Kaviar IV: Geduldsprobe

Kaviar aus der Aquakultur – für Gourmets klingt das wie die Versprechen der Alchemie. Nach Anlaufproblemen liefern die Züchter nun einen Rogen, der auch Feinschmeckern mundet

William Holst ist ein Geschäftsmann aus Prescott in Wisconsin, und zwar ein sehr erfolgreicher. Viehzucht, Baustoffe, Logistik, Gastronomie, er macht alles, wenn es nur Gewinn verspricht. Als er Fische für einen Teich auf seinem Land kauft, setzt er auch Störe aus. Er liest von der Überfischung, von schrumpfenden Kaviarexporten und den aktuellen Preisen für das teuerste Lebensmittel der Welt: bis zu 7000 Euro für ein Kilogramm.

Holst erkennt sofort: Wenn bei gegebener Nachfrage das Angebot schrumpft, entsteht ein Markt für die Alternative – Kaviar aus der Störzucht. Der Amerikaner hört sich um und entdeckt Ende der neunziger Jahre im ungarischen Komadi eine erste Anlage, die zum Verkauf steht. Im Jahr 2002 die nächste Gelegenheit, eine Störzucht in Fulda meldet Insolvenz an. William Holst greift zu und nennt seine Neuerwerbung „Desietra“, De wie Deutschland, sietra wie Ossietra, der Rogen des Russischen Störs.

Ein schöner Fisch, mit seinen auffällig hellen Knochenplatten auf dem Rücken, und er liefert einen hochwertigen Rogen. Trotzdem ist er bei der Belegschaft in Fulda nicht sonderlich beliebt. „Wehrt sich wie der Teufel, wenn man ihn aus dem Wasser fischen will“, erklärt Peter Steinbach, wissenschaftlicher Berater bei Desietra, „und vor den scharfen Kanten seiner Knochenschilde muss man sich höllisch in Acht nehmen.“ Zum Glück ist der Russe in der Minderheit, sein zahmer Verwandter aus dem hohen Norden, der Sibirische Stör, stellt 80 Prozent des Besatzes.

Beide Arten eint der Vorteil, dass sie unter optimalen Bedingungen früh Kaviar tragen – der „Sibirer“ nach vier, der „Russe“ nach fünf Jahren, und zwar bei einer handlichen Größe von ein bis anderthalb Metern. Die dritte Spezies in den künstlichen Fluten ist der Beluga, der weltgrößte Süßwasserfisch überhaupt; er wird maximal zwei Tonnen schwer und neun Meter lang. Die Exemplare, die in Fulda ihre Bahnen ziehen, sind gut zwei Meter groß – und mit acht Jahren immer noch zu jung, um Kaviar zu produzieren. Kein Fisch also, der sich ökonomisch züchten lässt. Steinbach nennt die Jumbos nachsichtig „die Spielzeuge unseres Chefs“.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 63. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

Der Betrieb von Desietra ist eine sogenannte Kreislaufanlage. Filter, Pumpen und Gebläse übernehmen alle Reinigungsprozesse, die auf offenen Gewässern die Natur besorgt. Unter einem Dach liegen 34 Becken mit einem Wasservolumen von 7000 Kubikmetern, das viermal pro Stunde durch Filter geschickt wird. Weil auch Bakterienkulturen und Bioreaktoren es nicht schaffen, die ammoniumhaltigen Ausscheidungen der Fische komplett zu schlucken, müssen rund sechs Prozent des Wassers jeden Tag ausgetauscht werden.

Die Aquafarmer halten die Fische einer Entwicklungsstufe zusammen. Sie haben separate Plastikwannen für frisch geschlüpfte Brut, kleine Bassins für drei Monate alte und etwa zehn Zentimeter lange „Fingerlinge“ und große Betonbecken für ältere Tiere. In der Natur fressen Störe vor allem Wasserflöhe, Krebse, Würmer und auch Schlamm; in der Gefangenschaft müssen sie sich mit einer modifizierten Forellendiät begnügen, einer Mixtur aus Fisch- und Krabbenmehl, Fischöl, Vitaminen, Soja und Weizen. Was Störe wirklich mögen, hat noch niemand erforscht Zweieinhalb Jahre lang können sich die Fische ungestört sattfressen, dann werden sie ein erstes Mal aus dem Wasser gefischt, zur Ultraschalluntersuchung. Erst in diesem Alter lässt sich das Geschlecht bestimmen. Die Männchen werden aussortiert – bis auf einige wenige Tiere für die Zucht – und an die Teichwirtschaft oder an Sportangler verkauft. Weibchen dürfen ein paar Jahre weiterfuttern, bis zum nächsten Termin beim Ultraschall, bei dem festgestellt wird, ob sie bereits Kaviar tragen.

Und dann wird geschlachtet. Ein Schlag auf den Kopf zur Betäubung, ein Schnitt durch die Kiemen, aus. Die Fische werden zehn Minuten zum Ausbluten aufgehängt, die Bauchdecke wird aufgeschnitten, der Kaviar entnommen und unter Laborbedingungen verpackt. Eingangsschleusen mit Bewegungsmelder, Raumluft mit Überdruck, Personal im OP-Kittel – wer die Keime unter Kontrolle behält, kann Kaviar auch ohne den traditionellen Konservierungsstoff Borax verarbeiten.

Die vorherigen Betreiber der Fischzucht in Fulda hatten einmal viel Wirbel mit der Ankündigung gemacht, sie könnten den Rogen per Kaiserschnitt gewinnen. Abgesehen vom Tierschutzgesetz, das solche Eingriffe eh verbietet, hielten selbst die Pragmatiker unter den Biologen die Prozedur nicht für machbar: Selbst wenn die Tiere überlebten, wären die Ovarien so stark beschädigt, dass der Fisch keinen Kaviar mehr produzieren könnte. Die Störzucht erlaubt keine Abkürzungen.

mare No. 63

No. 63August / September 2007

Von Olaf Kanter

Olaf Kanter ist mare-Redakteur für Wirtschaft und Wissenschaft.

Mehr Informationen
Vita Olaf Kanter ist mare-Redakteur für Wirtschaft und Wissenschaft.
Person Von Olaf Kanter
Vita Olaf Kanter ist mare-Redakteur für Wirtschaft und Wissenschaft.
Person Von Olaf Kanter