Krieg in den Mangroven

Gier nach Shrimps bedroht die Meereswälder von Ecuador und die Familien, die von ihnen leben

Sie raucht. Wenn der Pazifik sein Wasser zur Ebbe zurückzieht, raucht sie die ganz Starken, die „Full Speed" und die kolumbianischen „Pielroja". Schwarzer Tabak, filterlos, von fernen Manufakturen in dünnes weißes Papier gerollt, oder krumme Zigarren, billigstes Kraut aus dem kleinen Laden vom Steg in ihrem Dorf.

Hacinta ist eine Conchera, eine von Tausenden Frauen, die täglich bei Niedrigwasser mit dem Kanu in die Mangroven fahren. Täglich suchen sie im freigegebenen Schlick zwischen den Wurzeln des Gezeitenwaldes nach den Concha-Muscheln. Wer nicht raucht, setzt sich schutzlos den Millionen von Mücken aus, der Malaria und dem Gelbfieber.

Noch vor Sonnenaufgang, so wollen es die Gezeiten heute, läuft die 46-jährige Hacinta an den Strand unter den Pfahlhäusern von Palma Real. Ihr Dorf liegt im nördlichsten Winkel des südamerikanischen Staates Ecuador, im Wasserland der schwarzen Afro-Ecuadorianer; es ist die Endstation der „grünen Provinz" Esmeraldas. Hacinta wirft einen kurzen Blick auf die Mündung des Río Mataje in den Pazifik und auf die Mangrovenküste auf der anderen Seite des Flusses. Dort ist schon Kolumbien. In der hohlen Hand steckt sie sich eine „Full Speed" an, nimmt ihren Korb, ihren Gummihandschuh und die Rauchfackel aus der Schote der Kokosblüten und steigt in den Einbaum. Ihr Mann Leoncio, ihre zwei Söhne und ihre Freundin Ofrasia warten im Boot.

Leoncio drückt das Kanu seicht am Ufer entlang. Der Mangrovenwald zeigt bereits seine grauschwarzen Beine, das in der Ebbe atmende nasse Wurzelgeflecht unter den üppigen grünen Blättern, geschwungen wie wilde Wellen aus Holz. Die Kinder tauchen ihre Hände in eine Schale mit Dörrfisch und Kochbananen - Frühstück vor einem Arbeitstag im Gezeitenwald. Dann geht die Sonne auf, wie immer um diese Tageszeit am Äquator.

Eine Stunde später erreichen die Concheras den Estero, jenen Salzarm des Mangrovenwaldes, den sie heute für das Sammeln der Muscheln bestimmt haben. Es ist still. Noch im Boot balsamieren sie sich mit Speiseöl ein, rauchen noch eine Schwarze und zünden das Kokosbündel an. Eingenebelt in den Rauch, steigt die Gruppe barfuß in den tiefgrauen Schlick. Hacinta versinkt bis zu den Waden im schmatzenden Boden der Ebbfläche. Die Rauchfackel zwischen Daumen und Zeigefinger der Linken gedrückt, hangelt sich die zierliche Frau mit den anderen drei Fingern an den Wurzeln vorwärts oder balanciert frei zwischen den Rinnsalen des ablaufenden Wassers. Sie läuft sicher und flink durch den tiefen Schlammteppich, stets nach vorne gebeugt, die Schlupflöcher der Krebse vor Augen und die rechte, in Gummi gehüllte Hand immer wieder bis zur Elle in den modrig riechenden Sumpf getaucht.

„Da ist nichts. Da ist nichts", ruft sie ihrer Freundin halblaut zu, „kaum Conchas!" „Sollen wir woanders suchen?", fragt Ofrasia durch die die Stimmen dämpfenden Mangroven zurück. Hacinta antwortet mit einem leisen Stöhnen, klettert weiter über die nassen Luftarme des Meerwaldes, spuckt den rußig-rauchigen Geschmack von sich und beginnt zu singen.

Die glitschigen Wurzeln der Bäume finden in der schwülen Hitze der Esteros nicht die Zeit zum Trocknen, denn die Flut wirft bereits nach wenigen Stunden wieder den Mantel des Pazifiks über das dichte Geäst. Es dauert nicht lange, und Hacinta ist bis zum Kopftuch voll mit Schlamm. Unter dem Kokosrauch läuft ihr ein Krebs über den tief gebeugten Rücken. „Da ist nichts."

Fünf Stunden sammeln die Concheras, bis das Wasser zurückkehrt, bis die Uhr des Meeres die Arbeit für heute beendet. Morgen um sechs geht es wieder raus, an eine andere Stelle, wo vielleicht mehr ist als diese 460 Conchas heute, die samt Schale mit Mühe einen eimergroßen Korb füllen. Mit der Tagesernte hat Hacintas Familie zusammen umgerechnet zwölf Mark verdient, wenn sie sie verkauft. „Das reicht gerade für eine Mahlzeit. An Tagen wie heute essen wir abends nicht. Früher haben wir die Muscheln zu Hunderten oben im Schlick aufgelesen. Doch in den letzten Jahren ist es ein ständiger Feiertag der Conchas - dann verstecken sie sich."

Vielleicht waren auch zuvor die großen Conchera-Gruppen aus der Stadt San Lorenzo in Hacintas Estero. Die Flut verwischt alle Spuren. Doch auch wo die Auswärtigen nicht eindringen - die Conchas werden immer weniger. Die Menschen in den 25 Dörfern des Mangroven-Reservates Cayapas-Mataje bangen um ihre Lebensgrundlage. Die traurigen „Feiertage" der Muscheln zwischen den nach Luft schnappenden Wurzeln sind für die Suchenden kein Fest.


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mare No. 20

No. 20Juni / Juli 2000

Von Peter Korneffel und Alex Webb

Peter Korneffel, Jahrgang 1962, ist freier Reporter für Lateinamerika-Themen und lebt seit 1994 in Ecuador. Er schreibt über ökologische, soziale und touristische Themen. 1999 erschien sein MAI's Weltführer: Ecuador mit Galápagos-Inseln.

Alex Webb, geboren 1952, gehört der Fotoagentur Magnum an. Er hat mehrere Bildbände veröffentlicht, u. a. über den Amazonas, Haiti und Florida.

Autor und Fotograf haben hier erstmals für mare gearbeitet

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Vita Peter Korneffel, Jahrgang 1962, ist freier Reporter für Lateinamerika-Themen und lebt seit 1994 in Ecuador. Er schreibt über ökologische, soziale und touristische Themen. 1999 erschien sein MAI's Weltführer: Ecuador mit Galápagos-Inseln.

Alex Webb, geboren 1952, gehört der Fotoagentur Magnum an. Er hat mehrere Bildbände veröffentlicht, u. a. über den Amazonas, Haiti und Florida.

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Person Von Peter Korneffel und Alex Webb
Vita Peter Korneffel, Jahrgang 1962, ist freier Reporter für Lateinamerika-Themen und lebt seit 1994 in Ecuador. Er schreibt über ökologische, soziale und touristische Themen. 1999 erschien sein MAI's Weltführer: Ecuador mit Galápagos-Inseln.

Alex Webb, geboren 1952, gehört der Fotoagentur Magnum an. Er hat mehrere Bildbände veröffentlicht, u. a. über den Amazonas, Haiti und Florida.

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