Humanitas in Seenot

Einerseits die Pflicht des Kapitäns, schiffbrüchige Flüchtlinge zu retten – andererseits das Problem, sie an Land zu bringen. Eine Seerechtslücke sorgt für ein humanitäres Dilemma

Die Schwierigkeiten eines Lebens auf dem Meer sind bekannt: ewige Weiten, lange Trennungen von Nahestehenden, nicht zuletzt die Gefahren eines Unwetters. Trotz – oder vielleicht gerade wegen – der unbehaglichen Realität einer solchen Existenz besteht ein unausgesprochenes Gefühl der Zusammengehörigkeit unter Reisenden auf hoher See, eine gewisse Mitmenschlichkeit, die auf Grundsätzen der Humanität beruht in einem mitunter menschenfeindlichen Umfeld. Dies führte im Lauf der Zeit zu dem Brauch, dass man Menschen in Seenot Hilfe leistet. Dieser Brauch hat sich zu einer rechtlichen Verpflichtung des Kapitäns zur Hilfeleistung entwickelt, die in mehreren internationalen Verträgen niedergelegt ist.

Die Aufnahme von Personen in Seenot ergibt sich etwa aus Artikel 98 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen von 1982, mit dessen Hilfe die Staatengemeinschaft eine allumfassende „Verfassung der Meere“ kodifizieren wollte. Diese Pflicht zur Hilfeleistung scheint nach modernem Verständnis der menschlichen Würde als selbstverständlich, erst recht, wenn man Europa als Hort abendländischer Zivilisation und Verfechter der Menschenrechte versteht. Dennoch spielen sich tagtäglich Tragödien auf den Meeren um Europa ab, die im Widerspruch zum moralischen Anspruch des humanistischen Weltbilds stehen: das Schicksal der sogenannten Boatpeople.

Zwar hat die Zahl der Menschen, die auf dem Seeweg nach Europa zu gelangen versuchen, seit dem Einsatz der europäischen Grenzschutzagentur Frontex im Jahr 2004 nachgelassen. Doch die Chance auf besseren Lebensstandard lockt noch viele auf den langen Weg von Nordafrika nach Europa, oft auf unstabilen, überladenen Booten, ausgestattet mit mangelhafter Navigation, wenn überhaupt. Diese Boatpeople, die meist aus Afrika, aber auch aus Palästina oder asiatischen Ländern stammen, erleben eine kräftezehrende Reise ohne ausreichende Versorgung über weite Strecken, die zudem immer länger und daher gefährlicher werden, weil die verschärften Kontrollen europäischer Grenzkontrolleure vermieden werden müssen.

Dass sich nach der Havarie eines solchen Bootes immer wieder Flüchtlingsdramen ereignen, überrascht nicht. 2008 starben laut Angaben der Flüchtlingskoalition „Fortress Europe“ etwa 1400 Menschen bei dem Versuch der illegalen Einreise aus Afrika nach Europa, davon mehr als 500 im Mittelmeer, obwohl das Mittelmeer zu den am stärksten befahrenen Seerevieren der Welt gehört und alle Schiffe verpflichtet sind, bei Seenot Hilfe zu leisten. Aus diversen wirtschaftlichen, politischen und auch rechtlichen Gründen scheint diese uralte seemännische Verpflichtung der Hilfeleistung immer weiter in den Hintergrund zu rücken. Allein die Tatsache, dass ein Kapitän sich wegen der Mitnahme von Schiffbrüchigen und deren späterem Landgang strafbar machen könnte, zeugt vom mangelnden politischen Willen, Kapitäne zur Erfüllung ihrer Rettungspflicht anzuhalten.

Ein Beispiel hierfür ist der lange Streit um das deutsche Schiff „Cap Anamur II“. Am 20. Juni 2004 nahm es 37 Asylsuchende afrikanischer Herkunft an Bord, die in einem überfüllten Schlauchboot in Seenot geraten waren. Nach einem ersten Kontakt mit dem Hafen von Valetta auf Malta kreuzte das Schiff einige Tage zwischen Malta und Libyen, ehe es in das italienische Küstenmeer vor dem sizilianischen Hafen Porto Empedocle einlief. Italiens Innenminister lehnte die Aufnahme der Asylsuchenden ab und verweigerte der „Cap Anamur II“ das Einlaufen in den Hafen. Nachdem der Kapitän von einer Verschlechterung der Umstände an Bord berichtete, durfte das Schiff schließlich in den Hafen einlaufen, woraufhin der Leiter der das Schiff betreibenden Organisation, der Kapitän und der Erste Offizier festgenommen und wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung angeklagt wurden. Erst am 7. Oktober 2009 sprach ein sizilianisches Gericht den damaligen Leiter der Organisation und seinen Kapitän frei.

Wie konnte es so weit kommen? Was geben die rechtlichen Rahmenbedingungen her? Welche Rolle spielt die Politik, und wie wird der Mensch als Individuum in dieser Problematik behandelt?


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mare No. 79

No. 79April / Mai 2010

Von Killian O’Brien

Der gebürtige Ire Killian O’Brien, Jahrgang 1984, ist Jurist am Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht der Universität Kiel und Mitglied im Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“. Er befasst sich insbesondere mit den umwelt- und menschenrechtlichen Aspekten des Seerechts.

Jörg Hülsmann, geboren 1974, lebt in Berlin. Zuletzt illustrierte er in mare No. 74 die Aussichten für die Zukunftstechnologie Brennstoffzelle.

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Vita Der gebürtige Ire Killian O’Brien, Jahrgang 1984, ist Jurist am Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht der Universität Kiel und Mitglied im Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“. Er befasst sich insbesondere mit den umwelt- und menschenrechtlichen Aspekten des Seerechts.

Jörg Hülsmann, geboren 1974, lebt in Berlin. Zuletzt illustrierte er in mare No. 74 die Aussichten für die Zukunftstechnologie Brennstoffzelle.
Person Von Killian O’Brien
Vita Der gebürtige Ire Killian O’Brien, Jahrgang 1984, ist Jurist am Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht der Universität Kiel und Mitglied im Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“. Er befasst sich insbesondere mit den umwelt- und menschenrechtlichen Aspekten des Seerechts.

Jörg Hülsmann, geboren 1974, lebt in Berlin. Zuletzt illustrierte er in mare No. 74 die Aussichten für die Zukunftstechnologie Brennstoffzelle.
Person Von Killian O’Brien