Le Piano, La mer, la Bretagne

Vorzeigefolklorist wider Willen: Jazzpianist Didier Squiban

Käsegelb versinkt für gewöhnlich die Sonne in der spiegelglatten See Aremoricas, später werden unter sternefunkelndem Nachthimmel Wildschweine rösch gegrillt überm Lagerfeuer, derweil der Dorfbarde geknebelt und gefesselt am Baum zappelt. Eigentlich nicht zu glauben, dass weder Albert Uderzo noch René Goscinny an Frankreichs Westküste das Licht der Welt erblickten.

Immerhin zementierten die beiden Comic-Artisten mit den Geschichten um Asterix, den Gallier, und seinen dicken Freund Obelix ein Klischee der Bretonen in die Kulturgeschichte, das den Stürmen der Zeitläufte standhält.

Wohl auch deshalb, weil die Bretonen selbst nicht freiwillig zum Dementi etwaiger Zerrbilder ihres Völkchens anheben. „Mais oui“, ereifert sich Didier Squiban, natürlich sei das unbeugsame Dorf „ganz klar eine typisch bretonische Siedlung, das Dorfpersonal jedenfalls unterscheidet sich nicht sehr von meinen Nachbarn im Finistère.“

Squiban zaubert sich zu solchen Sätzen den Schalk des Asterix’ ins Gesicht und nähme sich selbstredend nicht aus von der Schnittmenge der Comic-Gallier mit heutigen Bretonen. Kaum ohne Grund griff der Tourismusverband seiner Heimat schon vor Jahren auf Squiban zurück, als er der interessierten Presse neben exponierten Küsten und hutzeligen Natursteinhäusern eben jenen freundlichen Mann als Prototypen des Bretonen vorstellte.

Dabei ist der 59-Jährige schon wegen seiner Kunst nicht fürs Folkloristische zu vereinnahmen; er wehrt sich dagegen mit stiller Inbrunst. Geboren in Ploudalmézeau, das er lieber landessprachlich korrekt Gwitalmeze nennt, beendete er früh eine pädagogische Laufbahn zugunsten seiner Passionen, die mit Namen wie Keith Jarrett, Charlie Parker und Duke Ellington auf der einen und Igor Strawinsky, Claude Debussy, Erik Satie und Glenn Gould auf der anderen Seite umrissen waren. Für die Musik der Bretagne interessierte er sich „damals kein bisschen, ich spielte ja auch definitiv das falsche Instrument. Dachte ich jedenfalls, und man hat mir das noch lange nach meiner Hinwendung zur Musik meiner Heimat nachgesagt. Eigentlich hatten die Leute sogar recht“.

Squibans Instrument nämlich ist das Piano, welches im keltisch geprägten bretonischen Folk stets durch naturgemäße Abwesenheit glänzt. Als der dem Cool Jazz und Bebop verschriebene Musiker 1993 von Dan Ar Braz für dessen Spektakel „L’Héritage des Celtes“ als Begleiter des Sängers Yann-Fañch Kemener gebucht wurde, begegnete er bretonischer Musik zum ersten Mal. Es muss für Squiban eine Art Amour fou gewesen sein. Auch nach drei Alben mit Kemener blieb er seither der persönlichen Entdeckung treu; allerdings nicht in Reinkultur, zumal er ja den Pianoschemel nicht zu verlassen gedachte.

„Das ist wohl bretonischem Starrsinn zu danken“, resümiert er die ersten fünf Jahre seiner Solokarriere, die er 2001 mit dem dritten Album seiner Trilogie westatlantischer Klänge beendete. Auf „Molène“, „Porz Gwenn“ und „Rozbras“, allesamt nach Orten der Bretagne benannt, ist nichts außer dem romantizistisch-melodiös und höchst flüssig, manchmal flüchtig gespielten Piano zu vernehmen. Der instrumentale Traditionsbruch aber wurde nicht etwa als Fauxpas verdammt, er brachte Squiban vielmehr in den Ruf eines originären Interpreten bretonischer Musik. „Die Situation ist für mich bis heute ein bisschen bizarr“, sagt der Künstler und streicht sich durch die Haare, als vermisse er gerade den gehörnten Helm, „und ich glaube auch nicht, dass ich das Piano zu einem bretonischen Instrument gemacht habe.

Das wäre mit den Bretonen nicht möglich gewesen. Ich glaube eher, dass ich ihnen bewiesen habe, mit dem Piano so etwas wie bretonische Musik spielen zu können, zumindest notfalls.“ So selbstbewusst sie auch sind, die Gallier aus Frankreichs Westen, zum Snobismus neigen sie nicht. Er würde auch so gar nicht in die karge Landschaft und zu den von Meer und Einsamkeit gezeichneten Gesichtern passen.

Didier Squiban also ist in erstaunlich fortgeschrittenem Alter zu dem geworden, als was er im Grunde geboren wurde: zum Bretonen. Was genau das heißt, beschreibt er selbst noch immer mit Vorsicht, als traue er der Metamorphose nur bedingt. „Wir sind ein Volk von Reisenden“, sagt er, „das bringt die Nähe zum Meer mit sich. Wir sind ein Volk von Fischern und mehr noch von Seeleuten, ständig auf Fahrt. Meine persönliche Reise brauchte zwar kein Schiff, aber sie war auch ziemlich lang und führte durch viele Stürme.“ Und damit man ihn auf keinen Fall den uralten Klischees an die Seite stellt, fügt er schnell hinzu, dass es für ihn bis zur Folklore noch ein langer Weg sei, den er übrigens nicht zu gehen gedenke. „Die Folklore, das sind alte Trachten und Rituale, beiden bringe ich keine große Sympathie entgegen. Ich glaube auch, dass das langsam verschwindet.


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mare No. 76

No. 76Oktober / November 2009

Von Stefan Krulle und Eric Boffy

Stefan Krulle, Jahrgang 1963, freier Autor, hat sich früher mit gesangsfreier Pianomusik meist gelangweilt. Nach seiner ersten Begegnung mit Didier Squiban an einem sehr bretonischen Januarabend vor etlichen Jahren war dem nicht mehr so. Zu dem mare-Bildband Bretagne mit Fotografien von Mathias Bothor gehört eine CD von Didier Squiban. Sie enthält eine Auswahl seiner schönsten Klaviersolos aus acht Jahren.

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Vita Stefan Krulle, Jahrgang 1963, freier Autor, hat sich früher mit gesangsfreier Pianomusik meist gelangweilt. Nach seiner ersten Begegnung mit Didier Squiban an einem sehr bretonischen Januarabend vor etlichen Jahren war dem nicht mehr so. Zu dem mare-Bildband Bretagne mit Fotografien von Mathias Bothor gehört eine CD von Didier Squiban. Sie enthält eine Auswahl seiner schönsten Klaviersolos aus acht Jahren.
Person Von Stefan Krulle und Eric Boffy
Vita Stefan Krulle, Jahrgang 1963, freier Autor, hat sich früher mit gesangsfreier Pianomusik meist gelangweilt. Nach seiner ersten Begegnung mit Didier Squiban an einem sehr bretonischen Januarabend vor etlichen Jahren war dem nicht mehr so. Zu dem mare-Bildband Bretagne mit Fotografien von Mathias Bothor gehört eine CD von Didier Squiban. Sie enthält eine Auswahl seiner schönsten Klaviersolos aus acht Jahren.
Person Von Stefan Krulle und Eric Boffy