Krosse Reminiszenz

Bäcker Nils Peters schafft es, die Ostsee und die Salzwiesen des Boddens in sein Brot zu backen. Der Weg dahin war mühsam

Das Café Bäckerei Peters steht an der Sassnitzer Promenade so nahe an der Kaikante, dass die Gischt der Ostsee bei Sturm an die Scheiben schlägt. Zu Fontanes Zeiten gab es hier einen Lesepavillon, in dem der Romancier im Spätsommer 1884 seine „Vossische Zeitung“ las und sich Notizen für „Effi Briest“ machte. Und von der Terrasse der gläsernen Backstube, in der man den Bäckerinnen und Bäckern des Unternehmens bei ihrer Arbeit zusehen kann, blicken die Gäste auf den Fährhafen Mukran, über den nach 1990 der Abzug der Roten Armee aus Deutschland abgewickelt wurde. Lauter geschichtsträchtige Orte der Insel Rügen, auf der die Bäckerei Peters heute eine kulinarische Institution ist.

Angefangen hat alles 1964 in einer kleinen Konditorei an der Sassnitzer Karl-Marx-Straße mit der Backstube im Hinterhof. Die Kuchen und Torten von Ursula und Otto Peters waren bald auf der ganzen Insel begehrt. Nach 1990 konnte der Betrieb erweitert werden, es kamen Cafés und Ladengeschäfte in Binz und Bergen dazu. Nils Peters, der das Unternehmen heute führt, absolvierte seine Bäckerlehre in Bremerhaven und kam 2003 auf die Insel zurück, um den Betrieb seiner Eltern zu übernehmen. Insulaner sind Traditionalisten, und auch auf Rügen galt: „Wat de Buer nich kennt, dat frett he nich.“ Das war bei den Fischern nicht anders, wohl aber bei den Sommergästen, die seit 1989 aus ganz Europa kamen. Die wollten zu Matjes und Räucherlachs nicht nur das gute alte Vollkorn. Eines Tages aß Nils Peters in einer Bergener Gaststätte ein Fleischgericht, das über Alpenwiesenheu gegart worden war. Das erinnerte ihn an den Geruch der Salzwiesen auf Mönchgut, deren Heu mit Wildkräutern vermischt ist und die früher den besonderen Geschmack des Rügener Käses garantierten. Diese kulinarische Entdeckung brachte den jungen Bäckermeister auf die Frage, ob man solch ein Aroma nicht auch in ein Brot backen könnte. Nach einigen Versuchen mit Roggensauerteig, Sonnenblumenkernen und Salzwiesenheu kam 2014 das erste gelungene Salzwiesenbrot aus dem Ofen. Seitdem gehört dieses ebenso würzige wie lockere Brot, das nur auf Bestellung gebacken wird, zu den Favoriten in Peters’ Brotsortiment. Die Kundenpost feiert es inzwischen als „das beste Brot seit Jahrzehnten“ und als „gebackene Kindheitserinnerung“.

Einer Kindheitserinnerung verdankt auch das zweite Inselbrot seine Entstehung. Neben dem Elternhaus von Nils Peters gab es eine Fischräucherei, in deren Öfen Bücklinge und Flundern geräuchert wurden. Deren Geruch nach Buchenholz und Fischöl war eine Reminiszenz an die Heimatstadt. Nachdem das Salzwiesenbrot ein Erfolg geworden war, überlegte Peters, ob es im Sortiment nicht auch ein Brot geben müsste, das nach Ostsee schmeckt. Er ließ sich einen Räucherofen bauen und versuchte, Brotlaibe zu räuchern. Aber die Probebrote schmeckten bitter und hatten im Innern nichts von dem Buchenholzaroma angenommen.

Heute wird der Roggen für die Brote zuerst gekocht und danach fast fünf Stunden lang geräuchert, ehe er wie ein Gewürz mit anderen Zutaten in den Brotteig gegeben und gebacken wird. Das Ergebnis ist ein rauchig-rustikales Backwerk, das gut zu Fisch oder Käse passt. Zum Zeichen, dass es sich um ein echtes Rauchkorn von Rügen handelt, wird durch ein Rundloch im Laib ein geflochtener Stropp mit einem Achtknoten geschlagen, den die Bäcker erst von einem Fischer lernen mussten. Der Knoten ist zum Markenzeichen geworden und erinnert an den maritimen Ursprung des Rauchkorns.

Inzwischen kommen wöchentlich mehr als 150 Stück von beiden Brotsorten aus den Mukraner Backöfen. Gut die Hälfte davon wird über den Rügendamm aufs Festland geschickt. „Rügen schmeckt nach so viel mehr als nur nach Sanddorn“, sagt Nils Peters. Und die Zahl der Salzwiesen- und Rauchkornbrotbesteller nimmt Jahr für Jahr zu.


Salzwiesenbrot

Zutaten (für sechs Brote)
2000 g Roggenvollkornmehl, 1000 g Weizenmehl, 120 g Hefe, 750 g Sonnenblumenkerne, 500 g Leinsamen, 130 g Meersalz, 100 g Salzwiesenheu, 2000 ml Wasser (ca. 26 Grad warm).

Zubereitung
130 ml Wasser mit dem Roggenvollkornmehl vermengen, kneten und abgedeckt 12 Stunden ruhen lassen. Sonnenblumenkerne und Leinsamen rösten und mit etwas Wasser und Meersalz ebenfalls 12 Stunden stehen lassen. Dann die Hefe im restlichen Wasser auflösen und mit allen anderen Zutaten in der Küchenmaschine etwa 7 Minuten mischen. Den Teig abgedeckt 1 Stunde ruhen lassen und in das Salzwiesenheu einrollen. Kastenform ausfetten, Teig einfüllen, danach 30 Minuten abgedeckt ruhen lassen. Dann in den auf 230 Grad vorgeheizten Backofen schieben und bei einer Temperatur von 180 Grad 45 Minuten lang backen. Nach Ende der Backzeit aus der Form stürzen und auf einem Gitterrost abkühlen lassen.

Café Bäckerei Peters
Neu Mukran 19b, Sassnitz/Rügen,
Tel. 038392/31011, Mo bis So 7 bis 18 Uhr

mare No. 130

Oktober / November 2018

Von Holger Teschke und Annette Hauschild

Holger Teschke, geboren 1958 auf Rügen und dort aufgewachsen, fuhr bis 1980 zur See und studierte anschließend Schauspielregie in Berlin. Er ist Autor von zahlreichen Theaterstücken, Hörspielen, Reisebüchern und Essays.

Annette Hauschild, Jahrgang 1969, lebt in Berlin. Sie ist Mitglied der Agentur Ostkreuz.

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Vita Holger Teschke, geboren 1958 auf Rügen und dort aufgewachsen, fuhr bis 1980 zur See und studierte anschließend Schauspielregie in Berlin. Er ist Autor von zahlreichen Theaterstücken, Hörspielen, Reisebüchern und Essays.

Annette Hauschild, Jahrgang 1969, lebt in Berlin. Sie ist Mitglied der Agentur Ostkreuz.
Person Von Holger Teschke und Annette Hauschild
Vita Holger Teschke, geboren 1958 auf Rügen und dort aufgewachsen, fuhr bis 1980 zur See und studierte anschließend Schauspielregie in Berlin. Er ist Autor von zahlreichen Theaterstücken, Hörspielen, Reisebüchern und Essays.

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