Mädchen als Beifang

In den Gewässern des Südseestaats Kiribati machen die großen Fangflotten reiche Beute. Sie rauben den Einheimischen den Tunfisch – und sorgen für die Verbreitung von Prostitution und Seuchen

Ein paar Kilometer vor der Küste von Kiribati ist das taiwanesische Schiff vor Anker gegangen, unweit der Hauptinsel Tarawa. Tonnen von Tunfisch holen die Männer aus dem Bauch des Kahns, von der Kühlkammer hoch aufs Oberdeck, das unter der Pazifiksonne glüht. Das vertäute Mutterschiff wartet schon auf neue Fracht. Es wird den Fang zu den Konservenfabriken von Papua-Neuguinea und Taiwan bringen.

Zur gleichen Zeit wagt sich eine junge Frau über den Abgrund. Langsam setzt sie den Fuß aufs Tau, und für einen Moment sieht es so aus, als sei sie eine kleine Seiltänzerin, 20 Meter über dem Meer. Ein Sprung, ein Lächeln für die Crew, dann verschwindet sie in der nächsten Kabine. Sie hat das Boot gewechselt – und die Kundschaft. Sie ist ein korekorea girl.

Ein Klischee möchte man es nennen, die Kunde von den willigen Frauen Ozeaniens, die europäische Entdeckerlust weckte. Wie schwärmten die Seefahrer von dunkelhäutigen Schönheiten, die sie nach einsamen Monaten willkommen hießen? Das Paradies, schien es, lag im Pazifik.

Die Praxis, die heute in Kiribati üblich ist, hat mit Romantik dagegen nichts zu tun. Aids und Kinderprostitution sind die dunklen Seiten einer Fischereiindustrie, an die kaum einer denkt. Jahrelang haben umweltbewusste Konsumenten beim Genuss von Tunfisch auf das Label dolphin friendly geachtet, doch nicht nur die Delfine brauchen Schutz. Manche Mädchen, die sich die Fischer als Beifang an Bord holen, sind nicht älter als zwölf.

Fischerei und Prostitution mögen die ältesten Gewerbe der Welt sein. Die Ausbeutung von Fischgründen und Frauenkörpern nimmt auf manchen Pazifikinseln allerdings dramatisch zu, seit die Industrienationen ihre Trawler nach Ozeanien schicken. Mehr als die Hälfte des weltweit verzehrten Tunfischs – 50 Prozent des Tuns in Konservendosen und 30 Prozent des japanischen sashimi-Marktes –, rund zwei Millionen Tonnen pro Jahr, stammen aus der Pazifikregion. Die anderen Meere gelten längst als überfischt. Ein Großteil des Tuns, der auf deutschen Tellern landet, kommt allein aus Kiribati. Die Trawler der EU haben sich eingereiht in die Flotte aus China, Taiwan, Japan, Russland, Indonesien, Thailand, den Philippinen und den USA, die in ferne Gewässer vordringen.

Die pazifischen Inselnationen sehen dem Treiben oft hilflos zu. So besitzt Kiribati, ein Staat, der aus flachen Atollen besteht, nur eine Landfläche von 811 Quadratkilometern, doch zu seiner Ausschließlichen Wirtschaftszone gehören 3,5 Millionen Quadratkilometer Meeresoberfläche. Dieses riesige Areal kann der Inselstaat kaum kontrollieren. Denn es fehlt nicht nur an ausgebildeten Beamten, die den Fang überwachen und eine Ausbeutung der natürlichen Ressourcen verhindern. Kiribati verfügt über gerade ein einziges Patrouillenboot – bereitgestellt von der australischen Regierung.

„Die Fische werden immer kleiner“, klagt Atera, ein alter Fischer, den es jeden Morgen auf den Ozean zieht und der seine Köder noch von Hand fertigt. „Als ich Kind war, konnten wir noch in der Lagune fischen. Heute muss ich kilometerweit hinausfahren, um einen guten Fang zu machen. Und das Benzin ist doch so teuer.“

Hinzu kommt, dass die ausländischen Trawler die lokalen Preise verderben. Wenn sie in die Häfen Kiribatis einlaufen und den Beifang aus ihren riesigen Netzen für 90 Cent das Kilogramm verkaufen, haben Atera und seine Kollegen kaum eine Chance mehr. Sie aber leben allein vom Fischfang. Der billige Fisch, mit dem die kommerziellen Flotten den Markt überschwemmen, hat sogar einen Namen. Er heißt korekorea. So wie die Mädchen, die an Bord ihren Dienst tun.

Der Begriff korekorea stand zunächst für einheimische Prostituierte, die auf koreanische Trawler kletterten. Heute bezeichnet er alle Frauen, die auf ausländischen Schiffen die Ware Sex anbieten. Gegen Geld, Kleidung – und Fisch. Und er ist zum Schimpfwort geworden für jene Mädchen, die gegen den strengen traditionellen Moralkodex verstoßen und sich schon vor der Heirat auf sexuelle Kontakte einlassen. Die Polizei spricht von bis zu 80 korekorea girls, die ausländische Trawler besuchen.

