Highwaymen

In den 1950er- und 1960er-Jahren bildet sich in Florida eine Gruppe afroamerikanischer Künstler, die sich der Landschafts­malerei widmen und diese entlang der Highways verkaufen. Sie malen auch gegen die Rassentrennung an

Wenn Curtis Arnett mit seinem Fahrrad zum Indian River fuhr, nahm er stets die gleiche Route. Das hatte er seiner Mutter versprochen. Der Junge, damals zwölf oder 13, durfte fischen gehen an der Lagune vor Fort Pierce. Aber die Mutter wollte wissen, wo sie ihn suchen musste, falls er nicht nach Hause käme. „Daran hielt ich mich“, sagt Arnett, heute 74, er lächelt. „Bis auf dieses eine Mal.“

An jenem Nachmittag Anfang der 1960er fuhr er die Avenue C hinunter, vor dem Haus Nummer 122 hielt er an. Die Vordertür stand offen, aus dem Gebäude schallte Jazz. Er stieg vom Rad, schaute sich kurz um, dann ging er hinein. 

Schon im Eingang hingen überall Bilder. Es waren Momentaufnahmen Floridas tropischer Landschaften – wolkenverhangene Himmel, Palmen, Strände, schäumendes Meer oder Sümpfe, 
in denen Reiher rasteten. Arnett konnte es nicht fassen. Die Bilder sahen so echt aus. Das Einzige, was ihnen fehlt, ist der Ton, dachte er. 

Da trat jemand zu ihm und fragte: „Bist du ein Künstler?“ Der Junge drehte sich um. „Ja, Sir“, sagte er. Vor ihm stand Albert Ernest Backus, der berühmte Künstler aus Fort Pierce. „Können Sie mir beibringen, so zu malen?“, fragte Arnett. „Nein“, sagte Backus. „Ich unterrichte nicht mehr. Aber wenn du willst, kannst du mir deine Arbeiten zeigen.“

Arnett blieb noch einen Moment, sog die Eindrücke auf. Dann brach er auf. „Warte“, sagte der Maler und holte aus einem seiner Schränke eine Holzschachtel mit Tuben, legte Pinsel dazu und ein Spachtelmesser. „Nimm das mit. Ein Schüler hat es hier vor Jahren vergessen.“

Curtis Arnett ging an diesem Nachmittag nicht mehr fischen, er malte. Aber dieses Mal nicht Superman, Clark Kent und Lois Lane. Er entwarf Landschaften und kehrte schon tags darauf zurück zu Bean. So nannten den weißen Maler alle, die ihn kannten. Und das waren längst einige junge Menschen in den schwarzen Vierteln von Fort Pierce und Gifford, knapp 18 Meilen die Ostküste hinauf. So wenig selbstverständlich es war. Es war eine Zeit getrennter Welten, vor allem im Süden. In Florida waren die Jim-Crow-Gesetze noch fest in Kraft. Das bedeutete Segregation: getrennte Viertel, Restaurants, Trinkbrunnen, Schulen. Die schwarzen Kinder bekamen die alten Schulbücher der weißen. Viele ihrer Eltern hatten keine große Wahl. Sie arbeiteten auf den Zitrusplantagen, in den Packhäusern, auf den Tomatenfeldern der Gegend. Und nach Sonnenuntergang hatten sie in ihrem Viertel zu sein. 

Umso erstaunlicher ist, was in den 1950ern und 1960ern in Gifford und Fort Pierce geschah: Es entstand eine Bewegung afroamerikanischer Landschaftsmaler, die mit dem Verkauf ihrer Bilder mehr Geld verdienten als auf den Feldern. Manche sagen, ihre Geschichte sei ein American dream. Der Traum hat jedoch Licht und Schatten. Am besten, man erzählt ihn von Anfang an.

