Kopfüber

Ein Wiesbadener Künstler fotografiert Schiffe in Einzelbildern von Brücken herab und komponiert die Teile neu – reizvolle Ansichten von Schiffen, die real sind und doch fiktiv

Schiff, sagt der Wiesbadener Fotograf Dirk Brömmel, sei eine ungewöhnliche Form. Man könne diese wie einen Rahmen betrachten, den eine Leinwand umfängt. Seit Jahren lichtet er Schiffe von oben ab, von Brücken – dann, wenn die Wasserfahrzeuge darunter hindurchgleiten. Er fotografiert sie mit Langmut, und er wird nicht müde dabei. Vielleicht, weil jedes Schiff anders ist. Vielleicht, weil ein Schiff mehr ist als ein Schiff. Die Aufsicht der Schiffskörper stellt er frei, vor monochromem, teils bizarr buntem Hintergrund. „Kopfüber“ heißt die Bildserie, die so entstanden ist.

Ein Schiff ist immer ein wenig wie die Arche Noah. Ein Zufluchtsort. So können wir die Schiffe Brömmels begreifen: als Urform einer sich fortbewegenden Behausung. Dieser archaischen Form kommt Brömmel mit der Digitaltechnik des 21. Jahrhunderts bei. Er fotografiert die Schiffe mit einer Digitalkamera, je nach Länge des Schiffes in bis zu 70 Einzelaufnahmen, um die einzelnen Teilausschnitte später am Computer zusammenzusetzen. Das fertige Bild zeigt das Deck an allen Punkten in direkter Aufsicht. Es ist eine Neukomposition, die der Wirklichkeit sehr ähnelt und dennoch fiktiv ist.

Dieses Fiktive, das Künstliche ist den Schiffsbildern des 1968 geborenen Fotokünstlers stets immanent. Brömmel gelingt es, die Wirklichkeit als ein Modell ihrer selbst wirken zu lassen. So viele Bruttoregistertonnen Stahl, einst mühsam auf Werften zusammengeschweißt, beladen mit Fracht, schmilzt die fotografische Inszenierung Brömmels ein, macht die Boote, Containerschiffe, Öltanker und Passagierschiffe zu ambivalenten Objekten, denen man nicht trauen kann. Natürlich nicht: Denn wenn die Wirklichkeit so aussieht wie ein Modell, dann kann man der Wirklichkeit nicht trauen.

In der Spannung zwischen Abbild und Inszenierung, zwischen Dokument und Fiktion liegt der besondere Reiz dieser Arbeiten. Brömmels Werkreihe muss sich nicht entscheiden, muss nicht Dokument sein oder Typologie. Sie zieht ihre Faszination aus der Gleichzeitigkeit: Sie ist Technik- und Sozialstudie, aber auch ein Beispiel für fotografische Abstraktion. Denn auch so kann man diese Bilder sehen: als grafische Signatur einer Oberfläche, als abstrahierendes, konstruktivarchitektonisches Bildkonzept. Der Blick von oben zeigt die Welt nicht immer in schöner Ordnung, nicht immer die Realität.

Brömmels Arbeiten folgen dem irritierenden Ansatz, Unmögliches zu zeigen – etwas auszuleuchten, was man in Wirklichkeit nicht sehen kann. Sie sind der Versuch einer neuen Perspektive, einer neuen Art der Wahrnehmung.

mare No. 74

No. 74Juni / Juli 2009

Von Marc Peschke und Dirk Brömmel

Marc Peschke, Jahrgang 1970, Kunsthistoriker, Kulturjournalist und Fotokünstler, schreibt viel und gerne über zeitgenössische Fotokunst, vor allem, wenn sie neue Perspektiven eröffnet.

Dirk Brömmel, Jahrgang 1968, ist Fotograf und Konzept-Künstler. Er lebt und arbeitet in Wiesbaden.

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Vita Marc Peschke, Jahrgang 1970, Kunsthistoriker, Kulturjournalist und Fotokünstler, schreibt viel und gerne über zeitgenössische Fotokunst, vor allem, wenn sie neue Perspektiven eröffnet.

Dirk Brömmel, Jahrgang 1968, ist Fotograf und Konzept-Künstler. Er lebt und arbeitet in Wiesbaden.
Person Von Marc Peschke und Dirk Brömmel
Vita Marc Peschke, Jahrgang 1970, Kunsthistoriker, Kulturjournalist und Fotokünstler, schreibt viel und gerne über zeitgenössische Fotokunst, vor allem, wenn sie neue Perspektiven eröffnet.

Dirk Brömmel, Jahrgang 1968, ist Fotograf und Konzept-Künstler. Er lebt und arbeitet in Wiesbaden.
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