Kein guter Stern

Marcus Garvey, exaltierter Führer der Schwarzen in Amerika, hatte einen Plan: sein Volk zurück nach Afrika zu führen. Aber die Schiffe seiner Black Star Line fuhren ins Fiasko

An den Docks der 135. Strasse in Harlem flatterten rot-schwarz-grüne Flaggen, aus einem Phonographen klang „Get on board, leave this land“, 5000 begeisterte Zuschauer sangen mit. Sie feierten bei Limonade und Karamell am Ufer des North River die Taufe der SS „Frederick Douglass“. Ein energischer, bulliger Mann in Fantasie-uniform erhob sich, seine zukünftige Frau Amy zog ihren Arm von seiner Taille, die Troddeln an seinen Schulterklappen kitzelten sie. Es war der 23. November 1919, ein großer Tag im Leben des Marcus Garvey. Er begann seine Rede mit den Worten: „Fellowman of the negro race …“ Die Anrede „fellowman“ ist eigentlich amerikanischen Präsidenten vorbehalten, doch der Redner beanspruchte ebenfalls, ein Oberhaupt zu sein. Er nannte sich „Präsident von Afrika“.

„Wir haben etwas erreicht, das jeden Neger glücklich machen sollte: Wir taufen heute das erste Schiff der Black Star Line, die ,Frederick Douglass‘.“ Frederick Douglass, der Namensgeber, war ein ehemaliger Sklave, der zu einer berühmten Stimme der American Anti-Slavery Society und 1872 Kandidat der Equal Rights Party für das Amt des Vizepräsidenten wurde.

„Die Negerrasse hat seit Jahrhunderten anderen dienen müssen. Nun ist die Zeit gekommen, dass wir uns selbst helfen. Hinter der Universal Negro Improvement Association stehen vier Millionen Neger, die der Black Star Line helfen, den Handel zwischen Amerika, Kanada, Süd- und Mittelamerika, Karibik und Afrika aufzunehmen.“

Wer war dieser „plumpe, dicke, halbseidene Mann, mit vorstehendem Kiefer, Doppelkinn und kleinen, hellen Schweinsaugen in seinem Hundegesicht“, wie ihn Robert Bagnall von der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) in seinem Pamphlet „The Madness of Marcus Garvey“ beschrieb? William Edward Burkhardt Du Bois, ebenfalls prominenter Bürgerrechtler der damaligen Zeit, gab darauf eine unmissverständliche Antwort: „Marcus Garvey ist ohne Zweifel der gefährlichste Feind der Negerrasse in Amerika und der Welt. Er ist entweder verrückt oder ein Verräter.“

Marcus Garvey, geboren 1887 auf Jamaika, war gelernter Drucker, wurde Publizist und gründete 1914 mit der Universal Negro Improvement Association and African Communities League (Unia-ACL) die größte afroamerikanische Massenorganisation der Geschichte. Die von ihm herausgegebene Zeitung „Negro World“ erreichte Auflagen bis zu 500 000 Exemplare in der Woche und war, von Seeleuten geschmuggelt, bis in die Karibik und nach Afrika verbreitet. Garvey und seine Anhänger hatten aus den erniedrigenden Lebensumständen der Schwarzen einen radikalen Schluss gezogen: In Amerika ist kein Platz für uns. Marcus Mosiah Garvey würde, getreu seinem zweiten Vornamen, sein Volk ins Gelobte Land führen: zurück nach Afrika. Auf einem Unia-Kongress wurde er zum provisorischen Präsidenten des schwarzen Kontinents gewählt.

Mochten die anderen Schwarzenführer mit weißen Liberalen um Bürgerrechte kämpfen und sich lustig machen über die Unia mit ihren Blaskapellen, den Umzügen der Black Nurses, dem Black Africa Red Cross, dem Universal African Motor Corps und allen voran mit ihrem Präsidenten in ordensgeschmückter Uniform und Federhut. Doch der hatte mehr als eine Million Anhänger hinter sich, nach seinen Angaben sogar vier Millionen. Die Unia betrieb Hotels für schwarze Geschäftsleute, Restaurant- und Wäschereiketten, die Afrikanische Orthodoxe Kirche, eine Kreditbank für Kleinunternehmer und, als Antwort auf die britische White Star Line, eine Schifffahrtsgesellschaft: die Black Star Line.

