Lachs im Sack

Was für ein Geschäft, den König der Fische zu fangen! Bis die Aquakultur kam – und damit das Aus für echte Lachsfischer

Es muss 1988 gewesen sein, genau kann ich das nicht mehr sagen. Es war jedenfalls das erste Mal, dass das Netz, das wir das „Piernetz“ nannten, im Schuppen blieb. Eine Seeschwalbe kreiste über der Stelle, an der sonst immer die große Boje schwamm – die Boje, über der das Netz verankert war. Die Schwalbe flatterte bis auf die Wasseroberfläche hinunter, stieg wieder in die Höhe. Sie war wie jedes Jahr um den halben Erdball geflogen, um hier auf einer in den Atlantik ragenden Halbinsel im hohen Norden Schottlands zu brüten. Jedes Jahr war sie auf der Boje gelandet. Jetzt war sie verwirrt.

Nicht nur die Boje fehlte. Eine jahrhundertealte Ordnung war zerbrochen. Coigach Salmon Fisheries, eine der bedeutendsten Lachsfischereien Großbritanniens, hatte den Betrieb eingestellt. Heute liegen auf dem Strand noch drei, vier Boote. Das Holz ist rissig, die Planken sind vom Bug geplatzt. Neben den Booten liegen Anker und Ketten, verrostet und in den Boden eingesunken. Jenseits der Uferstraße steht ein verblichener, schwarzer Holzschuppen auf einem seit Jahren nicht mehr geschlemmten Fundament aus Naturstein. Winterstürme haben Regenrinnen und Teile des Daches losgerissen. In dem Schuppen träumt der Plunder einer dahingegangenen Zeit vor sich hin. Netze, Taue, Schekel, Stangen. Nur die Tatsache, dass die Geier der Tourismusbranche sich noch nicht des Schuppens und seines Inhalts bemächtigt haben, kann einen mit der deprimierenden Wirklichkeit versöhnen. Die Tatsache, dass das verfallende Gebäude nicht in ein Heimatmuseum oder ein pittoreskes Ferienhaus umgewandelt wurde. Der Schuppen erzählt die Vergangenheit so, wie sie war.

Als ich 1975 zum ersten Mal auf die entlegene Halbinsel Coigach kam, war ich hingerissen. Dies war kein Ort, auf den Klischees passten. Am Ende eines 25 Kilometer langen einspurigen Sträßchens lebten Leute, für die unabhängiges Denken und intellektuelle Debatten zum Alltag gehörten. Im Mittelpunkt dieser Lebensart stand ein Mann namens Willie Muir, der aussah wie ein Schauspieler und unkonventionell und extravagant war wie ein Bohemien. Ihm gehörte die Lachsfischerei. Fischen war für ihn, wie er es ausdrückte, „in die Praxis umgesetzter wissenschaftlicher Marxismus“.

Jeder Eingriff in die Natur, meinte er, stoße einen dialektischen Prozess an. Ein Netz sei ein solcher Eingriff, auf den Fische antithetisch reagieren. Verstehe man diese Reaktionen richtig, so könne man sie auf höherer Ebene mit den Bedürfnissen des Menschen in Einklang bringen. Natürlich hielten ihn viele Leute für leicht abgedreht. Aber sie kamen nicht umhin, ihn zu bewundern. Denn er hatte etwas vorzuweisen: Erfolg. Den trug er unbekümmert zur Schau. Er fuhr einen Range Rover der ersten Baureihe, als solche Wagen noch eine Seltenheit waren. Natürlich hatte er auch Gegner. Die behaupteten, an der Küste, die er befische, wimmele es derart von Lachsen, dass man nur ein Fass ins Wasser halten müsse, um sie herauszuziehen. Aber so einfach ist das nicht.

