Gottes erster Diplomat

Er widersetzte sich den Päpsten wie kein anderer: Friedrich II., Herrscher des Heiligen Römischen Reiches, ließ gegen ihren Willen einen Kreuzzug gegen den Islam in einem Frieden enden

Es ist der frühe Morgen des 3. Mai 1241. Über dem Meer vor Giglio liegt Dunst. Nur schemenhaft hebt sich der Umriss der Felseninsel zwischen Korsika und dem italienischen Festland aus dem Meer. Die feuchte Luft verbirgt eine Flotte von mehr als 40 Galeeren, die auf ihren Gegner lauert. Es sind schnelle, wendige Schiffe, die von je 100 Ruderern angetrieben werden und eine Geschwindigkeit von zwölf Knoten erreichen. Etliche tragen das Wappen Pisas, die meisten die Flaggen des Königreichs Sizilien und des staufischen Kaisers. Es ist der Anbruch eines Samstags, der ein blutiger Tag wird, ein schwarzer in den Annalen der Seemacht Genua.

Es ist ein Tag, der zu einem neuen Höhepunkt in einem Krieg wird, der seit 15 Jahren andauert. Genua, die mächtige Handelsstadt am ligurischen Meer, spielt darin nur eine Nebenrolle. Die wahren Widersacher sind die Repräsentanten der beiden universalen Mächte Europas, der weltlichen und der kirchlichen: die Träger von Kaiserkrone und Tiara, die höchste weltliche und die höchste kirchliche Autorität, Kaiser und Papst. Und darum geht ihr Streit: Welcher von beiden steht höher?

Heerführer der einen Partei ist der Vatikan, vertreten durch seine Päpste Honorius III. und dessen Nachfolger Gregor IX. Beide – und nach ihnen Innozenz IV. – sind Ratzinger des Mittelalters, machtbewusste theologische Hardliner und unnachgiebig in ihrem Anspruch, als Stellvertreter Gottes die obersten Gebieter aller Christen zu sein – „geringer als Gott, größer als der Mensch“. Dieser allerhöchsten Autorität, so die Forderung der Päpste, haben sich auch Fürsten, Könige und sogar Kaiser zu unterwerfen. „Wer salbt, ist größer als der, der gesalbt wird.“

Auf der anderen Seite steht ein Mann von 46 Jahren, der ein Reich regiert, das von Sizilien bis zur Nordsee reicht, und der von den Zeitgenossen ehrfürchtig „Stupor mundi“ genannt wird, das „Staunen der Welt“. Friedrich II. aus dem Geschlecht der Staufer, ein Enkel Barbarossas, wurde am 26. Dezember 1194 im italienischen Städtchen Jesi geboren; von der Mutter hat er die sizilianische Königskrone und vom Vater die Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches geerbt. Doch beide sind früh gestorben; während der Kindheit haben sich diverse Vormunde um den Prinzen von Palermo und sein Erbe gekümmert und gestritten, während das Land immer mehr in Anarchie fiel.

Doch mit 14 Jahren wurde Friedrich für mündig erklärt, mit 15 schlug er eine Verschwörung auf Sizilien nieder und begann, sein Reich systematisch zurückzuerobern; mit 18 schloss er ein Bündnis mit Papst Innozenz III., besiegte Otto IV., seinen welfischen Gegenspieler, der ihm die deutsche Königskrone streitig machte, ließ sich in Frankfurt am Main zum König wählen und dann, 26 Jahre alt, im August 1220 im Petersdom von Papst Honorius III. zum Kaiser krönen. Im Gegenzug hatte er der Kirche wichtige Zugeständnisse gemacht und das Gelübde zu einem Kreuzzug abgelegt.

Doch Friedrich schiebt die Erfüllung seines Gelübdes auf. Er braucht Zeit, um sein Reich zu reformieren und seine Macht zu stabilisieren. Er besiegt die aufständischen Sarazenen auf Sizilien und siedelt sie um; er bricht die Macht aufrührerischer Fürsten; er verkündet einen allgemeinen Landfrieden, lässt alle Standesprivilegien prüfen, reorganisiert das Abgabensystem, besetzt die Verwaltungen mit fähigen Beamten und gründet in Neapel die erste kirchenunabhängige Universität, „damit alle, die hungrig und durstig nach der Gelehrsamkeit sind, im Königreich selbst den Ort finden, an dem ihre Begier gestillt werden kann“; er sichert seine Grenzen mit einem Netz neuer Kastelle und baut eine starke Flotte auf.

All das bringt den Papst unter Druck. Denn der ist nicht nur geistiger Oberhirte, sondern gleichzeitig Oberhaupt eines weltlichen Kirchenstaats, der sich von Ravenna bis Rom und vom Tyrrhenischen Meer bis zur Adria erstreckt, der die Toskana umfasst, Teile Umbriens und wichtige Städte wie Bologna, Ascona, Perugia, Spoleto und Orvieto. Der Papst regiert wie jeder andere Herrscher, er setzt die Gerichtsbarkeit ein, erhebt Steuern und bezahlt Soldaten. Und wie jeder andere Herrscher fürchtet er um die Verringerung oder gar den Verlust seines Herrschaftsbereichs, die durch mächtige Nachbarn drohen. Und einen solchen sieht er jetzt in dem jungen, tatkräftigen Staufer, dem er zutraut, sein Königreich im Süden Italiens mit dem Reichsitalien im Norden, dessen Krone er ebenfalls trägt, zu vereinigen.

Die Kurie sieht sich also in der Klemme. Und es ist mindestens so sehr die Sorge um das eigene Territorium wie die um das Heilige Land, die den Papst und seine Kardinäle veranlassen, immer dringlicher auf die Erfüllung von Friedrichs Kreuzfahrtgelübde zu drängen. Wer sich mit den Heiden in Palästina herumschlägt, so das Kalkül der Kleriker, kann dem Kirchenstaat in Italien nicht gefährlich werden.


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mare No. 95

No. 95Dezember 2012 / Januar 2013

Von Peter Sandmeyer

Peter Sandmeyer, Jahrgang 1944, hat bei seiner historischen Recherche viel gelernt über die Schnelligkeit und Schlagkraft mittelalterlicher Galeeren. Darauf will er in mare noch einmal zurückkommen.

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Vita Peter Sandmeyer, Jahrgang 1944, hat bei seiner historischen Recherche viel gelernt über die Schnelligkeit und Schlagkraft mittelalterlicher Galeeren. Darauf will er in mare noch einmal zurückkommen.
Person Von Peter Sandmeyer
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