Millionen von Kleinaktionären – viele davon Wäscherinnen, Bauern, Gemüsehändler – hatten Fünf-Dollar-Anteile an der Black Star Line gezeichnet, keiner durfte mehr als 200 besitzen. Die „Frederick Douglass“ war der Stolz und die Hoffnung von Millionen, die „Mayflower“ des schwarzen Amerikas; irgendwann würde es damit nach Hause gehen, nach Afrika. „Wir standen auf einem Holzstapel“, so ein Zeitzeuge, „und sahen, wie Hunderte auf- und absprangen, Hüte und Taschentücher in die Luft warfen, ,Hurra‘ schrien, als das Schiff sich vom Kai löste und langsam den North River hinausglitt.“

Bis kurz zuvor hatte das Schiff unter dem Namen „Yarmouth“ noch als Kohletransporter im Ersten Weltkrieg gedient. Es war kein gutes Schiff. Für längere Fahrten musste so viel Treibstoff gebunkert werden, dass kaum Ladung aufgenommen werden konnte; es fuhr nur knapp 17 Knoten und war etwa 25 000 Dollar wert – bezahlt hatte die Unia aber 165 000. Kapitän Joshua Cockburn hatte bei dem schlechten Geschäft seine Taschen gefüllt, zudem war er ein miserabler Kapitän. Schon bei der ersten Fahrt unter der Flagge der Black Star Line lief die „Frederick Douglass“ im Hudson auf eine Sandbank; erst kurz bevor die Besatzung das Schiff seinem Schicksal überlassen wollte, kam es frei und setzte seine Fahrt nach Kuba fort. Der Auftrag lautete, Whiskey vor der drohenden Prohibition auszuführen – jedes Fass in US-Gewässern würde in wenigen Tagen beschlagnahmt werden. Aber Geschwindigkeit war nicht das, worauf die „Frederick Douglass“ ausgelegt war. Eigentlich hätten die Maschinen überholt werden müssen, und als versehentlich die Ventile geöffnet wurden, drang Seewasser ein. Die Besatzung warf die Fässer über Bord, wo sie von Begleitbooten aufgenommen wurden.

Das Unglücksschiff wurde repariert, und der Exporteur versprach 2000 Dollar mehr, wenn bei der nächsten Fahrt die wertvolle Ladung ans Ziel gelangen würde. Doch diesmal trank die Besatzung den Whiskey selbst und kam mit leeren Fässern in Havanna an. Auf der Rückfahrt rammten sie ein Riff. Kapitän Joshua Cockburn wurde durch einen Weißen ersetzt. Das verschuldete Unternehmen musste die „Frederick Douglass“ für 1625 Dollar verkaufen, gerade das Vierfache von Cockburns letztem Monatsgehalt.

Auch die nächsten beiden Schiffe der Black Star Line wurden überteuert gekauft; sie mussten sofort repariert werden und waren zu klein. Die Maschinen der „Antonio Maceo“, der ehemaligen Yacht von Standard-Oil-Gründer Henry Huttleston Rogers, explodierten bei den beiden ersten Fahrten, bei der dritten ließ ein betrunkener Schiffsingenieur Salzwasser in die Dampfkessel. Nach einer Überholung für 135 000 Dollar, das Doppelte des Kaufpreises, ließ man die „Antonio Maceo“ in einem kubanischen Hafen verrosten. Das dritte Schiff der Black Star Line, die „Shadyside“, diente einen Sommer lang New Yorkern als Ausflugsdampfer auf dem Hudson. Im November 1921 legte sie am Kai an der 157. Straße an und nie wieder ab – eine Reparatur lohnte nicht mehr. In drei Jahren hatte die Black Star Line gut eine Million Dollar verpulvert, die Hälfte davon durch Provisionen, Schmiergelder und Unterschlagungen.


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mare No. 71

No. 71Dezember 2008 / Januar 2009

Von Lorenz Schröter

Lorenz Schröter, 48, sind radikale Haltungen nicht fremd. Er war Punk, umradelte die Welt und verbrachte Jahre auf einer chinesischen Insel. Heute lebt er als Schriftsteller in Berlin und ist Autor der mare-Bücher Das kleine Kielschwein, Das kulinarische Kielschwein und Die kleine Kielsau.

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Vita Lorenz Schröter, 48, sind radikale Haltungen nicht fremd. Er war Punk, umradelte die Welt und verbrachte Jahre auf einer chinesischen Insel. Heute lebt er als Schriftsteller in Berlin und ist Autor der mare-Bücher Das kleine Kielschwein, Das kulinarische Kielschwein und Die kleine Kielsau.
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Vita Lorenz Schröter, 48, sind radikale Haltungen nicht fremd. Er war Punk, umradelte die Welt und verbrachte Jahre auf einer chinesischen Insel. Heute lebt er als Schriftsteller in Berlin und ist Autor der mare-Bücher Das kleine Kielschwein, Das kulinarische Kielschwein und Die kleine Kielsau.
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