Hammer, Sichel, Badetuch

Das Meer als Zufluchtsort und Traumziel, der Strand als Idyll und Sinnbild von Freiheit – wie verhält es sich damit in dem autoritären Staat? Ein mare-Redakteur begab sich heimlich auf die Suche nach Refugien hinter dem Todesstreifen

Wenn Du nach Nordkorea reist, wird nichts so sein, wie du es von anderen Reisen kennst. Du willst alleine spazieren gehen? Verboten. Du willst in eine Bar? Gibt es nicht. Du willst mit einem Einheimischen sprechen? Keine Chance. Du liegst abends in deinem verwanzten Hotelzimmer und fühlst dich einsam. Warum also nach Nordkorea fahren? Weil du neugierig bist. Du willst sie sehen, die Menschen dort, wie sie leben, so abgeschottet vom Rest der Welt, ohne Handys, ohne Internet, ohne freie Medien. Unterdrückt von Diktator Kim Jong Il und seinem autoritären Staatsapparat.

Du hörst von Arbeitslagern, von Folter und vom Geheimdienst, der über die Menschen wacht. Und doch bist du dir sicher, dass es sie gibt, die kleinen Refugien, Zufluchtsstätten, wo sich die Bewohner der Kontrolle des Staates entziehen und so etwas wie Glück empfinden. Ich stelle mir vor, dieses Glück am Meer zu finden. Hier sind die Grenzen verwässert, unsichtbar, hier hört das Müssen auf, und das Wollen beginnt. Ein Ort der Sehnsucht. Ich male mir einen Badeort aus, mit schönem Strand, Menschen, die vergnügt im Meer schwimmen und in der Sonne dösen. In meiner Fantasie gibt es Straßencafés, schlendernde Pärchen, lachende Kinder, Bikinimädchen, Beachvolleyball, Sandburgen, Luftmatratzen. Ich frage mich: Tragen Nordkoreaner Flip-Flops? Benutzen sie Sonnencreme? Lieben sie Softeis? Badeurlaub in Nordkorea, geht das? Oder geht das nicht? Ich will es wissen. Doch diese Reise soll keine journalistische Reise sein. Ich will nicht als Reporter auftreten und offizielle Interviews mit Kims Marionetten führen. Ich will auch nicht verdeckt recherchieren, um schlimme Machenschaften aufzudecken. Nein, ich führe ein privates Experiment durch. Ich mache Ferien in Kims Reich, eine Woche lang.

Der Zug nach Pjöngjang rattert durch das nächtliche China. In der Dunkelheit meines Abteils erkenne ich zwei schlafende Gestalten. Es stinkt nach Knoblauch und kaltem Zigarettenrauch. Die Klimaanlage ist defekt, und das Fenster lässt sich nicht öffnen. Trotzdem schlafe ich gut, weil ich so erschöpft bin vom langen Flug. Ich wache erst auf, als der Schaffner lautstark ruft: „Dandong, Passport!“ Dandong, das ist die letzte Stadt auf chinesischem Boden. Sie wirbt mit dem Slogan „Schönste Grenzstadt Chinas“. Die beiden Männer, mit denen ich letzte Nacht die Kabine geteilt habe, sind nicht mehr da. Jetzt bin ich allein.

Von Dandong geht es über den Jalu-Fluss, der die Grenze zwischen China und Nordkorea markiert. Wir passieren ein heruntergekommenes Fabrikgelände und Soldaten mit Maschinengewehren. Es sind nur wenige Minuten bis zum Grenzbahnhof Sinuiju. Der Zug hält. Mein Atem erscheint mir plötzlich trügerisch laut. Meine Handflächen sind feucht. Ich habe Angst.

Was ist, wenn die Grenzer mir nicht glauben, dass ich einfach nur einen Badeurlaub will? Ich denke an die beiden US-Journalistinnen, die vergangenes Jahr geschnappt wurden. Zwölf Jahre Arbeitslager haben sie bekommen. Und wer weiß, was passiert wäre, wenn Bill Clinton sie nicht rausgeholt hätte?

Etwa zehn nordkoreanische Grenzbeamte steigen ein. Sie tun streng und sehen auch so aus: Sie tragen Uniformen und Waffen, aber die Wörter „Germany“ und „Tourist“ scheinen eine positive Wirkung auf sie zu haben. Manche lächeln sogar, als sie erfahren, woher ich komme. Ich fülle mehrere Formulare aus und gebe meinen Pass ab. Jemand misst meine Temperatur. Ein anderer tastet mit einem Metalldetektor meinen Körper ab. Ein Dritter durchsucht mein Gepäck, blättert in meinen Büchern, Seite für Seite. Und er schaut sich jedes einzelne Foto an, das sich in meiner Digitalkamera befindet.

Drei Stunden Wartezeit. Drei quälende Stunden, in denen ich fest damit rechne, entlarvt zu werden. Werden sie mich nach Hause schicken? Oder gar festnehmen? Im Visumsformular habe ich zwar als Beruf Musiker angegeben. Aber einmal googeln würde reichen, und sie wüssten, dass ich Journalist bin. Dann, endlich, wird mir kommentarlos mein Pass überreicht, darin der Einreisestempel. Ein Pfiff, ein Ruck, und der Zug setzt sich in Bewegung. Ich bin drin. Ich bin in Nordkorea. Ich fühle mich erleichtert und auch ein bisschen heldenhaft.

Der Zug rollt vorbei an Mais- und Reisfeldern, darum herum erheben sich grün behaarte Hügel. Es ist ein schöner Sommertag. Nach ein paar Stunden verkündet der Schaffner: „Pjöngjang!“ Der Zug taumelt in den Bahnhof und bleibt stehen. Ich trete auf den Bahnsteig. Fahrgäste quellen aus den Waggons. Kisten mit Lebensmitteln werden entladen. Plötzlich tauchen zwei Männer auf, die zielstrebig auf mich zusteuern. Ein älterer, hagerer Typ und ein jüngerer mit Bauchansatz. „Tourist aus Deutschland?“ Beide sprechen Deutsch. „Ja.“ „Kommen Sie mit.“


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 78. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 78

No. 78Februar / März 2010

Von Jan Keith

Eigentlich sollte mare-Redakteur Jan Keith, Jahrgang 1971, bei seiner Nordkoreareise von einem Fotografen begleitet werden. Doch dieser wurde nicht ins Land gelassen. Also knipste Keith selbst.

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Vita Eigentlich sollte mare-Redakteur Jan Keith, Jahrgang 1971, bei seiner Nordkoreareise von einem Fotografen begleitet werden. Doch dieser wurde nicht ins Land gelassen. Also knipste Keith selbst.
Person Von Jan Keith
Vita Eigentlich sollte mare-Redakteur Jan Keith, Jahrgang 1971, bei seiner Nordkoreareise von einem Fotografen begleitet werden. Doch dieser wurde nicht ins Land gelassen. Also knipste Keith selbst.
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