Luft-Schiffe

Zweimaster schweben am Himmel über Bali

Die freundliche Frage, wo man herkomme, kann dem Bali-Touristen schon mal lästig werden, hört er sie doch vom Restaurantbetreiber wie vom Zimmerkellner, vom Verkäufer am Strand, ja sogar vom Fahrer des indonesischen „Kijang“-Jeeps, der im Hof des Hotels steht. Irgendwann stellt sich heraus, der Restaurantchef will seinen Fisch loswerden, der Zimmerkellner besorgt dem Jeep-Besitzer Kunden für Inselrundfahrten und der Verkäufer am Strand auch, abgesehen davon, dass von allen falschen Rolex allein seine wirklich echt sind. Was wiederum der Restaurantchef nur bestätigen kann.

Trotzdem ist in Sanur, dem Straßendorf zwischen Flugplatz und der Hauptstadt Denpasar, die Welt noch beinahe in Ordnung. Die Preise sind moderat und auch die Strandhotels nicht höher als die Kokospalmen, die sich dort in einem stetigen Wind wiegen. Der streicht von dem abgestorbenen Korallenriff heran, das die Bucht abriegelt.

Wer nach der Ankunft verschwitzt auf den lichtüberfluteten Strand zustrebt, dem fallen als erstes die schlanken farbigen Auslegerboote ins Auge, die mit ihrem spitzen Lateinersegel überraschend schnell an der Riffkante entlanggleiten. Später liegen sie dann in langer Reihe auf den Strand gezogen – Palmen, Boote, Sand, Meer, alles, wie ein Tourist es sich erträumt.

Doch wer noch vor der Ankunft im Paradies nach oben schaut, darf staunen. Denn da, zwischen den Palmenwedeln, wiegen sich, einzeln oder in Gruppen, Schiffe im Wind, richtige Briggs mit Rahsegeln, Klüvern und Besan, in allen Farben des Regenbogens, die Bootskörper so transparent wie die leuchtenden, geblähten Segel. Am Strand schließlich ist zu erkennen: Die Luft-Schiffe sind Drachen. Sie werden an dünnen Nylonschnüren geführt, von Frauen zumeist oder Halbwüchsigen.

Sogleich schießen die verschiedensten Gedanken durch den Kopf: Wie kommen solche Schiffe, die doch nichts mit den Auslegerbooten gemein haben, an den balinesischen Himmel? Ja, was haben Schiffe überhaupt am Himmel zu suchen? Und warum fliegen sie mit dieser Leichtigkeit?

Alles erscheint leicht auf Bali: Die schlanken Schnitzereien von Reihern und Delfinen wirken leicht, auch die lampiongleichen Tempeltürme, die wie Scherenschnitte am Horizont stehen. Im unvorstellbar klaren Wasser der Koralleninsel Lembongan exerzieren Fischschwärme in lautloser Leichtigkeit ihre Formationen. Die Sarongs an den Textilbuden entlang der Hauptstraße oder, wenn man abends dem Froschtanz zuschaut, die grazilen Bewegungen der Tänzerinnen mit den maniriert verlängerten Fingern – alles schwebt, wie die Figuren der Schattenspieler. Was Bali so anziehend macht, dieses Schwerelose, ist auch die Faszination der Luft-Schiffe. Sie gehören hierher. Doch ihr Ursprung ist anderswo.

Dieser Zwiespalt beschäftigte mich auch deshalb, weil ich beim Anblick der fliegenden Schiffe keinerlei Befremden verspürt hatte, nur Erstaunen über ihre Flugtüchtigkeit. Ein Schiff in der Luft kommt Dir also ganz normal vor, sagte ich mir. Ein Luft-Schiff eben. Die kulturgeschichtliche Spanne zwischen Drachen und Luft-Schiff, der Mythos vom Fliegen, die kosmische Dimension, waren mir so wenig klar wie vermutlich den Drachenbauern selbst, die einfach so ihre zweimastigen Briggs in die Luft schickten.