Denn Curtis Arnett war nicht der Erste und auch nicht der Einzige, der den Maler Backus besucht hatte, der nichts von den Jim-Crow-Gesetzen hielt. Schon 1954 war ein junger schwarzer Mann namens Harold Newton aus Gifford bei ihm gewesen. Er war frustriert, weil sich die religiösen Motive, die er malte, schlecht verkauften. Backus riet ihm, es mit Landschaften zu probieren, und staunte, als Newton bald mit Bildern zurückkehrte, die seinen verblüffend ähnlich sahen.

Doch Backus hatte offenbar nichts dagegen. Er war Ende vierzig, sein Auftragsbuch voll. Vielleicht erinnerte Newton ihn auch an eigene Träume. Als Teenager hatte er seinen Onkel um Geld für Sommerkurse an einer New Yorker Kunstschule gebeten – und versprochen, es zurückzuzahlen, sobald er mit seinen Bildern etwas verdiente. Der Onkel gab ihm das Geld, aber wollte es nicht zurück. Der Neffe solle damit lieber andere unterstützen. Dieser Philosophie folgte er ein Leben lang. Und interessanterweise geschah in der schwarzen Community bald Ähnliches. 
Im Garten seines Hauses in Gifford malte Harold Newton nun tropische Landschaften auf Upson Board, günstigen Holzfaserplatten aus dem Baumarkt. Die Rahmen baute er aus Zierleisten.  Anschließend lud er die Bilder in den Kofferraum seines Autos, fuhr die Highways an der Küste und im Inland auf und ab und bot die Bilder in Läden und Büros entlang der Strecke zum Verkauf an. 

„Das werde ich auch mal probieren“, sagte sein Nachbar zu seiner Frau, als er merkte, dass Newton Erfolg hatte. Er war müde von der Feld­arbeit. Jeden Sommer brach die ganze Familie auf, arbeitete sich von Ernte zu Ernte in den Norden bis nach Pennsylvania und kehrte erst im November zurück. Und nicht nur er griff irgendwann zum Pinsel, auch andere, die in der Nähe wohnten. Anfangs gelangen ihnen die Bilder vielleicht nur leidlich, aber mit der Zeit wurden sie besser – und sie teilten untereinander ihr Wissen. 


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mare No. 170

mare No. 170Juni / Juli 2025

Von Andrea Walter und Maximilian Gödecke

Als Andrea Walter, Jahrgang 1976, erfuhr, dass Hairs Spitzname „Banana Boat“ war, hörte sie beim Schreiben Harry Belafonte. Kurz vor Redaktionsschluss erreichte sie die Nachricht, dass ­Al Black, mit dem sie lange Gespräche geführt hatte, verstorben ist.

Fotograf Maximilian Gödecke, geboren 1995, hingegen hörte vor Ort von einem Passanten, dass am Ufer eines Sees, wo er gerade fotografiert hatte, kurz zuvor ein Alligator lag.

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Als Andrea Walter, Jahrgang 1976, erfuhr, dass Hairs Spitzname „Banana Boat“ war, hörte sie beim Schreiben Harry Belafonte. Kurz vor Redaktionsschluss erreichte sie die Nachricht, dass ­Al Black, mit dem sie lange Gespräche geführt hatte, verstorben ist.

Fotograf Maximilian Gödecke, geboren 1995, hingegen hörte vor Ort von einem Passanten, dass am Ufer eines Sees, wo er gerade fotografiert hatte, kurz zuvor ein Alligator lag.

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Als Andrea Walter, Jahrgang 1976, erfuhr, dass Hairs Spitzname „Banana Boat“ war, hörte sie beim Schreiben Harry Belafonte. Kurz vor Redaktionsschluss erreichte sie die Nachricht, dass ­Al Black, mit dem sie lange Gespräche geführt hatte, verstorben ist.

Fotograf Maximilian Gödecke, geboren 1995, hingegen hörte vor Ort von einem Passanten, dass am Ufer eines Sees, wo er gerade fotografiert hatte, kurz zuvor ein Alligator lag.

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