Kaviar fürs Volk

Ein halbes Dutzend „Gastmähler des Meeres“, Fischrestaurants in der DDR, gibt es noch heute. Auch ihre Urzelle in Weimar

Warum Weimar? Goethe hat nicht so viel über Fisch gedichtet und Schiller … halt, Schiller, ist da nicht was mit „Schillerlocken“? Natürlich war das jetzt ein gastronomischer Kalauer. Aber der ist immer noch die beste Erklärung, warum gerade im meerfernen Weimar das erste „Gastmahl des Meeres“ eröffnet wurde. Nicht einmal Rainer Schimunek weiß es, dabei war der heute 65-Jährige der Chefkoch im ersten einschlägigen Restaurant. Und das eröffnete am 28. 7. 1966 in Weimar. „Vielleicht“, meint Rainer Schimunek, „hatte unser Betriebsdirektor zuerst den Finger gehoben, als es um den Standort ging.“

Mitte der 1960er Jahre stellte Rudolf Kroboth, der Werbeleiter der VVB Fischfang Rostock, ein einzigartiges Konzept vor – eine Kette von Fischgaststätten quer durch die Republik. Die Idee fand offene Ohren. Fisch war, im Gegensatz zu Fleisch, eine stets verfügbare Ressource. Die DDR besaß eine der größten Fischfangflotten der Welt.

Auf Industriemessen hatte Kroboth zu vor zur Probe gekocht, was der Republik vorgesetzt werden sollte. Nach Weimar eröffneten noch im selben Jahr 15 weitere Gaststätten. Zum Ende der DDR zählte die Kette 33 Lokalitäten. Sie hatten einheitliche Menüs, auch Geschirr, Kleidung, „Tropf- und Platzdeckchen“ waren uniform. Kroboth machte nie einen Hehl daraus, wem er seine Idee zu verdanken hatte – den amerikanischen „Family-Restaurants und Fast-Food-Ketten“. Auch die Werbung hatte amerikanische Dimensionen. Um das Essen in den neuen Lokalen zu propagieren, wurde in fahrbaren Fischküchen eine Art Schaukochen veranstaltet. In Zeitschriften erschienen Anzeigen, in den Kinos wurden Dias gezeigt. Und im „Mosaik“ wurde den Comichelden Bratfisch als Kosmonautennahrung gereicht.

Bis zu 100 Gerichte drängelten sich auf der Karte, das Angebot war „lecker und reichhaltig“, wie es damals hieß. Hering, Seelachs, Dorsch waren immer verfügbar. „Manchmal“, sagt Schimunek, „hatte ich 600 Kilo Heilbutt im Kühlfach. Manchmal auch rief Kroboth an: ,Ich habe hier Rochenflügel, willst du die?‘“ Dick wie Elefantenohren seien die gewesen.
Zumindest kulinarisch war die Mauer offen. Die „Gastmähler“ servierten „Italiensches Risi Bisi vom Fisch“, der Schweiz näherte man sich per „Tessiner Fischschnitzel“, dem anderen Deutschland mit dem „Bremer Labskaus“. Letzteres kostete 3,50 Mark. „Das kann ich gar nicht mehr anbieten“, sagt Schimunek. „Dafür müsste ich heute über elf Euro nehmen.“ Bei der „Russischen Fischsoljanka“ gab es anfangs Bedenken. Sie wirkte zu alltäglich, zumal neben „Russischen Eiern auf Kaviar“ – „echtem rotem Keta-Kaviar“, betont der Koch. Gerade 1,50 Mark kostete die Vorspeise, selbst ein Hauptgericht schlug mit nur fünf Mark zu Buche.

Die Rezepte kamen meist von Kroboth selbst. Denn er agierte nicht nur als Werbechef der Rostocker Fischer. Vor allem war er der legendäre Fischkoch des DDR-Fernsehens. Regelmäßig verschickte Kroboth Rundschreiben an die Köche seiner Kette. Es waren Rezeptvorschläge, Informationen über Gewürze oder bestimmte Fischarten. Einmal im Jahr rief der Hobbykoch seine Küchenchefs in Rostock zu Schulungen zusammen. „Was er sagte“, so Schimunek, „hatte Hand und Fuß.“ Und was er besorgte, hatte meist Schwanz und Gräte. „Filets bekamen wir nur selten. Wir mussten selber pulen.“

Ein halbes Dutzend „Gastmähler des Meeres“ gibt es noch immer. Auch die Weimarer Urzelle. Die Anzahl der Gäste ist allerdings kleiner geworden. Jetzt drängeln sie sich nicht schon vormittags vor den Türen. „Früher kamen vorwiegend die Angestellten des Kreises und der Stadt, mit Essenbons für zwei Mark.“ Der Hit auf der Karte war „Makrele mit Geflügelleber“, bevorzugt geordert von den Gastarbeitern aus Mosambik und Algerien.
Er komme über die Runden, sagt Schimunek. Gleich nach der Wende wurde das Alubesteck gegen Edelstahl ausgetauscht, die blau-weißen Teller – „darauf wirkte jedes Gericht kalt“ – gegen weiße Keramik. Auch den Hockerkocher ersetzt längst ein großer Herd. Und von der alten Karte hat nur ein Gericht die Wende überlebt: „Russische Fischsoljanka“.


Rochen in Zwiebelsud

Zutaten (für vier Personen)
1 kg Rochenflügel, 400 g Kartoffeln,
4 Eier, 2 Zwiebeln, 100 g Mehl,
1 Zitrone, 1 EL Kapern

Zubereitung
Rochenflügel in siedendes Wasser geben, nach 10 Minuten Haut entfernen. Zum Garen einen neuen Sud bereiten: 1/4 l Wasser, einige Spritzer Essig und die Zwiebelscheiben aufkochen, den Fisch darin 10 Minuten ziehen lassen, dann portionieren, in Mehl wenden und durch das geschlagene Ei ziehen. Die Pfanne mit Butter vorheizen und bei mittlerer Hitze braten. Dem Bratfett einen Esslöffel Kapern zugeben, nach einer Minute mit dem Zitronensaft ablöschen und mit Salzkartoffeln servieren.

Gastmahl des Meeres
Herderplatz 16, Weimar, Tel. 03643/901 200, Öffnungszeiten: Di bis Sa 11 bis 22 Uhr, So und Mo 11 bis 15 Uhr

mare No. 78

No. 78Februar / März 2010

Von Maik Brandenburg

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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