Hägars Lieblingsspeise

Ein Küstenschaf ist der Star in einem norwegischen Restaurant

Für deutsche Ohren ist der Name des Tieres zunächst etwas irreführend: Villsau. Finn Lothe, der Mann mit der ungestümen Haartracht, die ihm eine verstörende Ähnlichkeit mit dem berühmten Sänger einer deutschen Punkband verleiht, spricht das Wort mit Nachdruck zum wiederholten Mal in den Wind, der hier an der Westküste Norwegens über die Wiesen pfeift. „Sau“ ist norwegisch und heißt Schaf, „Villsau“ heißt wörtlich übersetzt „wildes Schaf“.

Geschätzte 250 davon grasen in Sichtweite auf dem zerklüfteten, steil zum Meer abfallenden Land der Insel Karmøy. Die Tiere gehören dem Koch und Restaurantbesitzer Lothe, er ist der einzige Wirt in Norwegens Südwesten, der eine eigene Villsauherde hat. Im Hintergrund: dunkelblaue Nordsee, ankernde Öltanker, auf der Landseite fängt eine steingraue Kirche den Blick, davor wandelt eine Frau im rostrot wallenden Samtgewand. Finn Lothe lacht, seine Stimme überschlägt sich ein wenig vor Vergnügen: „Ja, es ist halt auch einfach eine gute Geschichte: die Schafe, die Wikinger, die Kirche, alles an diesem Ort. Die Gäste hören so etwas gerne.“ Die Öltanker mag er mit Absicht unerwähnt lassen in der Aufzählung des Landestypischen, das sich hier vereint. Zugegebenermaßen erzählt sich die Geschichte ohne sie auch besser.

Villsau ist eine besondere Spezies, mehr als 1000 Jahre alt, bevorzugte Wikingerspeise soll sie gewesen sein, wohl auch, weil Mensch und Tier sich einen Lebensraum teilten – die Küste. Ein paar hundert Meter von Finn Lothes Schafherde entfernt soll Wikingerkönig Harald Schönhaar in Avaldsnes 872 v. Chr. den ersten norwegischen Königssitz begründet haben. Håkon IV. Håkonsson ließ 1250 die Kirche dort erbauen. Ein Dokumentationszentrum vor Ort liefert heute das Hintergrundwissen dazu – und die Statisten in Wikingerkleidung, die Besucher über das Gelände führen.

Die Tiere wiederum leben dort im Westen seit je in der freien Wildbahn, vergleichsweise kleine Schafe mit großen, runden Hörnern, ihr Fell in unterschiedlichen Farben, Schwarz, Weiß, Braun. In den 1950er Jahren drohten sie fast auszusterben, da andere Arten sich besser landwirtschaftlich nutzen ließen, mehr Fleisch brachten und mehr Wolle.

Finn Lothe hat ihren Geschmack als einer der ersten ambitionierten Köche des Landes wiederentdeckt. Denn die wahre Besonderheit des Villsaufleischs liefert nicht die Geschichte, sondern die Natur, die die Schafe umgibt. Seine Selbstversorgerherde, so der Koch, fresse, was sie finde; das sei, so nah am Meeresrand, eben nicht nur Wiesen-, sondern auch Seegras und außerdem alles, was der Wind an Land trage. Er glaube, dass die Tiere auch kleine Krebse oder Muscheln nicht verschmähen. Und das wiederum sorge für ein unvergleichliches Aroma, eine Ahnung von Salzwasser und Meeresbrise im zarten Lamm, das er in seinem Restaurant „Lothes Mat & Vinhus“ im nahe gelegenen Haugesund serviert. Als besondere Spezialität, denn natürlich kocht ein Chef in einem Land mit etwa 25 000 Kilometer Küstenlinie vorwiegend Fisch. Und das Lammfleisch ist obendrein nicht immer verfügbar. Die Tiere machten schließlich, was sie wollen, dort auf der Insel; professionell züchten und halten ließen sie sich jedenfalls nicht.

