Karotin macht sexy

Die Farbe Rot: Wie Krebse als Futter Flamingos färben

Rot zu werden ist für Tiere schwieriger, als schwarz zu sein. Das liegt an den Pigmenten, die für die Färbung sorgen. Während zum Beispiel Melanin, das die Federn der Amsel schwärzt, im Körper selbst entsteht, können die für rote Töne verantwortlichen Carotinoide vom Tier nicht selbst gebildet werden.

In der Natur ist die Farbe Rot reichlich vorhanden. Pflanzen produzieren jährlich rund 100 Millionen Tonnen Carotinoide. Müssen eigentlich nur noch verzehrt werden, könnte man meinen. Aber das hat seine Tücken. In der Variante von Vitamin A können sie überdosiert zu erhöhtem Hirndruck, Haarausfall und Unfruchtbarkeit führen – zumindest beim Menschen. Andere Carotinoide hingegen erzeugen, wenn sie sich mit Eiweißen verbinden, keinen roten Farbeffekt, sondern changieren von gelb-rot bis grün-blau.

Für Flamingos, die eine rosa bis rote Federfarbe zur Stimulierung der Paarung benötigen, birgt eine Zufuhr des Pigmentes von außen einige Risiken, weil dadurch die Farbintensität schwanken kann. Flamingos, auch wenn sie in Florida oder auf Kuba siedeln, haben ihre angestammten Wohngebiete in den härtesten Biotopen der Erde. Der Salzgehalt der seichten großen Seen und Lagunen in Afrika und Südamerika, in denen sie watend ihre Nahrung suchen, ist oft doppelt so hoch wie der von Meerwasser. In solch einem Milieu vermögen nur einige Algenarten und kleine Salinenkrebse zu existieren. Konkurrenzlos wachsen die allerdings zu unerhörten Mengen heran und bilden die Nahrungsgrundlage für die riesigen Ansammlungen der immer geselligen Flamingos an diesen Seen.

Praktisch müssen sich die Vögel nicht um das Futter streiten. Mit herabgesenktem Hals halten sie den Schnabel mit der Oberseite nach unten ins salzige Wasser und filtern Algen und Krebse heraus. Im Inneren des Schnabels befinden sich in Reihen angebrachte hornige Lamellen, die wie die Fischbeinplatten der Bartenwale als Filter fungieren.

Das Filtern geschieht auf zweierlei Weise. Entweder ziehen sie den Kopf vor und zurück, wobei Wasser durch den Schnabel fließt. Oder sie setzen ihre fleischige und kräftige Zunge ein. Mit extrem schnellen Bewegungen schießt sie in der Unterschnabelmulde wie der Kolben einer Pumpe vor und zurück. Dabei wird Wasser durch den Filter gezogen und wieder ausgestoßen. Algen und Krebse bleiben an den behaarten Lamellen hängen, werden mit der stacheligen Zunge abgesammelt und in den Rachen geschoben.

Carotinoide entziehen die Flamingos den Algen sowie den Krebsen. Produziert werden die Farbstoffe aber nur in den Algen. Krebse fressen Blaualgen und reichern dadurch die Farbstoffe in ihrem Körper an – wobei die Biologen den zugrunde liegenden molekularen Mechanismus immer noch nicht genau verstehen. Was auch daran liegt, dass die Wirkstoffe, die die Pigmente in der Zelle konzentrieren bzw. zerstreuen, hochgradig artspezifisch sind. Derselbe Stoff, der bei einem Krebs für die Bindung und Anhäufung von Pigment in der Zelle sorgt, zersetzt sie bei einem anderen Tier und entfärbt es. Bei den Flamingos jedenfalls führen die Farbpigmente zu unterschiedlichen rosa-roten Intensitäten. Man kann spekulieren, ob eine zu intensive Rotfärbung nicht ein Vabanquespiel der Individuen zwischen erhöhter Attraktivität und – wie beim Menschen – beginnender Unfruchtbarkeit ist!

Ihr einziges Küken können Flamingos an den Salzseen nur deshalb großziehen, weil sie es mit Kropfmilch ernähren, die von beiden Geschlechtern produziert wird und der Milch von Säugetieren gleicht. Anders die Scharlachsichler: Diese Ibisse fischen in den Mangrovensümpfen und Brackwasserzonen Kolumbiens und Venezuelas. Die scharlachroten Tiere mit ihren langen, gebogenen Schnäbeln suchen am liebsten in schmutzig-trübem, matschigem Flachwasser stochernd nach Krebsen. Während der Aufzucht allerdings fliegen die Scharlachsichler ins Inland, um im Süßwasser Flusskrebse zu jagen. Denn wie die Brut der Flamingos vertragen auch die Küken der Scharlachsichler die salzige Kost nicht.

 

So bekommt der Lachs Farbe

In den USA ist der Lachs der beliebteste Speisefisch. Besonders begehrt ist vollfarbenes, pink-rötliches Lachsfleisch, das als frisch, geschmackvoll und hochwertig gilt – und damit höhere Preise rechtfertigt. Tiere, die aus Aquakulturen stammen und mit Getreide gefüttert werden, neigen jedoch zur Blässe. Da bedürfen sie der farblichen Nachhilfe – und die kommt vom Schweizer Pharmakonzern F. Hoffmann-La Roche. Die Chemiker entwickelten den naturidentischen Futterzusatz Carophyll Pink, der synthetische Carotinoide enthält; der Einsatz ist in den USA seit 1995 als gesundheitlich unbedenklich erlaubt. Fischzüchter können nun aus einer Palette bunter Streifen mit Pink- und Orangetönen auswählen, welche Farbe sie ihren Lachsen beifüttern.

mare No. 27

No. 27August / September 2001

Von Cord Riechelmann

Cord Riechelmann, Jahrgang 1960, ist Biologe und Journalist in Berlin. Er schreibt auf den Berliner Seiten der Frankfurter Allgemeine Zeitung die Kolumne „Bestiarium“. Dies ist sein erster Text für mare

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Vita Cord Riechelmann, Jahrgang 1960, ist Biologe und Journalist in Berlin. Er schreibt auf den Berliner Seiten der Frankfurter Allgemeine Zeitung die Kolumne „Bestiarium“. Dies ist sein erster Text für mare
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