„Immer schön Schiss haben“

Ein Zauber wohnt darin und viel Tücke: Die flachen Wasser des Wattes sind eine Prüfung für Berufs- wie Sportschiffer

Aquila Marina“ stand am Bug des Schiffes, das Rennfahrer Jochen Maaß 1974 im Hafen von Liverpool entdeckte, ein Dreimastschoner aus dänischer Eiche, der auf der Stelle sein Herz eroberte, trotz des erbärmlichen Zustands, in dem er sich befand. „Es war Liebe auf den ersten Blick.“ Der Formel-1-Pilot zahlte für den Adler der See ohne langes Feilschen 150 000 Pfund in bar und investierte in den Folgejahren den Gegenwert eines kleinen Schlösschens, um den 50 Jahre alten Lastensegler in eine luxuriöse Cruising-Yacht zu verwandeln. Die segelte dann mit zahlenden Gästen vornehmlich in der Karibik.

Im Sommer 1990 aber wird der schmucke Schoner von einer deutschen Werbeagentur für die Teilnahme an der Windjammerparade in Bremerhaven gechartert, und der Segler macht sich auf den Weg über den Atlantik, durchquert die Biskaya, erreicht die Bretagne. Alles ohne Zwischenfälle. Von Brest soll die Reise dann nonstop nach Bremerhaven weitergehen.

In der Nacht vom 8. zum 9. August, ruhiges Sommerwetter, gute Sicht, macht der Skipper, der die Yacht führt, die Lichter der deutschen Küste aus. Sie irritieren ihn. Er verwechselt die Ansteuerung der Jade mit der der Weser. Als er seinen Irrtum bemerkt und den Kurs Richtung Weser korrigiert, vergisst er, den einsetzenden Flutstrom zu berücksichtigen, der die „Aquila Marina“ nach Süden versetzt. Colin Paul du Toit, Inhaber eines südafrikanischen Sportbootführerscheins, hat keine Ahnung von den Strom- und Gezeitenverhältnissen des Gebiets, in das er sein Schiff noch immer unter vollen Segeln steuert.

Um 0.20 Uhr nimmt die Fahrt dann ein abruptes Ende: Sechs Seemeilen östlich von Wangerooge hat sich der Kiel in den Sand der Mellumplate gebohrt, die die Außenjade von der Außenweser trennt. Der Skipper ist geschockt und trifft gleich die nächste Fehlentscheidung. Es ist drei Stunden vor Hochwasser, die Tide läuft auf, er müsste nur die Anker ausbringen, dann hätte das Schiff in kurzer Zeit wieder Wasser unterm Kiel. Stattdessen zerrt er die Segel herunter, startet die Maschine und versucht, sich im Rückwärtsgang aus dem Sand zu befreien. Doch das Schiff treibt nur quer zur Brandung, die ersten Brecher krachen aufs Deck, der feine Mahlsand unterspült den Rumpf, der Seeadler legt sich immer weiter auf die Seite, die ersten Planken springen leck, Wasser schießt ins Schiffsinnere.

Es dauert nicht länger als zehn Minuten, dann ist der Kampf verloren, der Schiffsführer gibt sein Schiff auf, funkt um 0.30 Uhr SOS und geht mit den vier Erwachsenen und zwei Kindern, die an Bord sind, in die Rettungsinsel. Der Rettungskreuzer „Vormann Steffens“ nimmt die sieben kurz darauf an Bord. Die stolze „Aquila Marina“ aber wird vom Flutstrom höher auf den Sand getrieben und dann von der Brandung zu Kleinholz zerschmettert. Die Masten brechen, das Deckshaus wird abgerissen, die Planken zerschlagen. Innerhalb weniger Tage endet das schöne Schiff als kleinteiliges Treibgut am Strand.

Sechs Monate später konstatiert das Seeamt „schwere Verstöße gegen die seemännische Sorgfaltspflicht“ und verhängt gegen den Skipper ein zweijähriges Fahrverbot auf deutschen Seeschifffahrtsstraßen. Doch der Südafrikaner ist weder zur Verhandlung in Bremerhaven erschienen, noch hat er sich, soweit bekannt, je wieder in dieser amphibischen Bucht blicken lassen, die die Deutsche heißt; wo sich Gezeiten, Strömungen und Wind unter dem tosenden Beifall der Wellen zum spontanen Aufstand verschwören, wo Land und See, Tiefe und Untiefe fortwährend ineinander übergehen und immer wieder ununterscheidbar werden. „Wäre es meine Aufgabe, den Albtraum eines Hochseeseglers zu ersinnen, dann würde ich mir genau diese Küste ausdenken“, schrieb Karlheinz Neumann in seinem Revierführer für die Nordseeküste 1971.

