Hägars Haplogruppe

Ein DNA-Test aus der Schweiz will zeigen, wie viel Wikingerblut jemand in sich trägt. Ein Selbstversuch

Als ich neulich zum Thema Tinnitusforschung recherchieren sollte und lieber irgendwo weit draußen auf dem Atlantik gewesen wäre, stolperte ich im Internet über eine Anzeige. „Sind Sie ein Wikinger?“, lockt die Schweizer Gentestfirma iGenea auf ihrer Website. Modernste Analyseverfahren könnten helfen, dieses Rätsel zu lösen. „Durch einen DNA-Test können wir Ihr genetisches Profil unter die Lupe nehmen und Ihre biologischen Wurzeln entdecken.“ Ab 179 Euro. Natürlich war ich skeptisch. Doch auch Humangenetiker, die nicht bei Unternehmen wie iGenea unter Vertrag stehen, versichern, dass jeder Mensch in seinem Erbgut, der DNA, genetische Spuren seiner Vorfahren trage, die bis in längst vergangene Epochen der Menschheitsgeschichte zurückreichen.

Anhand von Blutanalysen aus dem Nordwesten Englands habe man das „Wikingerblut“ isolieren können, informiert die Website von iGenea. Die Probanden stammten aus „Ortschaften, die noch heute als Wikingersiedlungen gelten“. Man habe das britische Blut dann mit mehr als 2000 Speichelproben aus Skandinavien verglichen und erstaunliche Parallelen in der DNA festgestellt.

Ich beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Denn: Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart meistern, weiß der Historiker. Und ärgerlicherweise weiß ich ausgerechnet über die Herkunft meiner eigenen Familie fast nichts. Vor Generationen soll in Österreich ein Ururgroßonkel von mir gelebt haben. Er war adlig, erfuhr ich auf einer Familienfeier, steinreich und verspielte sein gesamtes Vermögen. Wir hatten Vorfahren, die in Tiflis Klaviere bauten, andere errichteten in Afrika Telegrafenmasten. Vor dem Jahr 1850 jedoch ist die Heinsche Familiengeschichte ein einziger blinder Fleck. Immerhin sind unter uns einige Wesenszüge verbreitet: Die meisten meiner Verwandten sind ruhelose Menschen wie ich. Ständig packt uns das Fernweh, die Sehnsucht nach der Weite des Meeres.

Um herauszufinden, ob in meinen Adern tatsächlich Wikingerblut fließt, muss ich lediglich eine Speichelprobe einschicken. Die nötigen Utensilien hat mir iGenea per Post zukommen lassen. Nun gleite ich mit einem Wattestäbchen an der Innenseite meiner Wange entlang. Sanft, aber druckvoll, damit genügend Zellmaterial hängen bleibt, so der Beipackzettel. Es ist ein seltsames Gefühl, denn bisher kannte ich Speichelproben nur aus dem „Tatort“ im Fernsehen. Schließlich lege ich die Probe in eine Plastikdose, verpacke sie luftdicht und schicke sie nach Zürich. Dann überweise ich die Kosten für die Analyse der „väterlichen Linie“ meines Erbguts: 299 Euro. „Ein gutes Einstiegsangebot!“, versicherte iGenea-Geschäftsführer Roman C. Scholz am Telefon. Auf die weibliche Linie könne ich vorerst verzichten. „Denn bei Wikingern denkt man ja automatisch eher an Männer, oder?“

Schon seit Wochen keine Antwort. Ich werde immer ungeduldiger. Ob mich die Zürcher Genforscher vergessen haben? Oder wird in der Schweiz einfach sehr gewissenhaft gearbeitet? Schließlich kommt doch Post. Aus einem großen, dicken Kuvert ziehe ich eine dunkelbraune Mappe, auf der in Gold die Aufschrift „iGenea“ prangt. Neugierig öffne ich den Umschlag. Die Farbkopie einer handgemalten Weltkarte liegt vor mir. In vielen Farben sind darauf Völkerwanderungen eingezeichnet, fast 20 unterschiedliche Routen. Scheint kein leichtes Unterfangen zu sein, die Urahnenforschung.

