Kein Lamm mehr auf „U16“

Es gibt viele Geschichten über Köche und Küchen. Aber keine aufregenderen als die eines U-Boot-Smuts in seiner Pantry

Kaum hat Obermaat Steve Heller die erste Hühnchenbrust ins Bratfett gleiten lassen, da weiß seine Crew auch schon, was er kocht. Die Kombüse auf „U16“ hat keine Tür, sie liegt am Gang von der Operationszentrale ins Vorschiff, und eine Dunstabzugshaube fehlt ebenfalls. Gerüche wabern durchs ganze Boot. „Ich hab mal auf 100 Meter Tiefe Lamm angebraten“, berichtet der Smut „das hat so gestunken, dass wir zum Lüften auftauchen mussten.“

Heller ist 28 und hat sein Handwerk in der „Zechliner Hütte“ bei Rheinsberg gelernt. „Brandenburgische Küche, Pfefferfleisch mit Staudensellerie, solche Sachen.“ Später, während seines Wehrdiensts als Funker beim Flottenkommando, entdeckte er einen Aushang der U-Boot-Flottille, die Köche suchte. Das ist besser als funken, dachte er sich und schickte seine Bewerbung los. Ohne zu überlegen, wie der Job auf einem U-Boot wohl aussehen mag. Er hatte sich vorher noch nie mit U-Booten beschäftigt, weder „Das Boot“ von Lothar-Günther Buchheim gelesen noch den Film von Wolfgang Petersen gesehen. Und deshalb stand er dann das erste Mal an seinem neuen Arbeitsplatz und murmelte nur: „Scheiße, ist das eng.“

In Fahrtrichtung vorn sein Herd, drei Platten, Backofen, im Staufach darunter Töpfe und Pfannen. Rechts an der Bordwand ein Vorratsschrank, unter der Arbeitsplatte achtern das ausziehbare Spülbecken, daneben der Kühlschrank – das alles auf zwei Quadratmetern. Die Vorräte sind im Vorschiff verteilt, wobei Improvisation über militärische Ordnung geht: Unter der Decke hängt ein Netz mit Brot, in einer Kiste neben den Kojen lagert Gemüse, Obst, Käse und Joghurt, in einem Torpedorohr liegen Selters und Saft, und über der Minenwurfanlage klemmen Cornflakeskartons. „Proviant für zwei Wochen eben“, sagt Heller wie zur Entschuldigung und rührt schnell noch eine Rote Grütze an. Wasser, Pulver, fertig.

Schon der Einkauf ist eine Wissenschaft; Bestellungen sind fristgerecht vor Abfahrt beim Proviantmeister der Flottille einzureichen, der nachrechnet, ob erstens der Nährwert stimmt – je Mann und Tag auf See 3600 Kilokalorien – und zweitens das Budget reicht. „Bei Rinderfilets zeigt er mir gleich ’nen Vogel“, klagt Heller, „aber selbst Nutella streicht er jedes Mal – zu teuer.“ Allerdings ist der Smut bei seiner Planung sowieso nicht wirklich frei. „Die Crew mag nur herzhafte Sachen, Schnitzel, Frikadellen. Und bloß keinen Fisch.“

Gewöhnungsbedürftig war für Heller auch der Dienstplan. Ein Smut ist rund um die Uhr im Einsatz. Um Mitternacht serviert er einen Imbiss, ab fünf Uhr macht er Frühstück, gegen halb neun beginnt er mit dem Mittagessen. Wenn er um eins den Kuchen gebacken hat, kann er bis halb vier schlafen, dann macht er sich ans Abendessen.

Fünf Mahlzeiten am Tag, eigentlich zu viel für eine Truppe, die sich nicht bewegt. Auf 48,60 Meter U-Boot ist kaum Auslauf. Trotzdem bekommen die Soldaten als Erschwerniszulage den höheren Verpflegungssatz, weshalb Heller trickst, wo er nur kann. „Wenn ein Rezept Sahne verlangt, nehme ich eben Milch. Damit die nicht so fett werden.“

Heller selbst ist ein ziemlich dünner Hering, wahrscheinlich kommt er nie richtig zum Essen, und außerdem wird ihm akrobatisches Geschick abverlangt, wenn er bei Seegang am Herd hantiert. Deshalb trägt er zur weißen Jacke und Pepitahose des Kochs die schweren Bundeswehrstiefel, „für den besseren Stand“.

Zum Glück. Denn einmal haben sie vergessen, ihn zu warnen, dass sie den Notaufstieg proben. Im steilen Winkel schoss „U16“ nach oben, Hellers Ofen klappte auf und drei Bleche Pizza kippten ihm auf die Füße. „Da gab es eben Eintopf aus der Dose“, sagt Steve Heller, der Stoiker. Wobei ihn die Besonderheiten des U-Boot-Kochens gelegentlich doch nerven. Wie neulich, als er Kuchen backen wollte und der Teig ewig nicht aufging. Bei Schnorchelfahrt herrscht Unterdruck im Schiff, das bekommt der Hefe nicht. Es sollte ein Geburtstagskuchen werden, noch eine von Hellers improvisierten Spezialitäten. Weil offenes Feuer im Schiff nicht erlaubt ist, steckt er statt Kerzen immer eine Taschenlampe in den Kuchen. „Meine U-Boot-Fahrer“, sagt er, „brauchen solche kleinen Extras.“ Wie beim Mittagessen heute: Von Hühnchen und Beilagen geht einiges in den Mülleimer. Nur die Schälchen mit der Roten Grütze sind leer geputzt.

