Krabbenkampf

Sonne, Nordsee, Krabbenbrötchen – für viele das perfekte Urlaubsglück. Doch hinter dem Postkartenidyll verbirgt sich eine Milliarden­industrie, deren Akteure mit harten Bandagen kämpfen

Mit einem kräftigen Satz springt Nils Sander von der Kaimauer an Deck seines Krabbenkutters „Uranus“. Sein Heimathafen Dornumersiel, gleich gegenüber der Nordseeinsel Langeoog, liegt verschlafen in der Mittagssonne. Auch Sander lässt es ruhig angehen, schraubt noch ein wenig an der Maschine, räumt an Deck auf. Er ist ein groß gewachsener Mann, trägt tatsächlich ein blau-weiß gestreiftes Fischerhemd, eine Piratenmütze aus schwarzem Leder und einen großen goldenen Ohrring mit seinen Initialen. Gestern ist er nur kurz hinausgefahren, zu schlecht war das Wetter. Jetzt startet der 38-Jährige einen zweiten Versuch.

Wenn es gut läuft, werden er und sein Deckmann für zwei, drei Tage unterwegs sein und ein Dutzend Kisten Nordseekrabben mit nach Hause bringen. Keine schlechte Ausbeute, jede Plastikwanne fasst 20 Kilogramm.

Es ist Sanders Traumjob. Als er zum ersten Mal mit fünf Jahren auf einem Kutter mitfuhr, wusste er: Ich will Krabbenfischer werden. Doch inzwischen sind die guten Fänge ein zweifelhaftes Glück. Denn die Preise für Nordseekrabben sind im Keller. „Für ein Kilo zahlt mir der Großhändler zurzeit gerade einmal 1,65 Euro“, sagt Sander. „Aber ich habe keine andere Wahl. Es gibt nur zwei Abnehmer – und die diktieren die Preise.“

Sonne, Nordsee, Krabbenbrötchen – für Millionen von Deutschen ist das der perfekte Sommer. Sie flanieren durch friesische Hafenstädtchen, wo Ebbe und Flut den Tagesrhythmus bestimmen, versuchen sich mehr oder weniger erfolgreich beim Krabbenpulen. Doch hinter der Postkartenidylle verbirgt sich eine ganz andere Welt: eine Großindustrie, in der Krabben gekühlt und zum Schälen nach Marokko gekarrt werden. Es ist ein Millionengeschäft, das zwei niederländische Konzerne unter sich aufgeteilt haben. Selbst europäische Kartellbehörden kennen inzwischen die Fischerstädtchen Greetsiel und Büsum, sie machen Razzien und verhängen Millionenstrafen. Und mittendrin sitzt Nils Sander auf seiner blau-weißen „Uranus“ und versteht sein kleines Universum nicht mehr. Wie der Preis für ein Kilogramm Krabben entsteht, kann er kaum noch nachvollziehen.

Dirk Sander ist der Vater von Nils Sander und ebenfalls Krabbenfischer. Ein wohlbeleibter Herr Ende fünfzig, auf den Unterarmen verblassen die Tattoos, am Ohr baumelt der Goldohrring mit den Initialen „DS“. Seit Jahren ist Sander Krabbenfunktionär, er hat den Kutter gegen den Schreibtisch getauscht. Von seinem Häuschen hinterm Deich in Nessmersiel spinnt er als Präsident des Landesfischereiverbands Weser-Ems die Fäden. Zugleich sitzt er der Erzeugergemeinschaft Weser-Ems-Gebiet vor, in der sich rund 140 Hochsee-und Küstenfischer organisiert haben.

