Kauris – ein internationales Geld

Die Kaurischnecken werden als die bekannteste Muschelwährung gehandelt

Die Geschichte des Kauri-Muschelgeldes ist die Geschichte weltweiter Handelsbeziehungen. Sie führte von den Malediven über Indien nach Europa und Afrika und schließlich bis nach Amerika.

Muscheln sind Tand, Kinderzeug. Jeder kann sie am Strand auflesen. Nur Primitive akzeptieren sie als Zahlungsmittel. Völker, deren Angehörige nicht bis 100 zählen können und sich mit Schnecken und Glasperlen abfertigen lassen und dafür den europäischen Händlern kostbare Gewürze, luxuriöse Textilien oder gar Sklaven liefern. – So einfach sind unsere Vorurteile, und so viel komplexer und moderner ist die Geschichte des Muschelgeldes.

Als Muschelgeld wurden in der Regel nur ganz spezielle Muscheln akzeptiert, sei das in Indien, im alten China oder in Westafrika. Sehr beliebt und weit verbreitet waren Kauri-Muscheln – eigentlich eine Schneckenart (siehe Kasten auf Seite 83). Nun gibt es über 200 Arten von Kauris, aber nur gerade eine einzige Kauri-Art, Cypraea moneta, machte weltweit Geschichte als Zahlungsmittel. Dafür gibt es gute Gründe.

Cypraea moneta kann man nicht einfach an jedem Meeresstrand auflesen. Kauri-Muscheln gedeihen nur im Indischen und Pazifischen Ozean. Und auch dort nur, wo das Wasser warm und flach ist. Die bevorzugte kleine Cypraea moneta kommt in größerer Zahl überhaupt nur auf den Malediven vor, wo das Wasser besonders warm ist. Nach einem biologischen Gesetz, der Bergmannschen Regel, bleiben Meeresspezies um so kleiner, je höher die Wassertemperatur ist. Kauris von den Malediven sind im Durchschnitt bloß 16 Millimeter lang. Schön handlich und leicht zu transportieren. Ein wirtschaftlicher Vorteil.

Auch auf den Malediven liegt das Muschelgeld nicht am Strand herum. Am Strand findet man höchstens von Sand und Wellen stumpf geriebene Exemplare. Solche wurden nie als Zahlungsmittel akzeptiert. Kauri-Geld muss in arbeitsintensiven Prozessen gewonnen werden.

Noch bis zum heutigen Tag gehen Mädchen und Frauen zweimal im Monat, bei Voll- und Neumond, ins hüfttiefe Lagunenwasser und schlagen die Muscheln von Steinen, Treibgut und Korallenstücken ab. Sie sammeln sie in Kokosschalen oder in Plastiksäcken, bis zu 12000 Stück am Tag. In der Nähe ihrer Häuser vergraben sie die Muscheln in der Erde und lassen sie dort für Wochen liegen, bis das SchneckenfIeisch spurlos verwest ist. Dann holen sie die Kauris wieder aus der Erde, spülen den Sand weg und waschen sie in klarem Wasser, bis sie makellos glänzen. Jetzt können die Muscheln als Handelsgut auf den zentralen Markt in Male gebracht werden.

In früheren Jahrhunderten hatte der Sultan von Male ein Monopol auf den Kauri-Handel, und die Inselbewohner mussten ihre Steuern in Form von Kauris abliefern. Die Leute des Sultans tauschten diese dann in Südindien oder Ceylon hauptsächlich gegen Reis. Als Zahlungsmittel zirkulierten Kauris im alten China, in Indien, in Nord- und Westafrika. Sie dienten oft als Kleingeld, während Edelmetallmünzen für größere Zahlungen benutzt wurden.

Metallmünzen gegenüber haben Kauris einige Vorteile: Sie sind kostengünstig herzustellen und fälschungssicher. Deshalb gab es in Westafrika lokale Herrscher, die auch für teure Güter Kauris als Zahlungsmittel bevorzugten.

Wann genau die Kauris nach Westafrika gelangten, ist bis heute nicht bekannt. Bekannt ist hingegen ihr Weg. Die Muscheln wurden 9000 Meilen weit über den Persischen Golf oder das Rote Meer nach Nord- und dann nach Westafrika transportiert. Erste schriftliche Zeugnisse stammen vom berühmten westafrikanischen Gelehrten Ibn Battuta und datieren aus dem 14. Jahrhundert. Damals waren Kauris gängiges Zahlungsmittel im Niger-Gebiet, in Benin und in Mali. Ibn Battuta, der zeitweilig in Timbuktu residierte, unternahm weite Forschungsreisen bis an die Ränder der bekannten Welt. Und so besuchte er auch die Malediven, wo er vier Jahre lang lebte und beobachten konnte, wie das in Westafrika kursierende Muschelgeld gewonnen wurde.

In späteren Jahrhunderten wusste hingegen kaum noch ein Westafrikaner, woher die Kauris stammen. Das heißt, die Leute konnten ihr Geld genausowenig vom Strand auflesen, wie wir uns Goldesel halten. Und die Menge des Muschelgeldes wurde von den lokalen Herrschern genauso kontrolliert, wie heute die Herren der Bundesbank die Notenmenge überwachen. Waren schon im Mittelalter die Handelswege enorm lang, so reisten die Kauris in der Neuzeit noch viel weiter. Mit der Handelsgesellschaft Hudson Bay Company gelangten sie sogar bis nach Nordamerika zu den Indianern, welche Felle gegen die Muscheln eintauschten, um sie als Schmuck und Amulette zu verwenden.

In der Neuzeit kam es in Westafrika schließlich zu einem gewaltigen Muschelgeld-Boom. Motor der Ausweitung war der transatlantische Sklavenhandel. Mit Kauris kauften die Westeuropäer Menschen. In der Regel mussten die Europäer ein Drittel des Sklavenpreises in Muschelgeld bezahlen. Also waren sie jetzt ganz direkt an der Muschelquelle interessiert. Als erste stießen die Portugiesen im 16. Jahrhundert auf das maledivische Muschelmonopol. Mehr oder weniger zufällig. Denn die Portugiesen waren damals nicht etwa wegen der Kauris zu den Malediven gesegelt. Sie wollten dort vielmehr Kokosbastseile für die Takelage ihrer Flotte in Portugiesisch-Indien kaufen. Nun beobachteten sie den regen Kauri-Handel mit Südindien und Ceylon. Als tüchtige Händler rechneten sie schnell aus, dass der Kauri-Handel große Profite ermöglichte, besonders dann, wenn die Muscheln auf dem Seeweg übers Kap der guten Hoffnung nach Europa oder nach Afrika transportiert wurden.

Der Seeweg war mit 15000 Meilen zwar 6000 Meilen länger als der Landweg, aber weniger mühsam. Und die Kauris bildeten einen idealen Ballast für Segelschiffe. Ohne Ballast blieb kein Schiff auf See navigationstüchtig. Natürlich luden die Kapitäne am liebsten ein Material, mit dem sie am Zielhafen einen schönen Gewinn machen konnten. Sand war deshalb unbeliebt. Als Alternative zu Sand kamen auf dem Seeweg von Indien nach Europa auch Salpeter, Kupfer, Zinn und Zink in Frage. Doch Kauris waren diesen Stoffen als Ballast überlegen. Nicht nur hinsichtlich des Profits, sondern auch deshalb, weil sie im Schiffsrumpf selbst bei stürmischer See in stabiler Lage blieben und Leckwasser ihnen nichts anhaben konnte.


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mare No. 2

No. 2Juni / Juli 1997

Von Christina Wirz

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