Hinter einer Kurve auf der holprigen Küstenstraße kommt der vollgepackte Pritschenwagen der Schlepper quietschend zum Stehen. In der stickigen Hitze des Morgens, 40 Grad sind bereits erreicht, sehen sie die beiden Jugendlichen tot unter einem Baum liegen. Eben wurde noch hektisch durcheinandergeredet, doch jetzt sind alle verstummt. Die Männer, auf der Ladefläche zusammengepfercht, hören auf zu streiten, die Frauen, im Fahrerhaus dicht gedrängt, hören auf zu klagen. In leisem Unisono murmeln alle dieselbe beschwörende Formel, die Handflächen zum Himmel erhoben: „Inna lillahi wa inna ilaihi raji’un“, „Zu Gott gehören wir, und zu ihm kehren wir zurück“.
Eine sich langsam fortbewegende Gruppe von Migranten auf dem Weg nach Jemen ist an diesem Vormittag bereits an den namenlosen toten Jungen vorübergezogen. So wie sie da ausgestreckt im Schatten einer Akazie liegen, müssen Hunderte einfach an ihnen vorübergelaufen sein, die Köpfe auf den Asphalt gerichtet, in der Annahme, sie schliefen. Viele erliegen den Strapazen auf diesem letzten Abschnitt der Überlandstrecke aus Äthiopien, nachdem sie über mindestens eine Woche die schwarzen Sandwüsten inmitten einer fast unwirklichen Landschaft aus erloschenen Vulkankratern zu Fuß durchquert haben.
Drei Kilometer hinter der Schirmakazie verläuft ein Wadi bis in die äußeren Bezirke von Obock, der nördlichsten Stadt Dschibutis. Gerade 30 Kilometer sind es von hier über das Meer bis nach Jemen. Am Rand des Golfs von Aden und dem Zugang zum Roten Meer gelegen, befindet sich die kleine Republik Dschibuti an einem geografischen Kreuzungspunkt. Schon seit Langem beherbergt sie Tausende Menschen, die von den regionalen Konflikten, der politischen Instabilität, dem Klimawandel und der Armut in die Flucht getrieben wurden. In jüngster Zeit wurde der Staat zur Durchgangsstation auf einer der meistfrequentierten und gefährlichsten Fluchtrouten der Welt, mit Obock als Dreh- und Angelpunkt.
Vor der Stadt, inmitten von weitläufigem Buschland, durchschneidet die Schnellstraße zwei Lager: auf der einen Seite ein Auffangzentrum für Migranten, Anlaufstelle für den täglichen Zustrom von rund 300 Tahrib, so werden die Flüchtlinge in dieser Region genannt, die ungeachtet des Krieges mithilfe von Menschenschmugglern und Schleusern über Dschibuti nach Jemen gelangen wollen, auf der anderen Seite der Straße das Flüchtlingslager Markazi, mit einem Drahtzaun umgeben. Die Ansammlung von verwitterten Zelten beherbergt eine schwankende Zahl von etwa 4000 Flüchtlingen aus Jemen, die paradoxerweise in die entgegengesetzte Richtung geflohen sind.
Hätten die beiden an diesem Morgen tot aufgefundenen Jugendlichen noch eine halbe Stunde weiterlaufen können, hätten sie in dem neu errichteten Krankenhaus des Auffangzentrums medizinische Hilfe bekommen. Es ist ein Drama, das sich, wie sein Manager Mohammed sagt, seit der Gründung des Zentrums vor sieben Jahren immer wieder ereignet. Trotz ihrer Bemühungen, die Migranten zu informieren und auf ihrem Weg über die Wüstenpfade mit Trinkwasser zu versorgen, finden seine Mitarbeiter regelmäßig Leichen an den Straßen des Landes.
In drei großen, halb offenen Gebäuden mit blauen Moskitonetzen hausen in ständiger Fluktuation an die 500 Männer, Frauen und Kinder. Das Auffangzentrum kümmert sich um die hier Gestrandeten, um diejenigen, die krank oder verletzt sind oder missbraucht wurden. An die 10 000 von den geschätzten 150 000 Migranten, die im vergangenen Jahr nach Jemen gelangen wollten, wurden hier erstversorgt. Fast alle kommen aus Äthiopien, in der Mehrzahl junge Männer, doch die An- zahl der minderjährigen Kinder, die ganz allein unterwegs sind, steigt von Jahr zu Jahr.
