Logbuch eines langen Abschieds

Schauplatz Hamburger Hafen: ein aufgegebenes Schiff und eine Crew, die blieb, um ihre Heuer zu erstreiten

Zum Abschied hatte der Reeder für seinen polnischen Kapitän Jerzy Szalkowski nur ein „Fuck you and fuck the crew!“ Dann sei der Schwede Staffan Holm von Bord gegangen, sagen die Männer von der „Verona“. Das war im Juli. Danach haben sie keinen frischen Proviant mehr bekommen und ihre Heuern schon gar nicht. Vier Monate sitzen die acht Seeleute auf dem kleinen Frachter fest, vier Polen, vier Filipinos. Dies ist die Chronik ihres langen Wartens – auf Hilfe, auf ihr Recht, auf die Rückkehr in die Heimat:

Montag, 2. August 1999. Logbuch der „Verona“: „Schiff auf derselben Position wie zuvor.“

Die Seeleute rufen die Gewerkschaft zu Hilfe. Ulf Christiansen, Hamburger Inspektor der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF), kommt und versucht, das Nötigste zu organisieren – Lebensmittel, Frischwasser, ein Telefon. Eine offizielle Einrichtung der Hansestadt für „verlassene Seeleute“ gibt es im drittgrößten Hafen Europas nicht.

Dienstag, 3. August: „Reeder lässt die Funkanlage und GMDSS-Gerät ausbauen.“

Die Technik ist geleast und jeder Tag kostet. Lose Kabel und die Schmutzränder an der Wand auf der Brücke zeigen die Stelle, wo die Verbindung des Schiffs zur Außenwelt montiert war. Nachmittags setzt die staatliche Hafenkontrolle das Schiff fest. Ohne Funk darf es nicht weiter.

Eigentlich sollte die „Verona“ jetzt in Schweden eine Ladung Rapssaat abliefern. Gekommen ist sie nur bis Cuxhaven, dann wurde sie von der Wasserschutzpolizei aufgestoppt und zurück nach Hamburg eskortiert. Später meldete der „Tägliche Hafenbericht“, dass Raps im Wert von 604000 Mark unterschlagen werden sollte. Der Frachter war mitsamt Raps ausgelaufen, obwohl der Auftraggeber die Lieferung storniert hatte. Seither streiten sich die Anwälte von Reeder und Auftraggeber. Die Crew der „Verona“ muss warten.

Mittwoch, 4. August: „Bitte an das polnische Konsulat um rechtliche und humanitäre Hilfe.“

Der polnische Konsul lässt bei Aldi einkaufen, seinen Kofferraum vollpacken und fährt den Proviant zur Wasserschutzpolizei. Die schippert alles zur „Verona“, denn die ist nur auf dem Wasserwege erreichbar. Reis, Brot, Milch, jede Kiste muss mit dem Seil an Bord gehievt werden. Später wird die „Hamburger Tafel“ die Mannschaft zwei- bis dreimal die Woche versorgen. Die „Tafel“ ist eine Einrichtung, die überschüssige Lebensmittel bei Läden einsammelt und an bedürftige Menschen verteilt. Ein Barkassenunternehmer wird Tour um Tour kostenlos machen. Der Schiffsmeldedienst bietet kostenlose Telefongespräche nach Hause an.

Freitag, 6. August: „10 Tonnen Frischwasser vom Hafenkapitän erhalten.“

Auf 69325,93 Dollar hat die Mannschaft bislang an Heuer Anspruch. Der ITF-Inspektor fordert den Reeder in Schweden auf, Proviant zu liefern und die Seeleute zu bezahlen. Obwohl der Reeder für das Schiff einen ITF-Tarifvertrag abgeschlossen hat, blieben selbst die bisher gezahlten Heuern weit darunter.

Donnerstag, 19. August: „Mannschaft wartet auf ITF-Aktion. Ultimatum an den Eigner.“

Freitag, 20. August: „Situation unverändert.“

Dann endlich eine Antwort aus Schweden. Wortreich umschreibt der Absender, dass er der Mannschaft rund 30000 Dollar angeboten habe und nur auf dieser Basis zu verhandeln bereit sei. Kapitän und Crew ist der Mann bekannt: Es ist derselbe Staffan Holm, der sie in Hamburg so wüst beschimpft hat. Aber jetzt will der Reeder plötzlich nur noch ein „owner’s agent“ der Firma Arko Shipping sein, der lediglich im Auftrag des Eigentümers handle. Eingetragen ist das Schiff in Malta auf ein Unternehmen namens Parks Webber Nederland BV Ltd.; „Valetta“ steht am Heck des Schiffes. Doch vermutlich hat die „Verona“ ihren Heimathafen auf Malta nie angelaufen. Wie Panama, Liberia, Honduras oder Belize zählt der Inselstaat zu den „Billigflaggen“. Bei diesen offenen Registern gibt es keine direkte Verbindung zwischen dem Sitz des Reeders und dem Flaggenstaat. Ihr Ausflaggen bietet den Eignern günstigere Bedingungen als im eigenen Land – niedrigere Gebühren, Steuern, geringere Sicherheitsstandards, schlechtere Heuern.

Sonntag, 22. August: „Filipinos vom Landgang zurück. ITF an Bord.“

„Warum dauert das alles so lange?“, fragt Kapitän Szalkowski den ITF-Inspektor. „Warum verhandelt man immer noch mit dem Reeder? Kann man das Schiff nicht arrestieren, damit er unter Druck bezahlt, um sein Schiff frei zu kriegen? Wie lange soll das noch gehen? Jeder Tag ist ein verlorener Tag. Und wir sind die Verlierer.“ Dem Kapitän zittert die Stimme. Die Filipinos wollen auf dem Schiff bleiben, bis sie ihr Geld haben, sagen sie. Die Polen sagen gar nichts.

Donnerstag, 9. September: „Fall der Crew wird vor Gericht verhandelt.“

Das Arbeitsgericht bestätigt, dass jeder der acht Seeleute Anspruch auf seine Heuer hat. Das sind für die Crew insgesamt inzwischen 96000 US-Dollar. Über die Gewerkschaft hatten sie gegen den Reeder geklagt. Von der Gegenseite ist niemand zur Verhandlung erschienen. „Wenn die Urteile rechtskräftig sind“, sagt der Richter, „können Sie das Schiff an die Kette legen lassen.“ Der Kapitän quittiert es mit einem Schulterzucken: „Das war zu erwarten“, sagt Szalkowski. „Aber es ist gut, dass wir es jetzt schriftlich haben.“


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mare No. 18

No. 18Februar / März 2000

Von Angelika F. Pfalz und Babette Brandenburg

Angelika F. Pfalz, geboren 1957, ist freie Wirtschaftsjournalistin und lebt in Hamburg. In mare No. 4 porträtierte sie den hier erwähnten ITF-Inspektor Ulf Christiansen.

Babette Babelsberg, Jahrgang 1967, ist freie Fotografin. Dies ist ihre erste Arbeit für mare

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Vita Angelika F. Pfalz, geboren 1957, ist freie Wirtschaftsjournalistin und lebt in Hamburg. In mare No. 4 porträtierte sie den hier erwähnten ITF-Inspektor Ulf Christiansen.

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