Auf einem weiteren Blatt steht mein persönliches Testresultat: „Y-DNA: väterliche Linie“, lese ich, „Haplogruppe: R1a1, Urvolk: Germanen oder Slawen.“ Verwirrt starre ich die Urkunde an. Bin ich also doch kein Wikinger?

„Y-DNA“ leuchtet mir noch ein. Denn ich habe ja ausschließlich meine väterliche Verwandtschaftslinie untersuchen lassen. Und um die „Haplogruppen des väterlichen Familienzweigs“ zu erforschen, analysieren Genetiker das Y-Chromosom in der DNA. Für die mütterliche Erblinie hingegen ist die sogenannte mitochondriale DNA ausschlaggebend, und wenn ich die ebenfalls hätte „aussagekräftig analysieren“ lassen, wäre ich nicht unter 399 Euro davongekommen. Doch was sind diese ominösen Haplogruppen überhaupt?

Die beigelegte Legende hilft weiter. Eine Haplogruppe sei eine Art „dicker Ast des Stammbaums des Homo sapiens“, Haplogruppen seien also gleichsam „Ethnien der Urzeit“. Sie entstehen, wenn sich Populationen einer Art über längere Zeit isoliert voneinander entwickeln. Hat man die Haplogruppe, zu der eine Person gehört, bestimmt, so lassen sich über die historischen Wanderungen dieser Gruppe Rückschlüsse auf das „Urvolk“ ziehen, von dem sie abstammt. So weit, so gut.

Meine Haplogruppe – die ominöse R1a1 – scheint, nun ja, hundsgewöhnlich zu sein. „Über 40 Prozent der Männer, die im Gebiet von Tschechien über die Steppe Sibiriens bis nach Zentralasien wohnen, gehören dazu“, steht im Beitext. Und in Indien jeder dritte Hindi sprechende Mann ebenfalls. Ganz schön unübersichtlich.

Was nun aber das Wikingerblut angeht, scheine ich schlechte Karten zu haben. In grauer Vorzeit lebten die Angehörigen der Haplogruppe R1a1 im südlichen Asien, vermuten viele Forscher, im Gebiet des heutigen Indien und Pakistan.

Bleibt das „Urvolk“. Zu diesem Volk sollen meine Ahnen im Zeitraum zwischen 900 vor und 900 nach Christus gehört haben. Dank Erbgutanalysen aus Knochenfunden konnten Wissenschaftler unter anderem DNA-Profile der Kelten, Perser, Germanen, Wandalen, Wikinger, Skythen, Araber, Illyrer erstellen, so die Experten von iGenea. Je nach genetischem Profil ist eine eindeutige Zuteilung aber offensichtlich nicht möglich. Zum Beispiel bei mir: „Germanen oder Slawen“. Ja, was denn nun?!

iGenea lässt mich nicht im Stich. Dank der DNA-Genealogie könne ich in einer Datenbank mit mehr als 330 000 Profilen „genetische Vettern“ identifizieren, erklärt mir Geschäftsführer Scholz am Telefon, also Personen, die mit mir gemeinsame Vorfahren teilen.


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mare No. 88

No. 88Oktober / November 2011

Von Till Hein und Dieter Jüdt

Bei der Genforschung steckt der Teufel im Detail, erfuhr Reporter Till Hein bei dieser Recherche. Bereits das Erbgut von Schimpanse und Homo sapiens – zu letzterer Art gehörten bekanntlich auch die Wikinger – stimmt nämlich zu 98,7 Prozent überein.

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Vita Bei der Genforschung steckt der Teufel im Detail, erfuhr Reporter Till Hein bei dieser Recherche. Bereits das Erbgut von Schimpanse und Homo sapiens – zu letzterer Art gehörten bekanntlich auch die Wikinger – stimmt nämlich zu 98,7 Prozent überein.
Person Von Till Hein und Dieter Jüdt
Vita Bei der Genforschung steckt der Teufel im Detail, erfuhr Reporter Till Hein bei dieser Recherche. Bereits das Erbgut von Schimpanse und Homo sapiens – zu letzterer Art gehörten bekanntlich auch die Wikinger – stimmt nämlich zu 98,7 Prozent überein.
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