Krieg um Liegen

An den Stränden kämpfen Urlauber um die besten Plätze. Die „Belegpraxis“ stellt Hoteliers vor bizarre Probleme

Sie kennen mich. Mein Badelaken misst 1,50 mal 1,70 Meter. Farbe: am liebsten Hummer. Ich bin jedes mal früher da als Sie. Bestimmt war es mein Frottee, das damals vor Ihrer Nase den letzten Schattenpilz am Wüstenstrand von Hurghada belegte. Oder das ersehnte Plätzchen auf der Dünenkrone von Maspalomas.

Jeden Morgen bin ich bereits aus der Ferne unübersehbar für Sie: ein rotes Tuch. Ob im „Interconti“ auf Bali, ob auf der „Arkona“ nach Lissabon, gewiss nehmen Sie voller Neid meine farbige Duftmarke zur Kenntnis. Der begehrteste Liegestuhl ist stets damit garniert. Besetzt von mir. Von meinesgleichen. Von Abermillionen. Und unsere Zahl wächst jede Saison. Fintenreich handhaben wir, was uns die Spaßgesellschaft als flauschigste Waffe zu bieten hat: das Badetuch.

Auch ich war einmal anders. Wie Sie vielleicht. Einsame Wattwanderungen zum Horizont, Robinson-Crusoe-Gefühle an verlassenen Stränden. Eines Tages passierte es. Mit Luftmatratzen fielen sie ein in meine verschwiegene Bucht an der Ägäis, die Gesichter blass, Last-Minute-Tickets in der Tasche. Von nun an war meine Klippe eingenommen. Tag für Tag lag immer schon ein Badetuch da, mit BMW-Logo drauf. Oh nein, ich habe nichts gegen sportive Fahrer, fahre ja selbst nur auf der Überholspur. Ehrlich gesagt, ich fühlte mich überrumpelt von solcher Unverfrorenheit am Mittelmeer. Mein erstes Aha-Erlebnis.

Das zweite folgte kurz danach. Ein Werbespot der Biermarke Carling Black Label. Der hat mir die Augen geöffnet. Ein soeben erwachter Engländer tritt auf den Hotelbalkon und lässt sein Handtuch lässig über das Poolbecken segeln. Es landet auf einer Liege, die gerade ein bierbäuchiger Deutscher ansteuert. Das Handtuch des Engländers entfaltet sich, und zum Vorschein kommt: der Union Jack. Gequält lächelnd kapituliert der Deutsche. Ausgebremst.

Was war die Lektion? Erstens: Keine falsche Bescheidenheit, sonst findest du dich in der letzten Reihe wieder. Zweitens: Da draußen tobt ein Badetuchkrieg. Ausländer machen dir den Platz streitig.

Doch diesem Vorurteil setzt Julia unwiderruflich ein Ende. „Handtuch hinlegen – damit fingen die Deutschen an. Jetzt ist es eine Massenepidemie. Die anderen, etwa die Briten, haben dazugelernt.“ Julia Steinke ist Managerin des Inter Club Atlantic in Playa del Inglés auf Mallorca. Seit Jahren beobachtet sie, wie die Engländer uns „German Krauts“ die Tricks abgucken.

Nicht alle sind so, höre ich da? Klingt politisch korrekt. Natürlich gibt es sie noch, die Fairplay-Nostalgiker jenseits des Kanals. Viele kennen die Anekdote: Über Nacht ließen britische Hotelgäste die von ihren deutschen Miturlaubern sorgsam platzierten Handtücher verschwinden. Zur Strafe für die Platzhirsche. Rührend. Als die Deutschen am Morgen nur leere Liegestühle vorfanden, war der Teufel los. Sicherlich lesen auch Sie im „Vermischten“, wie es bei derlei Anlässen zugeht: Die gegnerischen „Poolratten“, „Schirmwichtel“ und „Speckbojen“ werden aus der Kampfzone geprügelt.

Keineswegs, dass ich solches Vorgehen immer gutheiße. Mir geht es um den Standard, die Norm. „Badetücher sind tabu“, so drückt das ein Mann der Praxis aus. Der Spanier Rubén Llach, Kundenbetreuer des Strandresorts „Tamarindos“ auf Gran Canaria: „Handtücher markieren so etwas wie Eigentum.“ Angestammtes Territorium also. Ich weiß, unsere Juristen sehen das anders. Sie meinen, wer eine gebührenfreie Liege mit seinem Handtuch besetzt, während er abwesend ist, tut etwas Unerlaubtes. Unerlaubt! Auch wenn man im Landesinneren eine Likörfabrik besichtigen muss und die anderen wie Hyänen auf den eigenen Platz lauern? Welcher Mensch würde da freiwillig seine Ansprüche aufgeben? Weltfremde Juristen. Vergessen Sie alle Spitzfindigkeiten über echten „Besitz“ oder bloße „Innehabung einer Sache“. De facto zeigt das Badetuch an, welcher Flecken vergeben ist.

Je rascher das alle begreifen, desto mehr Exzesse lassen sich vermeiden. Denken Sie an die Niederländer, die unweit vom „Tamarindos“ für Furore sorgten. Zur Mittagszeit waren wie immer alle Hotelgäste fort zum Essen und ihre Poolstühle mit Handtüchern belegt. Das passte den Hitzköpfen aus Rotterdam nicht. Kurzerhand versenkten sie die Tücher im Becken – und den protestierenden Portier gleich mit. Nach diesem Vorfall wurde dem Hotelchef ernsthaft vorgeschlagen, Parkuhren auf die Liegen zu montieren, um die Nutzungsdauer festzustellen. Ja, Parkuhren. Wozu? Wären die Holländer früher in ihre Holzpantinen gekommen, hätten sie sich schon ein Plätzchen sichern können.


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mare No. 24

No. 24Februar / März 2001

Von Thomas Worm und Frank Nikol

Thomas Worm, Jahrgang 1957, lebt als freier Autor in Berlin. In mare No. 21 schrieb er über den Alltag auf dem Forschungsschiff „Sonne“.

Frank Nikol, 1957 geboren, arbeitet als freier Zeichner in Hamburg. Dies ist seine erste Veröffentlichung in mare

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Vita Thomas Worm, Jahrgang 1957, lebt als freier Autor in Berlin. In mare No. 21 schrieb er über den Alltag auf dem Forschungsschiff „Sonne“.

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Vita Thomas Worm, Jahrgang 1957, lebt als freier Autor in Berlin. In mare No. 21 schrieb er über den Alltag auf dem Forschungsschiff „Sonne“.

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