Koffer in Seenot

Gottvertrauen ist gut, Schwimmwesten sind besser. Was der Mensch im Kampf gegen das Ertrinken erfand

Eigentlich hatte es der kluge Noah beizeiten vorgemacht. Als nämlich die zürnenden Wasser alles Lebendige zu verschlingen drohten, zimmerte er seinen Riesenkahn; der glückliche Ausgang ist bekannt. Mithin scheint die Arche das erste Rettungsboot überhaupt. Doch obwohl die christliche Seefahrt nie ohne Bibel reiste, blieb die Idee des prophetischen Blaus unbeachtet. Es vergingen Epochen, bis gegen Anfang der Neuzeit jedes Schiff seine Miniarche mit an Bord führte.

Noch länger dauerte die Einführung der so genannten individuellen Rettungsmittel wie Rettungsbojen, Schwimmwesten oder -ringe. Bis dahin behalf man sich im Wesentlichen mit allem, was einem bei Gefahr unter die Finger kam und genügend Auftrieb versprach: Planken, Hühnerkisten, Hundehäuser, leere Fässer. Auch im Neuen Testament wissen die Schiffbrüchigen nicht anders, als entweder schwimmend zu „entrinnen an das Land“ oder „auf Brettern, etliche auf dem, was vom Schiff war“ (Lukas, 27). Wegen des langsamen Sinkverhaltens der Holzschiffe blieb oft genug sogar noch Zeit, Treibgut zu richtigen Flößen zusammenzubinden. Das legendäre „Floß der Medusa“ war derart möglich geworden, und auch Odysseus kam noch rechtzeitig auf einen tragenden Gedanken: „Eilends ergriff ich das Tau und verband den Kiel und den Mastbaum. Setzte mich darauf und trieb durch den Sturm und die tobenden Fluten.“ So gefeiert von Homer in seinem Zwölften Gesang der „Odyssee“.

Gottvertrauen hieß offenbar das entscheidende Rettungsmittel der frühen Seefahrer. Zwar zeigen antike Reliefs schiffernde Krieger mit über die Körper gerollten Papyruszelten; andere Darstellungen preisen die mit Luft gefüllten Ziegenhäute oder entsprechend aufblasbare Gedärme. Die alten Chinesen hingegen gaben mehreren ausgehöhlten und miteinander verbundenen Kürbishälften den Vorzug, während im Mittelalter schwimmfähige Lederharnische, Binsenmatten oder gar hohle „Wasserschilde“ aus Blech die Menschheit über Wasser hielten. Und selbst aufblasbare Ringe, mit denen ein Ritter in voller Rüstung durch tiefes Wasser kam, soll es gegeben haben, nebst Erfindungen, die wie heutige Wathosen aussehen, hüftnah abgeschlossen von einem kautschukartigen Wulst. Indes waren das eher Schwimmhilfen denn Hilfen in der Seenot. Nicht auszuschließen allerdings, dass sie dennoch auf manchen Schiffen mitgeführt wurden, vorsichtshalber.

Erst als die halbe Welt unter Segeln stand, blickte man sozusagen auch über Bord, bevor es an Bord ging. Der Untergang der „Adventure“ 1789 vor der Küste des englischen Shields, bei dem die gesamte Mannschaft vor den Augen Tausender Helfer am Ufer den Tod fand, hatte nicht nur den Ruf nach sichereren Rettungsbooten lauter werden lassen. Auch die Entwicklung weiterer „kollektiver Rettungsmittel“ wie Leinen abschießende Kano- nen wurde beschleunigt. Besonders herausragend war hierbei die Erfindung des Briten William Manby von 1807. Der nach ihm benannte Mörser verschoss Taue, an denen dann Flöße zwischen Ufer und Wrack geführt werden konnten.

In gleichem Maß entwickelten sich die individuellen Rettungsmittel. Vielleicht 300 Jahre alt ist die wesentliche Geschichte der Rettungsbojen, -westen oder -ringe. Letztere könnten, folgt man dänischen Seefahrtshistorikern, im Jahr 1726 erfunden worden sein: die so genannten Rettungskränze. Entsprechende Abbildungen finden sich allerdings erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, vorwiegend in den seinerzeit beliebten und äußerst detailgetreuen Kapitänsbildern. Während die in Kisten und Schränken verstauten Rettungswesten nicht gemalt wurden, beweisen unterschiedlichste Varianten von Rettungsbojen, dass der Sicherheitsgedanke zu dieser Zeit buchstäblich Oberwasser bekommen hatte. Modelle und Gemälde jener Tage zeigen zudem außenschiffs hängende Beiboote.

Die meist aus Kork gefertigten Rettungsbojen gehörten bald zur wesentlichen Ausrüstung, vor allem auf französischen und englischen Schiffen. Gegen Mitte des 18. Jahrhunderts waren es mit Tauen verbundene Platten, hoch angehängt an Masten. Wenig später bereits warben kompliziertere Modelle um Anerkennung. Etwa jene „lighted buoy“ von 1754, die Idee des englischen Hobbyerfinders William Shipley. Das kupferne Bötchen war rundum verlötet und mit einem weder von Sturm noch Regen zu löschenden Licht versehen. Mehrere Seile waren an die Reling dieser in damaligen Zeitungen bewunderten „Rettungsmaschine“ geknotet, bis zu sechs Schiffbrüchige konnten sich daran festhalten.

Die übliche Bauart aber blieb die mit langen Rundhölzern ausgestattete Korkplatte, an der Leinen und Korkbällchen hingen. Obwohl Jahrzehnte in Gebrauch, wissen heute nur historisch Bewanderte dieses Gebilde einzuordnen. Dem verwunderten Leser einer englischen Zeitschrift wurde es kürzlich als „Gerät zum Aufhängen von frischem Fleisch“ gedeutet.


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mare No. 29

No. 29Dezember 2001 / Januar 2002

Von Maik Brandenburg

Maik Brandenburg, geboren 1962, ist mare-Redakteur für Gesellschaft und Politik.

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Vita Maik Brandenburg, geboren 1962, ist mare-Redakteur für Gesellschaft und Politik.
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