Hans Peter Jürgens, Viermastbark „Priwall“

Wer erzählt die besten Geschichten vom Meer? Menschen, die den Ozean erlebt haben.

Auf meiner ersten Reise erfuhr ich, dass einem auf See manchmal keine Zeit für Alpträume bleibt. Dass es eine Form der Erschöpfung gibt, in der das Unterbewusstsein das Kommando übernimmt. Wenn die Fingerbeugen vor Kälte und Anstrengung aufplatzen und einem das nasse Ölzeug Nacken und Handgelenke aufscheuert. Es ist nun 67 Jahre her, aber ich erinnere mich daran, als sei alles gestern passiert. Mein Vater, selbst Kapitän, hatte mich als Schiffsjungen auf der 99 Meter langen Viermastbark „Priwall“ untergebracht. Am 16. Mai 1939 liefen wir in Hamburg aus, mit Koks, Kali und Stückgut an Bord.

An die Routine an Deck gewöhnte ich mich rasch. Ich weiß noch, wie ich zum ersten Mal in der Takelage der 56 Meter hohen Masten stand. Diese Weite, diese unendliche Tiefe, in der das Schiff unter den Füßen so klein und schmal erscheint. Aber um es klar zu sagen: Mit romantischen Vorstellungen, die eine Großseglerparade während eines Hafengeburtstags auslösen kann, hatte unser Alltag nichts zu tun. Eher mit heute kaum denkbaren Arbeitsbelastungen. Wir Jungen, ganz unten in der Bordhierarchie, wurden nicht selten von älteren Matrosen gepiesackt, vor allem während der Nachtwachen im Passatwind. Wir rächten uns, indem wir einen der Quälgeister, der während einer lauen Nacht an Deck schlief, an eine Reservespiere fesselten und in der Takelage baumeln ließen.

Einmal gelang es uns, einen großen Hai zu fangen, der die „Priwall“ und den Köder aus Salzfleisch stundenlang verfolgt hatte. Was in den nächsten Tagen half, die Mahlzeiten aus Hülsenfrüchten, Salzgemüse und Salzfleisch – unser Proviant schmeckte, als habe er bereits mehrfach den Äquator überquert – zumindest ein wenig zu verbessern. Hunger spürten wir eigentlich immer.

Schon auf der Ausfahrt Richtung Kap Hoorn hatte die „Priwall“ einiges erlebt: Nebel im Ärmelkanal, eine unendlich scheinende Flaute in der Schwüle des windstillen Gürtels. Als wir begannen, die leichten Passatsegel gegen Schwerwettersegel zu wechseln, wusste jeder an Bord, dass uns nun die stürmischen Breitengrade bevorstanden, die berüchtigten „Roaring Forties“, das Vorspiel zur Kap-Hoorn-Region. An Deck und über der Verschanzung wurden zur zusätzlichen Sicherung Taue und Netze gespannt, die im Bordjargon „Leichennetze“ hießen.

Mitte Juli überquerten wir den 50. Breitengrad. Aus dem Ölzeug kamen wir nun nicht mehr heraus. Heftige Stürme setzten uns zu. Einer nach dem anderen, es nahm kein Ende. Unser Kapitän sagte, dass Gott die Region im Zorn erschaffen habe, und das traf es genau. Wir erlebten Windstärken, die den Männern auf den Rahen buchstäblich den Atem nahmen, und Seen, die das Schiff komplett überschwemmten.


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mare No. 57

No. 57August / September 2006

Aufgezeichnet von Stefan Krücken Foto: Achim Multhaupt

Achim Multhaupt wurde 1967 in Dortmund geboren. Er studierte Fotodesign an der dortigen Fachhochschule. Seine Schwerpunkte sind Porträtfotografie und Bildjournalismus, er arbeitet für nationale und internationale Magazine. Er lebt in Hamburg.

Gemeinsam mit Stefan Krücken hat er das Buch Orkanfahrt. 25 Kapitäne erzählen ihre besten Geschichten im Ankerherz Verlag veröffentlicht, die ursprünglich in der Rubrik „Käpitäne“ in mare erschienen sind. Weitere Bücher folgten.

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Vita Achim Multhaupt wurde 1967 in Dortmund geboren. Er studierte Fotodesign an der dortigen Fachhochschule. Seine Schwerpunkte sind Porträtfotografie und Bildjournalismus, er arbeitet für nationale und internationale Magazine. Er lebt in Hamburg.

Gemeinsam mit Stefan Krücken hat er das Buch Orkanfahrt. 25 Kapitäne erzählen ihre besten Geschichten im Ankerherz Verlag veröffentlicht, die ursprünglich in der Rubrik „Käpitäne“ in mare erschienen sind. Weitere Bücher folgten.
Person Aufgezeichnet von Stefan Krücken Foto: Achim Multhaupt
Vita Achim Multhaupt wurde 1967 in Dortmund geboren. Er studierte Fotodesign an der dortigen Fachhochschule. Seine Schwerpunkte sind Porträtfotografie und Bildjournalismus, er arbeitet für nationale und internationale Magazine. Er lebt in Hamburg.

Gemeinsam mit Stefan Krücken hat er das Buch Orkanfahrt. 25 Kapitäne erzählen ihre besten Geschichten im Ankerherz Verlag veröffentlicht, die ursprünglich in der Rubrik „Käpitäne“ in mare erschienen sind. Weitere Bücher folgten.
Person Aufgezeichnet von Stefan Krücken Foto: Achim Multhaupt