Kims grösster Fang

Als Nordkorea im Kalten Krieg ein US-Spionageschiff kaperte, gelang den kommunistischen Machthabern ein militärischer Coup, den sie noch heute feiern

Der Blick des Soldaten ist hasserfüllt. Er fuchtelt mit seinem Gewehr in Richtung Ausgang, bellt ein paar Kommandos. Ein Schlag trifft den Navy-Offizier Edward Murphy im Rücken. Es besteht kein Zweifel: Den Anordnungen des nordkoreanischen Soldaten ist Folge zu leisten. Murphy steigt die Leiter zum Deck seines Schiffes hinauf, wo ein weiterer bewaffneter Nordkoreaner auf ihn wartet. Männer aus Murphys Crew schauen ihm stumm entgegen. Dann werden ihnen allen die Augen verbunden, während ein eisiger Wind über Deck pfeift. Es ist der 23. Januar 1968, und für die 83 Männer der „USS Pueblo“ hat soeben ein Albtraum begonnen.

Angefangen hatte alles mit einem geheimnisvollen Brief. An einem Apriltag im Jahr 1967 überreicht ein Bote Murphy eine Nachricht der Navy: Er solle, so steht darin, am 5. Mai den Dienst auf der „USS Pueblo“ antreten. Murphy hat von dem Schiff noch nie gehört. Ein Anruf in der Zentrale wirft weitere Fragen auf. „Dieses Schiff ist anders“, heißt es mysteriös. Im Übrigen, so der Navy-Mann am anderen Ende der Leitung, brauche Murphy für den Dienst eine höhere Einstufung auf der Geheimhaltungsskala. „Höher als top secret ?“, fragt Murphy. „Das gibt es doch gar nicht, oder?“ Die Antwort kommt ohne Zögern: „Doch, gibt es.“

Was hat es mit diesem Schiff auf sich? Als Murphy seinen Dienst antritt, ist er zunächst enttäuscht. Die „USS Pueblo“ ist klein und über 20 Jahre alt. Dann fallen ihm acht Antennen auf. Wenig später werden riesige Kisten angeliefert, aus denen Spezialisten Kassettenrekorder, Radios und komplizierte elektronische Geräte auspacken. Im Inneren des Schiffes wird nun an mehreren Türen ein dreifaches Schließsystem angebracht. Diese Räume dürfen nur Eingeweihte betreten.

Als die „Pueblo“ nach zahlreichen Schwierigkeiten und Reparaturen die amerikanischen Gewässer verlässt, wissen viele aus der Besatzung nicht, was ihre Mission ist. Auch das Ziel kennen sie nicht. Offiziell heißt es, man betreibe meereswissenschaftliche Forschung; zwei Ozeanografen sollen die Tarnung aufrechterhalten. Weil sich aber auch 27 Techniker an Bord befinden, ahnt wohl jeder, dass es bei dieser Fahrt nicht um Meereswissenschaften geht. In Japan kommen zwei weitere Technikspezialisten an Bord; sie sprechen ein wenig Koreanisch. Nun wird klar, wohin die Reise geht: in Richtung Nordkorea.

Der Erste Offizier Edward Murphy kennt zu diesem Zeitpunkt bereits alle Details. Er weiß, dass sein Schiff vor der Küste Nordkoreas Radioprogramme und Funksprüche auffangen soll. Schiffspionagemissionen sind nichts Neues. Bereits seit den fünfziger Jahren tauchen sowjetische Fischdampfer, ausgestattet mit moderner Abhörtechnologie, regelmäßig in der Nähe von US-Kriegsschiffen, vor Cape Kennedy und der Atom-U-Boot-Basis im schottischen Holy Loch auf. Weil sich die sowjetischen Abhörer in internationalen Gewässern befinden, können die Amerikaner nichts tun, außer es ihren Feinden nachzumachen.

Die „USS Pueblo“ ist nicht das erste Schiff, das sie ins Rennen schicken. Aber es ist wohl das am schlechtesten vorbereitete. Denn das Schiff ist zwar mit allerneuester Abhörtechnik ausgestattet, dafür gibt es Probleme mit dem überalterten Steuerungssystem. Darüber hinaus haben die meisten der Technikspezialisten keinerlei See-Erfahrung, und für militärische Ernstfälle hat man sie nicht trainiert. Koreanisch sprechen nur die zwei Neuen an Bord, und die sagen von sich selbst, ihre Sprachkenntnisse seien viel zu dürftig, um Funksprüche zu verstehen. Außerdem sollen die Hunderte Kilogramm Geheimdokumente, die sich im Bauch der „Pueblo“ befinden, im Ernstfall mithilfe zweier kleiner Papierschredder zerstört werden. Edward Murphy macht vor Antritt der Mission auf diesen Missstand aufmerksam; behoben wird er nicht. Denn was soll schon passieren? Der Auftrag der „Pueblo“ lautet, sich stets in internationalen Gewässern aufzuhalten. Weil Nordkorea einen Streifen von zwölf Meilen vor seiner Küste für sich beansprucht, heißt es, man solle einen Abstand von mindestens 14 Meilen halten. Murphy und sein Kapitän Lloyd Mark Bucher rechnen zwar damit, dass man sie beobachten wird, ernsthafte Schwierigkeiten aber befürchten sie nicht.

Niemand hat Bucher informiert, dass die Rhetorik des nordkoreanischen Führers Kim Il Sung in den Tagen vor Beginn der Mission schärfer wird. Niemand berichtet ihm, dass am 17. Januar 1968 nordkoreanische Agenten einen Attentatsversuch auf den südkoreanischen Präsidenten unternehmen. Und Bucher erfährt auch nicht, dass zuvor ein Mitarbeiter in der National Security Agency voller Sorge ein Blitzschreiben an das Pentagon verfasst hat, als er vom Einsatz der „Pueblo“ erfährt. „Die nordkoreanische Marine“, heißt es darin, „reagiert auf jedes Kriegsschiff und jedes Fischerboot Südkoreas, das sich der nordkoreanischen Küste nähert.“


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mare No. 78

No. 78Februar / März 2010

Von Marike Frick

Marike Frick, Jahrgang 1980, freie Journalistin in Hamburg, ist selbst im Sozialismus aufgewachsen. Wenn sie an 1968 denkt, hat sie daher eher den Prager Frühling vor Augen als die 68er-Bewegung. Das Schicksal der „USS Pueblo“, so erfuhr sie während ihrer Recherchen, ging im allgemeinen Trubel dieses bewegten Jahres denn auch schnell unter.

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Vita Marike Frick, Jahrgang 1980, freie Journalistin in Hamburg, ist selbst im Sozialismus aufgewachsen. Wenn sie an 1968 denkt, hat sie daher eher den Prager Frühling vor Augen als die 68er-Bewegung. Das Schicksal der „USS Pueblo“, so erfuhr sie während ihrer Recherchen, ging im allgemeinen Trubel dieses bewegten Jahres denn auch schnell unter.
Person Von Marike Frick
Vita Marike Frick, Jahrgang 1980, freie Journalistin in Hamburg, ist selbst im Sozialismus aufgewachsen. Wenn sie an 1968 denkt, hat sie daher eher den Prager Frühling vor Augen als die 68er-Bewegung. Das Schicksal der „USS Pueblo“, so erfuhr sie während ihrer Recherchen, ging im allgemeinen Trubel dieses bewegten Jahres denn auch schnell unter.
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