Schottischer Lachs galt immer als der Beste vom Besten. Das hat nichts mit seiner Herkunft zu tun. Irischer, englischer und norwegischer Lachs gehören alle zur gleichen Art: Salmo salar. Sie alle wandern als Fingerlinge in den Nordatlantik und fressen sich an Sandaal und Krill, einem krebsartigen Plankton, fett. Vom Krill bekommen sie die rosa Farbe. Der Unterschied liegt in der Art, wie die in ihre Heimatflüsse zurückkehrenden Fische gefangen werden. In den in England und Irland verwendeten Treibnetzen gehen sie wild schlagend zugrunde. Danach fällt das ausgepumpte Fleisch in eine flüchtige Totenstarre, aus der es sich schon nach wenigen Stunden weichlich löst. In Schottland sind die Konstruktion der Netze, ihre Maschengrößen und die Machart des Zwirns seit 1868 gesetzlich vorgeschrieben. Die bestandsschützenden Vorschriften hatten den vermutlich gar nicht beabsichtigten Nebeneffekt, dass Scotch Salmon ein Markenzeichen wurde.

Es gibt drei zugelassene Fangarten in Schottland. Einmal den Einsatz von stake nets, „Stangennetzen“, oder jumper nets, relativ schlichten Konstruktionen, die an der Ostküste im flachen Tidenbereich aufgestellt werden. Ist die Flut abgelaufen, kann man die Fische, die sich darin verirrt haben, einfach herausklauben. Mit sweep nets, Zugnetzen, werden Lachse in Flussmündungen gefangen. Ein Mann steht an einer lichtgünstigen Stelle und beobachtet das Wasser. Wenn er einen Schwarm sieht, gibt er seiner Crew ein Signal. Die rudert quer über die Strömung, lässt ein Netz zu Wasser, rudert dann stromab und schließt den Kreis unterhalb des Schwarms, springt dann an Land und zieht den Fang aufs Ufer. Das muss blitzschnell gehen, sonst entkommen die Fische. Das ist echte, aufregende Jagd.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 51. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 51

No. 51August / September 2005

Von Reiner Luyken und Colin McPherson

Willie Muir hielt den Autor Reiner Luyken für einen Glücksbringer, denn seine erste Saison als Lachsfischer war die erfolgreichste in der Geschiche der Coigach Salmon Fisheries. Den Niedergang konnte Luyken, Jahrgang 1951, freilich nicht aufhalten. Er wechselte den Job und wurde Auslandskorrespondent der Hamburger Zeit.

Für den in Edinburgh geborenen Fotografen Colin McPherson ist die Dokumentation der untergehenden schottischen Lachsfischerei ein Langzeitprojekt. Mit der Reihe „Time and Tide“ ist er seit 2002 in wechselnden Ausstellungen in Schottland zu sehen.

Mehr Informationen
Vita Willie Muir hielt den Autor Reiner Luyken für einen Glücksbringer, denn seine erste Saison als Lachsfischer war die erfolgreichste in der Geschiche der Coigach Salmon Fisheries. Den Niedergang konnte Luyken, Jahrgang 1951, freilich nicht aufhalten. Er wechselte den Job und wurde Auslandskorrespondent der Hamburger Zeit.

Für den in Edinburgh geborenen Fotografen Colin McPherson ist die Dokumentation der untergehenden schottischen Lachsfischerei ein Langzeitprojekt. Mit der Reihe „Time and Tide“ ist er seit 2002 in wechselnden Ausstellungen in Schottland zu sehen.
Person Von Reiner Luyken und Colin McPherson
Vita Willie Muir hielt den Autor Reiner Luyken für einen Glücksbringer, denn seine erste Saison als Lachsfischer war die erfolgreichste in der Geschiche der Coigach Salmon Fisheries. Den Niedergang konnte Luyken, Jahrgang 1951, freilich nicht aufhalten. Er wechselte den Job und wurde Auslandskorrespondent der Hamburger Zeit.

Für den in Edinburgh geborenen Fotografen Colin McPherson ist die Dokumentation der untergehenden schottischen Lachsfischerei ein Langzeitprojekt. Mit der Reihe „Time and Tide“ ist er seit 2002 in wechselnden Ausstellungen in Schottland zu sehen.
Person Von Reiner Luyken und Colin McPherson