Mafia: Späte Rebellion

Seit Jahrzehnten regieren Mafia und Gewerkschaften den Hafen von New York. Doch jetzt regt sich Widerstand

Überall, nur nicht im Hafen solle er arbeiten, sagte Tom Hanleys Mutter. „Denk daran, was mit deinem Vater geschah.“ Der war vor fast 70 Jahren von der Wohnung im New Yorker Greenwich Village zum Pier 45 gegangen, so wie er es jeden Morgen tat, und nie wieder zurückgekehrt. Vier Monate war Tom Hanley damals alt. Zuerst dachten alle, der Vater sei wegen Spielschulden durchgebrannt, er war auf Pferdewetten versessen. Dann klingelte zu Hause nachts das Telefon. „Wenn sie ihn finden, identifiziert ihn nicht!“, sagte eine Stimme. Doch die Leiche des Vaters wurde nie entdeckt. „Sie haben ihm ein Maschinenteil umgebunden und in den Fluss geworfen“, glaubt der Sohn.

Der baumlange Kerl – mehr als 100 Kilo schwer, die Hände riesig und schuppig, die Nase rot, der Mund ganz schmal, Schiebermütze auf dem Kopf – sieht am Schreibtisch fehl am Platz aus. Als Shop Steward ist er der Vertrauensmann der Hafenarbeiter vom New Yorker Gewerkschaftsbezirk 1588 – und mit 68 Jahren zu alt für die Ladearbeit oder das Kranführen. Also bearbeitet er Urlaubspläne, Schichtzeiten, Krankmeldungen. „Hühnerscheiß“ nennt er das. Doch ans Aufhören denkt er nicht, es gibt da noch eine offene Rechnung: den Mord an seinem Vater.

Onkel, Bruder, Schwager, seine halbe Familie verbrachte ihr Leben auf dem Ladedeck. An der Wand von Hanleys Büro hängen Erinnerungsstücke: ein Haken mit Holzgriff und Stahlklinge, mit dem er im Hafen Kisten und Säcke zog, damals, bevor es die Container gab. Daneben ein Foto in Schwarz-Weiß: Ein Junge boxt gegen Marlon Brando – eine Szene aus dem Kinofilm „Die Faust im Nacken“, dem Klassiker von 1954 über den Kampf zwischen Pierarbeitern und der von der Mafia beherrschten Gewerkschaftsführung. Der Junge ist er selbst. Wenn Hanley heute über seine Dachgewerkschaft International Longshoremen’s Assocation (ILA) redet, die an der amerikanischen Ostküste die Interessen der 42 000 Hafenarbeiter vertreten soll, packt ihn die Wut. „Die haben Dreck am Stecken“, sagt Hanley. „Die Mafia kontrolliert die Gewerkschaftsbüros, manipuliert die Wahlen und stiehlt unser Geld.“

Seit Jahrzehnten haben die Gangster die Gewerkschaft ILA und den Hafen von New York im Griff. Für die Mafiosi ist die Arbeitervertretung in zweifacher Hinsicht nützlich: Sie können sich einen seriösen Anstrich geben und zugleich in dem riesigen Hafengelände von New York abkassieren. Gut dotierte Gewerkschaftsjobs gehen an Freunde oder Funktionäre, die im Gegenzug Teile ihres Gehalts abtreten müssen. Lukrative Aufträge zieht die Mafia an sich, und das Stehlen lohnt sich auch. Es geht um viel Geld: Derzeit passieren jährlich Waren im Wert von rund 130 Milliarden US-Dollar die Freiheitsstatue, doppelt so viel wie noch vor zehn Jahren.

Hanley arbeitet auf dem Global Terminal in Bayonne, einer von Kanälen, Brücken und Industrieanlagen zernarbten Stadt in New Jersey, gegenüber von Manhattan, auf der anderen Seite des Hudson River. Wie gigantische Kampfroboter stehen dort sechs Kräne auf Stelzen. Die Geschäfte gehen prächtig, die Pier soll verlängert, das Becken vertieft werden. Das Global Terminal liegt der Hafeneinfahrt von New York am nächsten, Frachter gewinnen wertvolle Stunden beim Entladen.

Früher war der Hafen eine Schinderei. An seinem ersten Arbeitstag, vor einem halben Jahrhundert, schleppte Hanley noch Marmorplatten mit der Hand. Seine Schutzhandschuhe musste er ausziehen, um den Stein richtig greifen zu können, abends kam er mit zerschnittenen Händen und krummem Buckel nach Hause. Heute holt ein Kranführer einen 24 Tonnen schweren Container mit einem Hebelzug aus dem Schiffsbauch. Für die gleiche Ladung hätte früher eine Mannschaft mit 21 Männern mehr als zwei Stunden gebraucht. Doch hart ist die Arbeit noch heute. Manche Männer schuften Tag und Nacht, zwischendurch nur ein paar Stunden Schlaf im Auto. Die gangs, wie die Arbeitergruppen genannt werden, sind auf zehn Mann geschrumpft. Geblieben ist das Gemeinschaftsgefühl, die Verschworenheit unter den Arbeitern, das Misstrauen gegenüber der Polizei und allen, die die Dinge verändern wollen.

Hanley wohnt allein in einem kleinen Holzhaus in Bayonne in der Nähe der Haltestelle 34th Street. Viele der zweigeschossigen Häuser stehen schief, erschüttert von Sprengungen im Kanal. Das Städtchen ist trostlos, die Hauptstraße eine Ansammlung von 7-Eleven-Läden, Exxon-Tankstellen und Popeyes-Chicken-Restaurants. Nach der Arbeit fährt Hanley oft zum Hudson County Park in Bayonne. Dort joggt er oder betrachtet die Lichter der Lastkräne auf der anderen Seite des Flusses. Hier hat er in den vergangenen 20 Jahren oft die Präsidenten seines Gewerkschaftsbüros gesehen, wie sie sich Anweisungen von dem Mafioso John DiGilio abholten.


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mare No. 64

No. 64Oktober / November 2007

Von Thomas Jahn und Andrew Testa

Thomas Jahn, Jahrgang 1965, lebt in New York.
Sein Interviewpartner Tom Hanley öffnete sich nur langsam, zum ersten Treffen erschien er gar nicht. Als Held sieht Hanley sich nicht: „Heute zeige ich mich von meiner besten Seite – aber das war lange nicht so.“

Auch der mehrfach ausgezeichnete Fotograf Andrew Testa, geboren 1965, wohnt in New York. Er arbeitet unter anderem für die New York Times.

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Vita Thomas Jahn, Jahrgang 1965, lebt in New York.
Sein Interviewpartner Tom Hanley öffnete sich nur langsam, zum ersten Treffen erschien er gar nicht. Als Held sieht Hanley sich nicht: „Heute zeige ich mich von meiner besten Seite – aber das war lange nicht so.“

Auch der mehrfach ausgezeichnete Fotograf Andrew Testa, geboren 1965, wohnt in New York. Er arbeitet unter anderem für die New York Times.
Person Von Thomas Jahn und Andrew Testa
Vita Thomas Jahn, Jahrgang 1965, lebt in New York.
Sein Interviewpartner Tom Hanley öffnete sich nur langsam, zum ersten Treffen erschien er gar nicht. Als Held sieht Hanley sich nicht: „Heute zeige ich mich von meiner besten Seite – aber das war lange nicht so.“

Auch der mehrfach ausgezeichnete Fotograf Andrew Testa, geboren 1965, wohnt in New York. Er arbeitet unter anderem für die New York Times.
Person Von Thomas Jahn und Andrew Testa