Kommt ein Schweinchen übers Meer

Ein Nagetier aus den Anden verwirrt erst die Entdecker und dann die Etymologen. Unter doppelt falschem Namen macht der Exot in Europa Karriere

Drei Jahre waren sie auf den Schiffen „Resolution“ und „Adventure“ um die Welt gesegelt. Die Männer um James Cook hatten als Erste den südlichen Polarkreis überquert und konnten sich als Entdecker von Neukaledonien rühmen. Mit an Bord: der Naturforscher Johann Georg Forster. Gemeinsam mit seinem Vater hatte er neue Pflanzen und Tiere bestaunt, hatte beobachtet, gesammelt und katalogisiert. Auf dem Heimweg, der Äquator lag gerade in seinem Rücken, notierte der 20-Jährige im Juni 1775: „Die Mannschaft hatte in der Zwischenzeit einige Hayfische und ein Meerschwein gefangen, welche sie mit gutem Appetit speiseten.“

Natürlich war das, was damals aus den Fluten gezogen wurde, kein Meerschweinchen. Wie in den zurückliegenden Monaten hatte Forster ein Tier lediglich so akkurat benannt, wie es die seinerzeit noch junge biologische Systematik zuließ. Als Wort unterscheidet sich das Meerschweinchen vom Meerschwein durch nur vier Buchstaben, in natura ist der Unterschied erheblich, und würde Forster heute leben, so hätte er die von ihm benutzte Bezeichnung zu den Akten gelegt. Statt vom „Meerschwein“ würde er vom „Schweinswal“ sprechen, korrekter noch vom „Gewöhnlichen Schweinswal“ oder, um jedes Missverständnis auszuschließen, von Phocoena phocoena.

Auch das Hausmeerschweinchen ist dank seines lateinischen Namens heute eindeutig zu bezeichnen: Cavia aperea f. porcellus. Doch es ist so wenig ein Schwein, wie der Schweinswal eines ist, und die Zeiten, in denen es mit dem Meer zu tun hatte, liegen Jahrhunderte zurück. Die Vorfahren des Hausmeerschweinchens stammen aus dem Andenhochland Perus und Nordchiles. Bis zu 7000 Jahre alte Knochenfunde beweisen, dass die damaligen Bewohner die Tiere aus einer anderen Perspektive betrachteten, als die meisten Menschen es heute tun. Für sie waren Meerschweinchen Jagdbeute.

Vor rund 3000 Jahren hatten die Indios wohl genug davon, den kleinen Nagern hinterherhetzen zu müssen. Sie domestizierten sie und konnten sich somit auch in Notzeiten aus den Fleischtöpfen bedienen. Diese kulinarischen Vorlieben hielten bis in die Zeit der Inka, die in der Heimat des Meerschweinchens lebten, als die Spanier sie zu Beginn des 16. Jahrhunderts erreichten.

Es war Francisco Pizarro, der ab 1532 das Inkareich zerstörte. Neben Hunden, Lamas und Alpakas hielt der Eroberer auch die Meerschweinchen als Haustiere der Einheimischen für erwähnenswert. Die Menschen schätzten nicht nur deren Fleisch und Fell; sie opferten sie darüber hinaus ihren Göttern, und Archäologen fanden ihre mumifizierten Reste in den Gräbern besonderer Verstorbener. Mitte des 16. Jahrhunderts traten die ersten Meerschweinchen ihre Reise über den Atlantischen Ozean Richtung Europa an. Da die Spanier auf Märkten der Inka erlebt hatten, mit welcher Selbstverständlichkeit das Fleisch der Tiere direkt vom Grill angeboten wurde, werden sie die Meerschweinchen auf ihren Schiffen als Proviant mitgenommen haben. Den Landsleuten daheim stand der Geschmack jedoch nicht nach Nagetier, und die Karriere des Meerschweinchens sollte in der Alten Welt anders verlaufen.

Als „Entdecker“ des Meerschweinchens blieb den Spaniern die erste Namensgebung vorbehalten. Sie nannten es conejillo de Indias, also „kleines Kaninchen aus Indien“ – eine Reminiszenz an Christoph Kolumbus. Als dieser 1492 auf der Suche nach einem westlichen Seeweg Richtung Asien auf Haiti und andere Inseln stieß, war er davon überzeugt, Indien erreicht zu haben. Das Missverständnis verfestigte sich, und noch heute wird der karibische Inselbogen, der sich von Florida bis nach Venezuela erstreckt, als Westindische Inseln bezeichnet. Im Spanischen heißen diese, als Abgrenzung zu India (Indien), Las Indias. Im französischen Wort cochon d’Inde, Schwein aus Indien, wird diese Unterscheidung nicht getroffen.


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mare No. 60

No. 60Februar / März 2007

Von Dietmar Falk und Kat Menschik

Dietmar Falk, Jahrgang 1965, arbeitet als Autor in Berlin. Namensforschung ist sein Steckenpferd – in mare No. 48 schrieb er über Entdecker und ihre Fantasie bei der Namensgebung von Eilanden und Küsten.

Die Berliner Illustratorin Kat Menschik, geboren 1968, zeichnet für Zeitungen und illustriert Bücher. Die letzten Tiere, die sie für mare gezeichnet hat, waren Paviane in No. 52.

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Vita Dietmar Falk, Jahrgang 1965, arbeitet als Autor in Berlin. Namensforschung ist sein Steckenpferd – in mare No. 48 schrieb er über Entdecker und ihre Fantasie bei der Namensgebung von Eilanden und Küsten.

Die Berliner Illustratorin Kat Menschik, geboren 1968, zeichnet für Zeitungen und illustriert Bücher. Die letzten Tiere, die sie für mare gezeichnet hat, waren Paviane in No. 52.
Person Von Dietmar Falk und Kat Menschik
Vita Dietmar Falk, Jahrgang 1965, arbeitet als Autor in Berlin. Namensforschung ist sein Steckenpferd – in mare No. 48 schrieb er über Entdecker und ihre Fantasie bei der Namensgebung von Eilanden und Küsten.

Die Berliner Illustratorin Kat Menschik, geboren 1968, zeichnet für Zeitungen und illustriert Bücher. Die letzten Tiere, die sie für mare gezeichnet hat, waren Paviane in No. 52.
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