Manche werden von ihren Familien zur Prostitution genötigt, denn die Armut zu Hause ist groß und das Einkommen eines korekorea girl um ein Vielfaches höher als der Lohn einer Kellnerin oder Kinderpflegerin. Auch sind viele Frauen schlecht ausgebildet, sie gingen nur wenige Jahre zur Schule oder gar nicht. Andere wiederum wollen sich, sagt eine junge Frau aus Kiribati, einfach nur etwas dazuverdienen für einen lustigen Abend mit Freunden und ein paar Drinks in der Bar. Die fremden Freier, behaupten einige, würden sie immerhin besser behandeln als die einheimischen Männer. Einige Kinder sind bereits aus diesen Beziehungen entstanden, ab und zu sieht man daher auch Babys an Bord, wenn die Mütter den asiatischen Vätern ihren Nachwuchs präsentieren.

Angesichts der sozialen Lage auf Kiribati wächst die Sorge, auch und gerade bei Unicef, dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, dass das Land gegen internationale Abkommen zum Kindesschutz verstößt, da viele korekorea girls erst 14, 15 Jahre alt sind. Bekannt ist auch der Fall einer Zwölfjährigen, die von ihrer Tante zu den Fischern gebracht wurde und seit sechs Monaten verschwunden ist. Der Polizei fällt es schwer durchzugreifen, zu viele – auch angesehene Bürger Kiribatis – profitieren von dem Geschäft: Taxifahrer und Bootseigner, die Freier und Prostituierte vom Schiff zum Motel transportieren und dafür Benzin und Zigaretten kassieren, Bar- und Hotelbesitzer, arbeitslose Väter, die den Körper ihrer Tochter gegen Videorecorder und Dollarbündel tauschen. Auch mancher Polizeibeamter lässt sich fürs Wegschauen bezahlen – oder nutzt selbst die Gelegenheit für schnellen Sex an Bord.

Prostitution ist nicht neu auf Kiribati, wie eine demnächst erscheinende Unicef-Studie ausführt. „1826 wurden Prostituierte als nikiranroro bezeichnet. Gemeint waren jene Frauen, die ihre Jungfräulichkeit durch Walfänger verloren hatten oder mit ihnen durchbrannten. Walfängern wurde nicht nur die Schuld an der Förderung der Prostitution auf den Inseln gegeben, sondern auch an der Verbreitung von Geschlechtskrankheiten.“ An anderer Stelle heißt es: „Auf manchen entlegenen Inseln von Kiribati gab es die Sitte, dass ein Mädchen nach der ersten Menstruation dem König übergeben wurde, während die Familie im Gegenzug ein Stück Land vom König erhielt.“


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mare No. 59

No. 59Dezember 2006 / Januar 2007

Von Ben Bohane und Natalie Behring

Der australische Journalist und Fotograf Ben Bohane, Jahrgang 1970, arbeitet regelmäßig für führende internationale Medien. Sein Interesse gilt vor allem Ethnien in Australasien und Ozeanien. Bohane lebt in Port Vila, Vanuatu.

Die deutschstämmige Amerikanerin Natalie Behring bereist seit 15 Jahren die Welt. Ihr Schwerpunkt sind Fotoreportagen für renommierte Magazine und Nichtregierungsorganisationen. Behring lebt in Peking.

Aus dem Englischen von Sandra Schulz

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Vita Der australische Journalist und Fotograf Ben Bohane, Jahrgang 1970, arbeitet regelmäßig für führende internationale Medien. Sein Interesse gilt vor allem Ethnien in Australasien und Ozeanien. Bohane lebt in Port Vila, Vanuatu.

Die deutschstämmige Amerikanerin Natalie Behring bereist seit 15 Jahren die Welt. Ihr Schwerpunkt sind Fotoreportagen für renommierte Magazine und Nichtregierungsorganisationen. Behring lebt in Peking.

Aus dem Englischen von Sandra Schulz
Person Von Ben Bohane und Natalie Behring
Vita Der australische Journalist und Fotograf Ben Bohane, Jahrgang 1970, arbeitet regelmäßig für führende internationale Medien. Sein Interesse gilt vor allem Ethnien in Australasien und Ozeanien. Bohane lebt in Port Vila, Vanuatu.

Die deutschstämmige Amerikanerin Natalie Behring bereist seit 15 Jahren die Welt. Ihr Schwerpunkt sind Fotoreportagen für renommierte Magazine und Nichtregierungsorganisationen. Behring lebt in Peking.

Aus dem Englischen von Sandra Schulz
Person Von Ben Bohane und Natalie Behring