Hochseesegler sollten von dieser Küste mindestens 70 Seemeilen Abstand wahren. Denn da beginnt schon der Bereich flachen Wassers, in dem bei Sturm die See steil und brechend wird. Bis Helgoland misst man im Außenbereich dieser Bucht 30 bis 40 Meter Wassertiefe, landwärts von Helgoland 10 bis 20 Meter, dann steigen die Bänke und Sände auf, mit ihrer gefährlichen Brandung und den noch gefährlicheren Grundseen. Dahinter beginnt das Wattenmeer.

Ein Unfall wie der der „Aquila Marina“ ist heute, im Zeitalter der GPS-Plotter, kaum noch denkbar. Aber die Wattengewässer mit ihren Gatten, Sänden, Barren und Bänken flößen Schiffsführern immer noch Respekt und nicht selten Furcht ein. Die meisten umfahren das Gebiet mit größtmöglichem Abstand. Die Häfen des Wattenmeers sind klein, karg und leer. Moderne Navigationselektronik kann einem zwar auf den Zentimeter genau sagen, wo man gerade ist. Aber nicht das, was man entlang der Küste zwischen Hollands und Dänemarks Grenze außerdem noch wissen muss: wo das Wasser ist und wie lange es noch dort sein wird und wohin es sich begibt, wenn es nicht mehr da ist, und woher es kommt und wie stark es strömt, wenn es zurückkehrt.

„Alles und jedes an der Küste der Nordsee wird von dem zweimal am Tage erfolgenden Steigen und Fallen des Wassers bestimmt“, schreibt Revierkenner Karlheinz Neumann. „Das Ablegen und Einlaufen, das Aufstehen und das Mittagessen und die Fahrroute auch. Nichts fällt nach meiner Erfahrung einem Binnenländer und einem Ostseefahrer schwerer als zu verstehen, dass hier die Tide regiert und nicht der Mensch. Am schwersten von allen versteht das die Bordfrau.“


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mare No. 80

No. 80Juni / Juli 2010

Von Peter Sandmeyer

Auch die erste Begegnung von Peter Sandmeyer, Jahrgang 1944, promovierter Kulturwissenschaftler und ehemaliger Stern-Reporter, mit dem Watt geriet zum Denkzettel. Während eines Sommertörns auf der Elbe fiel das Boot trocken, in der Nacht gab es ein heftiges Gewitter, die folgende Flut brachte unangenehm steile Wellen. Am Ende war die Crew völlig durchnässt, verfroren und seekrank. Später hat der Autor die wunderliche Welt der Watten auf vielen Fahrten lieben gelernt. Unterschätzt hat er sie nie wieder.

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Vita Auch die erste Begegnung von Peter Sandmeyer, Jahrgang 1944, promovierter Kulturwissenschaftler und ehemaliger Stern-Reporter, mit dem Watt geriet zum Denkzettel. Während eines Sommertörns auf der Elbe fiel das Boot trocken, in der Nacht gab es ein heftiges Gewitter, die folgende Flut brachte unangenehm steile Wellen. Am Ende war die Crew völlig durchnässt, verfroren und seekrank. Später hat der Autor die wunderliche Welt der Watten auf vielen Fahrten lieben gelernt. Unterschätzt hat er sie nie wieder.
Person Von Peter Sandmeyer
Vita Auch die erste Begegnung von Peter Sandmeyer, Jahrgang 1944, promovierter Kulturwissenschaftler und ehemaliger Stern-Reporter, mit dem Watt geriet zum Denkzettel. Während eines Sommertörns auf der Elbe fiel das Boot trocken, in der Nacht gab es ein heftiges Gewitter, die folgende Flut brachte unangenehm steile Wellen. Am Ende war die Crew völlig durchnässt, verfroren und seekrank. Später hat der Autor die wunderliche Welt der Watten auf vielen Fahrten lieben gelernt. Unterschätzt hat er sie nie wieder.
Person Von Peter Sandmeyer