Keines Dorf ganz groß

Ende der 1930er beginnt die Linienfliegerei über den Nord­atlantik. Und so rückt ein einsames Fischerdorf im äußersten Wes­ten Irlands ins Zentrum eines großen Kapitels der Luftfahrtgeschichte

Zu Beginn der 1930er-Jahre ist der Atlantik für die meisten Menschen unüberwindbar, es sei denn, sie nehmen eine lange Schiffsreise auf sich. Die damaligen Flugzeuge kommen für reguläre Passagierflüge zwischen Europa und Amerika nicht infrage. Sie sind zu klein, zu langsam, zu schwer, und sie brauchen feste Start- und Landebahnen, von denen es kaum welche gibt. 1937 verunglückt das deutsche Luftschiff „Hindenburg“, womit die Ära der Zeppeline, die den Ozean überqueren, nach kurzer Zeit beendet ist. Was also bleibt noch? Flugboote. Sie können überall landen, wo Wasser ist, und fast alle großen Städte der Welt liegen am Wasser, entweder in Meeresnähe oder an großen Flüssen.

Der charismatische Präsident der Pan American World Airways, Juan Trippe, ist fasziniert von der Flugbootidee und lässt bereits 1933 Flugpionier Charles Lindbergh Erkundungsflüge in Irland durchführen; er soll mögliche Standorte für eine Flugbootbasis finden. Denn klar ist, dass auch die großen, ozeantauglichen Flugboote es nicht ohne Zwischenstopps von Europa nach Amerika schaffen würden. Irland als westlichster Außenposten der Alten Welt, von wo aus das kanadische Neufundland nur 3700 Kilometer entfernt liegt, bietet sich da als Start- und Landepunkt für Transatlantikflüge an.

Lindbergh fokussiert sich bald auf den Mündungsarm des Shannon River. Bereits 1935 einigen sich die Regierungen von Großbritannien, Kanada und Irland mit der Provinzregierung von Neufundland auf einer Konferenz in Ottawa auf die Einrichtung von Passagier- und Luftpostdiensten über den Nordatlantik, mit der Klausel, dass alle Transatlantikflüge einen Zwischenstopp in Irland einlegen müssen. Aber so schnell ist der für die Flugbootbasis vorgesehene Platz im County Clare nicht bereit. Es muss schnell Ersatz her. Und so kommt es, dass ein verschlafenes 500-Seelen-Dorf namens Foynes im Westen Irlands quasi über Nacht zum wichtigsten Drehkreuz des zivilen Langstreckenluftverkehrs avanciert.

Foynes war bereits seit 1846 ein wichtiger Seehafen, dank seines geschützten Naturhafens im Shannon River, knapp 50 Kilometer von seiner Mündung in den Atlantik entfernt, aber Eile gab es hier nie. Nun ist es mit der dörflichen Ruhe vorbei. Die Regierung beschlagnahmt das „Monteagle Arms Hotel“ und lässt es zum Terminal umfunktionieren. Meteorologen ziehen mit ihren aufwendigen Gerätschaften als Erste hier ein, dann kommen Funkoffiziere, Zollabfertigung, Passkontrolle, Flugüberwachung und Airlinebüros.

Ende 1936 ist Foynes bereit für seine neue Aufgabe im Weltluftverkehr. Doch zunächst müssen Testflüge absolviert werden. Nationale Eitelkeiten auf beiden Seiten des Atlantiks spielen eine große Rolle bei der Frage, wer zuerst zu Testflügen über den Ozean starten darf. Schließlich einigt man sich auf einen Kompromiss zur Gesichtswahrung, der wichtiger zu sein scheint als die Bedürfnisse der Piloten der gewagten Flüge. Die Flugboote der britischen Imperial Airways und der Pan American sollen gleichzeitig starten. Am 5.  Juli 1937 hebt die Sikorsky S-42 „Clipper III“ der Pan American vom Flugbootterminal in Botwood, Neufundland, Richtung Irland ab, in Foynes die Short S.23C „Caledonia“ der Imperial Airways.

Kapitän Arthur Sidney Wilcockson erinnert sich: „Es regnete, die Wolken hingen tief, und der Wind blies mit 30 Meilen, ganz und gar keine gute Nacht für einen Ausflug dieser Art.“ Die „Irish Times“ berichtet am nächsten Tag: „Als die ‚Caledonia‘ den Kai passierte, jubelte die große Menschenmenge. Plötzlich änderte sich das Motorengeräusch in ein durchdringendes Dröhnen, als die volle Kraft ihrer 3600 PS freigesetzt wurde. Nur 40 Sekunden nachdem Vollschub gegeben wurde, hob sich die ‚Caledonia‘ aus dem Wasser und verschwand in Richtung Ozean.“ Der Flug verläuft glatt, und das Flugboot landet nach 15 Stunden und 25 Minuten in Neufundland. Der Pan-American-Clipper schafft es dank Rückenwind bereits nach zwölf Stunden und 31 Minuten, in Foynes zu landen. Der Beweis der Machbarkeit ist erbracht, aber zur Aufnahme regulärer Passagierdienste fehlen weiterhin geeignete Fluggeräte.


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mare No. 125

No. 125Dezember 2017 / Januar 2018

Von Andreas Spaeth

Andreas Spaeth, Jahrgang 1966, Luftfahrtjournalist in Hamburg, besuchte während der Recherche in Foynes auch das dortige Flugbootmuseum. Am besten gefallen hat ihm der weltweit einmalige Nachbau eines Boeing-314-Flugboots in Originalgröße.

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Vita Andreas Spaeth, Jahrgang 1966, Luftfahrtjournalist in Hamburg, besuchte während der Recherche in Foynes auch das dortige Flugbootmuseum. Am besten gefallen hat ihm der weltweit einmalige Nachbau eines Boeing-314-Flugboots in Originalgröße.
Person Von Andreas Spaeth
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