Guter Mondfisch, du gehst so stille

Ansichten über ein außergewöhnliches Wesen

Was hat der Mondfisch mit dem Mond gemein? Gar nichts? Sehr viel? Die Ansicht, dass er einst, nach Verdampfung der Mondmeere, gen Erde auswanderte, kann man jedenfalls nicht ernst nehmen. Auch dass er dem Mann im Mond aus dem Aquarium hüpfte, ist Legende. Bleiben die bislang nicht widerlegten Theorien über eine der außergewöhnlichsten Kreaturen.

Vielleicht, dass sein abstruses Äußeres einen fantasievollen Seemann zu derartiger Anrede inspiriert hatte. Der Mondfisch sieht aus wie ein in der Mitte durchgehackter Wal, dem jemand Haiflossen angeklebt hat. Was so ungeschlacht daherschwimmt, so augenscheinlich schwanz- los, schuppenlos, schwimmblasenlos – das kugelrunde, Quallen oder kleine Tintenfische schlürfende Maul zudem stets geöffnet, als staunte er permanent die Welt an – wer so daherkommt, der kann nur von sonstwo stammen. Vom Mond, etwa.

Allerdings wankt auch diese Theorie, denn anderswo heißt der Mondfisch anders. Die Schweden sehen in ihm einen Klumpfisk, im Angelsächsischen gar nennt man ihn Sunfish – wegen seiner angeblichen Eigenart, mit den Wellen driftend, Sonnenbäder zu nehmen. Das jedoch glaubt man in britischen Breiten auch vom Riesenhai, weshalb jener dort ebenfalls Sunfish heißt, die marine Sternenkunde ist vertrackt. In lateinischen Gewässern übrigens sichtet man den Mondfisch als das, was er augenscheinlich ist: als schwimmenden „Mühlstein“ oder Mola Mola, so leicht kann Etymologie sein.

Vielleicht könnte es ja diese Eigenart sein, die den Mondfisch doch noch in die Nähe des Erdbegleiters rückt: dass nämlich jener leuchtet wie dieser. Auch nicht aus eigener Kraft, sondern erhellt vom Glanz tierischen Gewürms – Parasiten oder Mikroorganismen, die sich der Mondfisch anverleibt; die sich an seine Haut kleben und ihn zum Leuchten bringen, des Nachts. Da sie ihn entweder ganz oder nur zu Teilen erstrahlen lassen, kann man, irgendwie, sogar von einem Voll- oder Halbmondfisch sprechen. Doch egal in welcher Größe er aufscheint: Der Anblick eines mitten im Ozean aufgehenden Meermonds soll zum Ergreifendsten gehören, von dem wetterfeste Seemannsherzen schwärmen.

Andererseits besitzt er auch seine dunklen Seiten, der Mondfisch. Er ist nur selten zu finden, entzieht sich eingehender wissenschaftlicher Beobachtung, indem er fernab der Küsten treibt, gebettet zumeist in Algenteppichen, ein Einzelgänger wie der lunare Vagabund. Und der einfach abtaucht zur Beutejagd bis in 1000 Meter, bis in die Tiefsee also, in die lichtlose Rückseite der Erde.

So weiß man noch immer recht wenig über ihn, selbst wenn einige Mondfische seit längerem mit Messsonden bestückt sind (und von denen eine tatsächlich „Apollo“ heißt). Sein Wander- und Sozialverhalten ist kaum erforscht, seine Laichgebiete sind noch nicht entdeckt. Doch was er preisgibt, lässt an ein überirdisches Wesen glauben.

15 Zentimeter misst seine Haut in der Vertikalen – ein dickeres „Fell“ hat kein anderes Tier auf Erden. Mehr als 300 Millionen Eier trägt ein einziges weibliches Exemplar mit sich, welche es in einem Laichvorgang gleichzeitig abgibt. Die Larven sind kaum größer als zwei bis drei Millimeter, im Vergleich zur schieren Größe des Fisches – er bringt es auf gut drei Meter von der Rücken- zur Bauchflosse und auf rund zweieinhalb Meter vom Maul zum After –, im Vergleich dazu also sind die Larven die kleinsten im gesamten Tierreich. Das 60-Millionenfache ihres Körpergewichts werden sie bis zum Erwachsenenalter zugelegt haben, dann nämlich wiegt ein Mondfisch runde zwei Tonnen und wird der größte Knochenfisch der Welt sein.

Stichwort Alter, auch da bewegt sich der Mondfisch offenbar außerhalb irdischer (Lebens-)Bahnen: 120 Jahre kann der sanfte Gigant mühelos erreichen. Wahrscheinlich wirkt ein monströses Äußeres zusammen mit einer friedfertigen Seele sowieso lebensverlängernd, man kennt das von den Riesenschildköten oder den Mammutbäumen.

Aber auch natürliche Feinde hat der Mondfisch keine, obwohl er sich dennoch zu wehren wüsste – er ist in der Lage, ein tödliches Gift zu produzieren, das Tetrodotoxin, genau jenes, das auch die Grundel Gobius criniger oder der Kugelfisch Fugu gelegentlich verspritzen. Letzteren allerdings rettet selbst besagtes Gift nicht vor den Schlünden der Gourmets, vor allem in Japan ist Fugu als Gaumen- wie als Nervenkitzel berühmt – man weiß nie, ob man seinen Genuss überlebt. Sicher würde auch dem Mondfisch solch Schicksal zuteil, indes hat er die stärkste Waffe zur Verfügung, die ein Geschöpf im Überlebenskampf aufbieten kann: Er schmeckt dem Menschen nicht.

Möglicherweise bewahrt ihn aber selbst das nicht mehr vor artumfassender Todesgefahr. Aus seinen kalifornischen Gründen ist seit einiger Zeit bekannt, dass die Zahl der Mondfische dort in den letzten Jahrzehnten drastisch gesunken ist. Die Treibnetzfischrei großer Flotten, die immer zahlreicher werdenden Schiffsschrauben entlang seiner Wasserstraßen und die allgemeine Verschmutzung der Meere – der Mondfisch ist in sämtlichen wärmeren Ozeangegenden zu Hause – gelten als die Ursachen. Auch einen Mondfisch drücken eben die erdenschweren Probleme. Oder anders gesagt: Selbst ein Mondfisch schwebt nicht über allen Dingen.

mare No. 35

No. 35Dezember 2002 / Januar 2003

Von Maik Brandenburg

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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