Für ein Mindestmaß an Aufsicht sorgt Finn Lothes Schwager Erland, der auf Karmøy einen Bauernhof hat. Von ihm hat der Koch seinerzeit die Herde erworben. „Erst habe ich die Schafe kennengelernt. Und dann meine Frau.“ Aber, so beteuert er, das eine habe mit dem anderen nichts zu tun, die Frau wollte er in jedem Fall heiraten. „Die Schafe waren der Bonus.“

Während Lothe in der Küche steht, hat Erland mit den wilden Schafen oft alle Hände voll zu tun. Einmal musste er ein Schaf vom Baum pflücken, der Wind hatte es dorthin geweht. Und den kleinen Friedhof neben der Kirche hat er mit einem zwei Meter hohen Maschendrahtzaun gesichert, weil die Schafe über die alte Steinmauer sprangen und die Blumen von den Beeten fraßen. Finn Lothe will sich lieber nicht vorstellen, was das auf Dauer für einen Geschmack im Fleisch ergeben hätte.

Karree vom Lamm mit Zwiebelpüree und Tomaten
Zutaten (für vier Personen)
800 g Lammkarree, 8 rote Zwiebeln, 4 Zitronen, 8 EL Zucker, 1,5 kg Cherrytomaten; Fond: 650 g Lammfleischstücke, 1 Knoblauchzwiebel, 3 EL Öl, 1 TL Salz, 3 EL Butter, 1,5 l Wasser.


Zubereitung
Karos in die Fettseite des Karrees schneiden, scharf anbraten. Bei 150 Grad im Ofen rosa garen. Zwiebeln mit Zitronensaft, Zucker, Salz bei niedriger Wärme weichkochen, pürieren. Boden einer Auflaufform mit Meersalz bedecken, Tomaten darin bei 80 Grad im Ofen garen. Lammstücke in Öl anbraten, mit Knoblauch, Zwiebeln, Butter schmoren, Fett abschöpfen, Fleisch mit Wasser bedecken,
1 1/2 Stunden auf ein Viertel einkochen lassen, immer wieder abschöpfen.

Lothes Mat & Vinhus
Skippergatan 4, 5501 Haugesund;
Tel. +47 52 712201; Mo–Do 18–22,
Fr, Sa bis 23 Uhr; www.lothesmat.no

mare No. 86

No. 86Juni / Juli 2011

Von Martina Wimmer und Martin Müller

Martina Wimmer, geboren 1965 in Oberbayern, wohnhaft in Berlin. War Redakteurin bei ME/Sounds, freie Journalistin in New York und ist seit 1995 Mitglied des Journalistenbüros Schön & Gut. Schreibt als freie Autorin u.a. für Geo Saison, Greenpeace Magazin, SZ-Magazin und Merian und veröffentlichte im März 2008 ihr drittes Buch.

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Vita Martina Wimmer, geboren 1965 in Oberbayern, wohnhaft in Berlin. War Redakteurin bei ME/Sounds, freie Journalistin in New York und ist seit 1995 Mitglied des Journalistenbüros Schön & Gut. Schreibt als freie Autorin u.a. für Geo Saison, Greenpeace Magazin, SZ-Magazin und Merian und veröffentlichte im März 2008 ihr drittes Buch.
Person Von Martina Wimmer und Martin Müller
Vita Martina Wimmer, geboren 1965 in Oberbayern, wohnhaft in Berlin. War Redakteurin bei ME/Sounds, freie Journalistin in New York und ist seit 1995 Mitglied des Journalistenbüros Schön & Gut. Schreibt als freie Autorin u.a. für Geo Saison, Greenpeace Magazin, SZ-Magazin und Merian und veröffentlichte im März 2008 ihr drittes Buch.
Person Von Martina Wimmer und Martin Müller