Einfach so? Später entdeckte ich auch in Europa überall fliegende Schiffe: in Hamburg auf zwei hohen Masten direkt vor dem Rathaus, ebenso auf einem Ministerium in Stockholm, wo obendrein hoch über dem Hügel des alten Observatoriums auf einer Säule eine stolze Bark durch die Luft rauscht, als wäre sie der Fliegende Holländer. Die Hauptstadt der Luft-Schiffe aber scheint St. Petersburg zu sein. Brücken werden statt von Säulenheiligen von Masten mit Segelschiffen flankiert. Und vor dem Hotel St. Petersburg pflügt ein prächtig ausgestattetes Modell des Typs, das der Zar und Zimmermann Peter der Große in Holland bauen lernte, auf hohem Podest durch die luftigen Wellen.

Fliegender Holländer. Nicht nur bei Wagner geistern Schiffe durch die Lüfte. Schon auf mittelalterlichen Abbildungen kommen sie vor. Ein kolorierter Farbholzschnitt von 1562 zeigt eine Kogge über Hamburg, umgeben von Königen, Rittern und Heiligen, allesamt in den Wolken schwebend. Der Kirche schienen solche Visionen gar nicht heilig. Denn „Hoch-Fahrt“ war „Hoffart“, das Sich-selbst-Überheben des Menschen über das Göttliche, und Hoch-Mut kommt vor dem Fall, wie schon Dädalus und Ikarus erfahren mussten. Nein, das Auffahren gen Himmel war ein exklusiv göttliches Vorrecht, bei Griechen wie Christen. So geißelt denn auch Erzbischof Agobard von Lyon im Jahre 816, „... wie die meisten von solchen Wahnsinn gepackt sind, dass sie glauben, es gebe ein Land namens Magonia, aus dem kämen Schiffe in den Wolken gefahren“, das darf und kann folglich nicht sein.

Doch bald schon interessieren sich Naturwissenschaftler für die Sache. Sie wollen statt kirchlicher Tabus lieber physikalische Klarheit: „Wenn es über der Luft ein Schiff gäbe, das nicht mit Luft gefüllt wäre, sondern mit Feuer, so würde es in der Luft nicht sinken“, schreibt um 1360 der Scholastiker Albert von Sachsen. Hier ist alles vorgedacht, was später über die Heißluft-Mongolfière zum gasgefüllten Luft-Schiff führt. Luftfahrt ist Schifffahrt. Und tatsächlich, beide Luftfahrzeuge hatten Gondeln wie Schiffe. Ihre Besatzungen hießen Luftschiffer. Wie die Crews von Raumschiffen Kosmonauten oder Astronauten heißen, also Nautiker sind, und die Chefs Kapitäne, nicht etwa Piloten.

Die prophetischen Erwägungen des sächsischen Albert beruhen auf dem spezifischen Gewicht, das einst Archimedes entdeckte. Dieser Archimedes aber ließ auch einen Drachen fliegen, auf den das Porträt von Platon gepinselt war. Der Schnittpunkt, wo die Urgedanken von Drachenbau und Luft-Schiff zusammenkommen, ist somit, 230 vor Christus, Archimedes selbst ...


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mare No. 16

No. 16Oktober / November 1999

Von Uwe Friesel und Rolf Nobel

Uwe Friesel, geboren 1939, lebt als Autor und Übersetzer in Hamburg und Stockholm. Von 1989 bis 1994 war er Vorsitzender des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS). In mare schrieb er über das Gourmetschiff von Stockholm (in Heft 11).

Rolf Nobel, geboren 1950, ist Fotograf der Hamburger Agentur Visum. In mare-Heft 13 erschienen seine Bilder der Hafenstadt Surabaya

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Vita Uwe Friesel, geboren 1939, lebt als Autor und Übersetzer in Hamburg und Stockholm. Von 1989 bis 1994 war er Vorsitzender des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS). In mare schrieb er über das Gourmetschiff von Stockholm (in Heft 11).

Rolf Nobel, geboren 1950, ist Fotograf der Hamburger Agentur Visum. In mare-Heft 13 erschienen seine Bilder der Hafenstadt Surabaya
Person Von Uwe Friesel und Rolf Nobel
Vita Uwe Friesel, geboren 1939, lebt als Autor und Übersetzer in Hamburg und Stockholm. Von 1989 bis 1994 war er Vorsitzender des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS). In mare schrieb er über das Gourmetschiff von Stockholm (in Heft 11).

Rolf Nobel, geboren 1950, ist Fotograf der Hamburger Agentur Visum. In mare-Heft 13 erschienen seine Bilder der Hafenstadt Surabaya
Person Von Uwe Friesel und Rolf Nobel