Sogenannte Delals, die potenzielle „Kunden“ für die Schleuserbanden rekrutieren, sprechen gezielt arme Großfamilien und verwaiste Kinder an und haben so in manchen Dörfern ganze Generationen weggelockt. Jugendliche, die keinen größeren Wunsch haben, als die Hütten ihrer Vorväter für ein Mobiltelefon und den erhofften Eintritt in die moderne Welt hinter sich zu lassen, werden vom Versprechen einer kostenlosen Reise verleitet, für die man später mit dem in Saudi-Arabien angeblich leicht verdienten Geld zahlen wird. Diese Legenden werden immer wieder wei- tererzählt; so verfestigt sich die fantastische Vorstellung von einem neuen Leben in den reichen Ölländern auf der anderen Seite des Meeres.
Aus dem Englischen von Andreas Gressmann
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Alixandra Fazzina, Jahrgang 1974, ist Fotografin in London und wird vertreten durch Noor Images. Mit ihren Reportagen dokumentiert sie das Leben in Krisenregionen, die von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet bleiben, und sensibilisiert so die Allgemeinheit für jene, die aufgrund von Konflikten, Gewalt und Elend aus ihrer Heimat fliehen müssen. Für ihre beeindruckende Berichterstattung über die verheerenden menschlichen Folgen des Krieges und für ihr furchtloses Engagement ist sie mit dem Nansen Refugee Award des UNHCR ausgezeichnet worden. Bereits vor zehn Jahren berichtete sie in mare No. 73 über die Katastrophe am Horn von Afrika. Oft unter Lebensgefahr fotografierte sie damals ein Jahr lang das Leben somalischer Flüchtlinge, die zu Zehntausenden über den Golf von Aden nach Jemen übersetzen. Sie veröffentlichte auch ein Buch darüber: A Million Shillings: Escape from Somalia.
Vita | Alixandra Fazzina, Jahrgang 1974, ist Fotografin in London und wird vertreten durch Noor Images. Mit ihren Reportagen dokumentiert sie das Leben in Krisenregionen, die von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet bleiben, und sensibilisiert so die Allgemeinheit für jene, die aufgrund von Konflikten, Gewalt und Elend aus ihrer Heimat fliehen müssen. Für ihre beeindruckende Berichterstattung über die verheerenden menschlichen Folgen des Krieges und für ihr furchtloses Engagement ist sie mit dem Nansen Refugee Award des UNHCR ausgezeichnet worden. Bereits vor zehn Jahren berichtete sie in mare No. 73 über die Katastrophe am Horn von Afrika. Oft unter Lebensgefahr fotografierte sie damals ein Jahr lang das Leben somalischer Flüchtlinge, die zu Zehntausenden über den Golf von Aden nach Jemen übersetzen. Sie veröffentlichte auch ein Buch darüber: A Million Shillings: Escape from Somalia. |
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Person | Von Alixandra Fazzina |
Vita | Alixandra Fazzina, Jahrgang 1974, ist Fotografin in London und wird vertreten durch Noor Images. Mit ihren Reportagen dokumentiert sie das Leben in Krisenregionen, die von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet bleiben, und sensibilisiert so die Allgemeinheit für jene, die aufgrund von Konflikten, Gewalt und Elend aus ihrer Heimat fliehen müssen. Für ihre beeindruckende Berichterstattung über die verheerenden menschlichen Folgen des Krieges und für ihr furchtloses Engagement ist sie mit dem Nansen Refugee Award des UNHCR ausgezeichnet worden. Bereits vor zehn Jahren berichtete sie in mare No. 73 über die Katastrophe am Horn von Afrika. Oft unter Lebensgefahr fotografierte sie damals ein Jahr lang das Leben somalischer Flüchtlinge, die zu Zehntausenden über den Golf von Aden nach Jemen übersetzen. Sie veröffentlichte auch ein Buch darüber: A Million Shillings: Escape from Somalia. |
Person | Von Alixandra Fazzina |