Heisskalte Berechnung

Das Golfstromsystem schwächelt – aber in Euro­pa wird es wärmer. Im mare-Gespräch erläutert Klimaforscher Stefan Rahmstorf das Paradox

mare: Es gibt eine Studie, die Sie gemeinsam mit Kollegen im vergangenen Jahr herausgebracht haben. Darin finden Sie Hinweise auf eine Abschwächung des Golfstroms. Heißt das, wir müssen uns in Europa bald warm anziehen?

Rahmstorf: Nicht unbedingt. Datenauswertungen von britischen Kollegen zeigen: Wenn sich das Golfstromsystem abschwächt, gibt es in Europa sogar wärmere Sommer.

Das klingt paradox. Es heißt doch immer, der Golfstrom sei die Wärmepumpe Europas. Wenn sie ausfällt, müsste es doch bei uns empfindlich kalt werden.

Das Golfstromsystem funktioniert in der Tat wie eine Fernwärmeheizung. Warmes Oberflächenwasser strömt von der Karibik zu uns hin, kaltes strömt wieder davon. Dazwischen wird jede Menge Wärme an die Luft abgegeben.

Diese warme Luft weht dann zu uns nach Europa.

Ja. Wir leben in den mittleren Breiten in der Westwindzone, das heißt, unser Wetter kommt meistens vom Westen her und damit vom Atlantik. Da das Meerwasser durch das Golfstromsystem mehrere Grad wärmer ist als ohne, werden die Luftmassen entsprechend vorgewärmt, bevor sie dann bei uns in Europa ankommen. Dadurch ist das Klima in Nordeuropa deutlich milder als auf den gleichen Breitengraden an der amerikanischen Ostküste.

Man denkt sofort an die Palmen an den Stränden Cornwalls oder der Bretagne.

Richtig, das haben wir dem Golfstromsystem zu verdanken.

Sie benutzen den Begriff Golfstromsystem. Warum nicht einfach Golfstrom?

Ozeanografen verstehen unter dem Golfstrom den westlichen Randstrom des großen Subtropenwirbels im Nordatlantik. Solche westlichen Randströme gibt es in allen Ozeanbecken, angetrieben vom Wind. Die AMOC, die atlantische meridionale Umwälzbewegung, umgangssprachlich das „Golfstromsystem“, dagegen ist eine Besonderheit des Nordatlantiks: eine große Umwälzzelle, in der das Oberflächenwasser von Südafrika durch die Karibik bis nach Norden strömt, dann in die Tiefe absinkt und zurückfließt.

Das, worüber wir heute sprechen, ist also das Golfstromsystem?

Ja.

Jetzt haben Sie eingangs gesagt, dass es mit der Abschwächung des Golfstromsystems heißer werde in Europa. Das müssen Sie uns erklären.

Das hat mit dem Jetstream zu tun, den Starkwindbändern im Bereich der oberen Troposphäre. Der Jetstream hat sich in den vergangenen Jahrzehnten im Sommer ebenfalls verlangsamt, ähnlich wie die Zirkulation im Ozean. Er ist welliger geworden und hat die Tendenz, um den Nordatlantik, wo eine Kälteblase entstanden ist, einen Bogen zu machen, und zwar südlich. So gelangt vermehrt Warmluft aus Nordafrika nach Europa. Das war der Fall im berühmten Jahrhundertsommer 2003 oder im Hitzesommer 2010, da gibt es eine klare Korrelation.

Was meinen Sie mit Kälteblase?

Wir haben die Meerestemperaturen im Nordatlantik der vergangenen rund 100 Jahre ausgewertet. Die Ergebnisse sind eindeutig: Der nördliche Nordatlantik hat sich abgekühlt.

Und aus dieser Tatsache lesen Sie ab, dass die Umwälzzirkulation an Kraft verliert?

Ganz genau. Vereinfacht gesagt, nehmen wir Folgendes an: Weil sich die Strömung abschwächt, transportiert sie weniger Wärme in den subpolaren Nordatlantik, und diese Region kühlt sich daraufhin ab. Die einzige Weltregion, wo es in den letzten 100 Jahren nicht wärmer geworden ist, sondern sogar kälter, ist tatsächlich der nördliche Atlantik. 2015 wurden dort sogar die niedrigsten Temperaturen seit Beginn der Aufzeichnungen gemessen. Und das, obwohl es im globalen Mittelwert das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen war.


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mare No. 137

No. 137Dezember 2019 / Januar 2020

Von Jan Keith

Jan Keith, Jahrgang 1971. Studium der Politikwissenschaft, Japanologie und Geografie in Bonn, Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München. Bevor er im August 2008 zu mare kam, arbeitete er als Redakteur und Autor bei der Financial Times Deutschland.

Stefan Rahmstorf, geboren 1960, ist Professor am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, wo er sich mit der globalen Erwärmung und deren Auswirkungen befasst. Er zählt zu den weltweit führenden Ozeanografen und Klimaforschern.

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Vita Jan Keith, Jahrgang 1971. Studium der Politikwissenschaft, Japanologie und Geografie in Bonn, Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München. Bevor er im August 2008 zu mare kam, arbeitete er als Redakteur und Autor bei der Financial Times Deutschland.

Stefan Rahmstorf, geboren 1960, ist Professor am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, wo er sich mit der globalen Erwärmung und deren Auswirkungen befasst. Er zählt zu den weltweit führenden Ozeanografen und Klimaforschern.
Person Von Jan Keith
Vita Jan Keith, Jahrgang 1971. Studium der Politikwissenschaft, Japanologie und Geografie in Bonn, Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München. Bevor er im August 2008 zu mare kam, arbeitete er als Redakteur und Autor bei der Financial Times Deutschland.

Stefan Rahmstorf, geboren 1960, ist Professor am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, wo er sich mit der globalen Erwärmung und deren Auswirkungen befasst. Er zählt zu den weltweit führenden Ozeanografen und Klimaforschern.
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