Obermaat Hellers Tunfischpizza

Zutaten (für vier Personen)
1 kg Brötchenbackmischung, 3 Päck-chen Hefe, 200 g Tomatenmark, 200 g Ketchup, Dosentunfisch, Schinken, Käse, Zwiebeln, Knoblauch, Oregano, Paprikapulver und -schoten.

Zubereitung
Backmischung und Hefe in 1 Liter warmem Wasser verkneten, 1 Stunde ruhen lassen, dann ausrollen. Tomatenmark und Ketchup verrühren, mit Paprikapulver und Oregano würzen. Den ausgerollten Teig damit bestreichen und mit den übrigen Zutaten belegen. Im vorgeheizten Ofen bei 180 Grad circa 40 Minuten backen. Käse darübergeben und abschließend noch einmal 10 Minuten in den Ofen.

mare No. 68

No. 68Juni / Juli 2008

Von Olaf Kanter und Martin Kollar

Olaf Kanter, geboren 1962, hat Anglistik und Geschichte studiert. Bei der Zeitschrift mare betreute er bis Ende 2007 die Ressorts Wissenschaft und Wirtschaft. Seit 2008 ist er Textchef im Ressort Politik bei Spiegel Online. Er lebt in Hamburg.

Martin Kollar, geboren 1971 in Zilina in der Tschechoslowakei (heute Slowakei), studierte an der Akademie der Darstellenden Künste Bratislava, an der Filmfakultät, Abteilung Kamera. Seit seinem Abschluss arbeitet er als freiberuflicher Fotograf und Kameramann. Er erhielt mehrere Stipendien und Auszeichnungen, darunter den Prix Elysee und den Oscar Barnack Award. Seine Werke wurden weltweit ausgestellt, darunter im Brooklyn Museum, in der Slowakischen Nationalgalerie (Bratislava), im Martin-Gropius-Bau in Berlin, im Tel Aviv Kunstmuseum und im Musee Elysee (Lausanne). Zu seinen bisherigen Büchern gehören: Nothing Special (2008), Cahier (2011) Field Trip (MACK, 2013) Catalogue (Slovak National Gallery, 2015) Provisional Arrangement (Mack/ Musee Elyse 2016). Als Kameramann hat Martin an einer Reihe von Filmen gearbeitet, darunter Koza (2015), Velvet Terrorists (2013), Cooking History (2009), 66 Seasons (2003) und andere. Er gab sein Regiedebüt - 5. Oktober (2016).

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Vita Olaf Kanter, geboren 1962, hat Anglistik und Geschichte studiert. Bei der Zeitschrift mare betreute er bis Ende 2007 die Ressorts Wissenschaft und Wirtschaft. Seit 2008 ist er Textchef im Ressort Politik bei Spiegel Online. Er lebt in Hamburg.

Martin Kollar, geboren 1971 in Zilina in der Tschechoslowakei (heute Slowakei), studierte an der Akademie der Darstellenden Künste Bratislava, an der Filmfakultät, Abteilung Kamera. Seit seinem Abschluss arbeitet er als freiberuflicher Fotograf und Kameramann. Er erhielt mehrere Stipendien und Auszeichnungen, darunter den Prix Elysee und den Oscar Barnack Award. Seine Werke wurden weltweit ausgestellt, darunter im Brooklyn Museum, in der Slowakischen Nationalgalerie (Bratislava), im Martin-Gropius-Bau in Berlin, im Tel Aviv Kunstmuseum und im Musee Elysee (Lausanne). Zu seinen bisherigen Büchern gehören: Nothing Special (2008), Cahier (2011) Field Trip (MACK, 2013) Catalogue (Slovak National Gallery, 2015) Provisional Arrangement (Mack/ Musee Elyse 2016). Als Kameramann hat Martin an einer Reihe von Filmen gearbeitet, darunter Koza (2015), Velvet Terrorists (2013), Cooking History (2009), 66 Seasons (2003) und andere. Er gab sein Regiedebüt - 5. Oktober (2016).
Person Von Olaf Kanter und Martin Kollar
Vita Olaf Kanter, geboren 1962, hat Anglistik und Geschichte studiert. Bei der Zeitschrift mare betreute er bis Ende 2007 die Ressorts Wissenschaft und Wirtschaft. Seit 2008 ist er Textchef im Ressort Politik bei Spiegel Online. Er lebt in Hamburg.

Martin Kollar, geboren 1971 in Zilina in der Tschechoslowakei (heute Slowakei), studierte an der Akademie der Darstellenden Künste Bratislava, an der Filmfakultät, Abteilung Kamera. Seit seinem Abschluss arbeitet er als freiberuflicher Fotograf und Kameramann. Er erhielt mehrere Stipendien und Auszeichnungen, darunter den Prix Elysee und den Oscar Barnack Award. Seine Werke wurden weltweit ausgestellt, darunter im Brooklyn Museum, in der Slowakischen Nationalgalerie (Bratislava), im Martin-Gropius-Bau in Berlin, im Tel Aviv Kunstmuseum und im Musee Elysee (Lausanne). Zu seinen bisherigen Büchern gehören: Nothing Special (2008), Cahier (2011) Field Trip (MACK, 2013) Catalogue (Slovak National Gallery, 2015) Provisional Arrangement (Mack/ Musee Elyse 2016). Als Kameramann hat Martin an einer Reihe von Filmen gearbeitet, darunter Koza (2015), Velvet Terrorists (2013), Cooking History (2009), 66 Seasons (2003) und andere. Er gab sein Regiedebüt - 5. Oktober (2016).
Person Von Olaf Kanter und Martin Kollar