Eigentlich könnte Sander zufrieden sein. Im Unterschied zu Dorsch oder Seehecht gibt es für Krabben keine Mengenbeschränkung. Den Beständen geht es gut, denn wegen des Klimawandels erwärmt sich das Wasser, und die natürlichen Feinde ziehen sich zurück. Auch die Nachfrage ist da: Deutsche, Holländer und Belgier schwören auf den Minikrebs. Das Jahr 2008 hatte Deutschlands Krabbenfischern sogar einen Rekordumsatz von 50 Millionen Euro gebracht, mit Abstand der höchste Erlös im Vergleich zu Kabeljau oder Heilbutt. Etwa 3,80 Euro verdienten sie je Kilogramm. Doch es war wohl ein Ausreißer. Ein Jahr später liegt der Kilopreis bei unter zwei Euro. Fachleute gehen davon aus, dass er noch weiter sinkt. „Zwei Euro je Kilo reichen nicht zum Überleben“, sagt Sander.

Schaut man sich den Krabbenpreis genau an, gibt es tatsächlich Ungereimtheiten. Peter Breckling, Generalsekretär des Deutschen Fischerei-Verbands, quält sich regelmäßig durch endlose Fischpreistabellen der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. Im Jahr 2008 seien die Fänge durchschnittlich gewesen, erzählt Breckling. Aber die Händler hätten gute Preise gezahlt, weil erstmals ein neuer Wettbewerber, Royal Greenland, Ware nachgefragt habe. 2009 waren Nachfrage und Fangmengen vergleichbar. Nur die Preise rauschten in den Keller. „Das ist doch wirklich hochinteressant“, sagt Breckling.

Auch die Fischer sind alarmiert. Die Kilopreise sind seit Monaten das Thema, egal ob in den Häfen oder im Internet. „100 Gramm Krabbenfleisch kosten bei uns in Marne 3,49 Euro“, schreibt ein Krabbenfischer im Internet, „und was bekommen wir fürs Kilo? 1,70 bis 2,25 Euro. Da versteh einer den Handel.“

Der Handel. Er ist Dreh- und Angelpunkt in dem Geschäft. An ihn verkaufen Nils Sander und seine Kollegen ihren Fang. Doch sie haben keine große Wahl. Zwei Unternehmen aus den Niederlanden machen die Preise. Sie heißen Heiploeg und – sinnigerweise – Klaas Puul. Zusammen kommen sie auf einen Marktanteil von rund 80 Prozent.


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mare No. 78

No. 78Februar / März 2010

Von Marlies Uken und Kat Menschik

Marlies Uken, freie Journalistin in Berlin, erstand bei der Recherche im Hafen von Fedderwardersiel ein Kilo Krabben. Das Pulen war schwieriger als gedacht. Fünf Stunden brauchte sie dafür. Die Ausbeute war jämmerlich, wurde aber mit Genuss verspeist.

Marlies Uken lebt in Berlin und Brandenburg als freie Zeichnerin. Zuletzt illustrierte sie die Erzählung Schlaf von Haruki Murakami. Ihr Verhältnis zu Krabben ist pragmatisch. „Ein Teller voll mit Krabben? Jederzeit!“

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Vita Marlies Uken, freie Journalistin in Berlin, erstand bei der Recherche im Hafen von Fedderwardersiel ein Kilo Krabben. Das Pulen war schwieriger als gedacht. Fünf Stunden brauchte sie dafür. Die Ausbeute war jämmerlich, wurde aber mit Genuss verspeist.

Marlies Uken lebt in Berlin und Brandenburg als freie Zeichnerin. Zuletzt illustrierte sie die Erzählung Schlaf von Haruki Murakami. Ihr Verhältnis zu Krabben ist pragmatisch. „Ein Teller voll mit Krabben? Jederzeit!“
Person Von Marlies Uken und Kat Menschik
Vita Marlies Uken, freie Journalistin in Berlin, erstand bei der Recherche im Hafen von Fedderwardersiel ein Kilo Krabben. Das Pulen war schwieriger als gedacht. Fünf Stunden brauchte sie dafür. Die Ausbeute war jämmerlich, wurde aber mit Genuss verspeist.

Marlies Uken lebt in Berlin und Brandenburg als freie Zeichnerin. Zuletzt illustrierte sie die Erzählung Schlaf von Haruki Murakami. Ihr Verhältnis zu Krabben ist pragmatisch. „Ein Teller voll mit Krabben? Jederzeit!“
Person Von Marlies Uken und Kat Menschik