rogall hinter dem Tresen, ihr Sohn. Der Laden läuft gut, er kann nicht klagen. Aber er macht sich keine Illusionen, dass er das gepachtete Grundstück eines Tages räumen muss. Wenn es so weit ist, will er alles in Ruhe einpacken und an einem anderen Ort wieder genau so aufbauen, wie es immer war; vielleicht in einem Bauernhof, wo genug Platz ist. So machen die das, die Ostfriesen. Frank Keil
Günter Wrobel: „Meta … die Erinnerung lebt“, DVD, 2009, zu beziehen über das Medienzentrum Norden, 15 Euro
„Meta, Norddeich“, Rockmusical von Peter Schanz, im August 2010 Aufführungen im Kurtheater Norderney und im Stadttheater Wilhelmshaven
Werner Jürgens: „Komm, wir geh’n zu Meta“, SKN Druck und Verlag, Norden, 2009, 128 Seiten, 17,40 Euro
Melancholie und Kommerz
Handel im Container: Ein Bildband des jungen ukrainischen Fotografen Kirill Golovchenko zeigt das frühkapitalistische Odessa
Erinnert sich noch jemand an den sogenannten Polenmarkt im alten Westberlin? Wo heute am Potsdamer Platz die Hauptstadt ihr modernes Gesicht zeigt, wuselten bis Anfang der 1990er Jahre Händler und Schnäppchenkäufer hin und her. Vorbei, vorbei. Einer ungleich wuchtigeren Materialisierung ökonomisch-historischer Zwischenzeit widmet sich nun Kirill Golovchenko in seinem beeindruckenden und mitunter auch verstörenden Bildband „7 KM“. Der preisgekrönte Fotograf, 1974 in Odessa geboren und seit 1996 in Deutschland lebend, stellt hier jenes 70 Hektar große Areal vor, das in seiner Geburtsstadt entweder poetisch „Feld der Wunder“ oder technizistisch (wahrscheinlich ein Erbe des Sowjetvokabulars) schlicht „7 KM“ genannt wird, eine Containerversion des sogenannten freien Marktes. Pittoresk?
Durchaus, wenn auch nichts für flanierende Folkloreliebhaber oder vulgär-liberal idyllisierende Handel-und-Wandel-Ideologen. Denn die Welt in den nach Containerfarben als „Rot“, „Grün“ oder „Rosa“ bezeichneten „Straßen“ ist eine harte, frühkapitalistische. Dank des kenntnisreichen Vorworts weiß man nämlich um die langen Arbeitszeiten und komplett fehlenden sozialen Absicherungen jener Muskelpakete und melancholischen Frauen, die hier ähnlich aussehenden Kunden die Segnungen der Zivilisation verkaufen: echte Kühlschränke und in China gefälschte Labelklamotten, Brautkleider und Früchte. Was aber, wenn es dennoch „Segnungen“ wären? Kirill Golovchenko erwähnt die vollständige Vernichtung der Unternehmerklasse während der 70 Jahre währenden sowjetischen Mangel- und Stagnationszeit und fängt in seinen Bildern die zwischen Sehnsucht und Brutalität, zwischen Starre und Mobilität changierende Gestimmtheit ein, welche für die noch immer in einer Art Zeitblase verharrende Hafenstadt Odessa typisch ist.
Aber was heißt schon „typisch“? Schon machen preiswerte Supermärkte dem „Feld der Wunder“ Konkurrenz, und der mittlerweile im austarierten Westen lebende Fotograf ist ehrlich und fair genug, seinen Protagonisten eine bessere Zukunft zu wünschen. „Das Schicksal des ‚7 KM‘ entscheidet sich mit der Entwicklung der ukrainischen Wirtschaft; sobald diese sich, was zu hoffen ist, konsolidiert haben wird, werden auch die Container das ‚Feld der Wunder‘ räumen.“ Marko Martin
Kirill Golovchenko: „7 KM“, Snoeck, Köln, 2009, 144 Seiten, 75 Farbabbildungen, 29,80 Euro
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