Geisterfahrer

Im Terminal Altenwerder im Hamburger Hafen scheinen keine Menschenzu arbeiten. Grund dafür sind autonome Transporter für den Containerumschlag, die „Automated Guided Vehicles“

Die Motoren heulen auf. Langsam rollen die drei schweren Fahrzeuge mit ihren mannshohen Reifen aus der Parkposition. Es sind eigenartige Vehikel. Sie sind flach. Es gibt kein Fahrerhaus und niemanden, der sie lenkt. Und doch gleiten sie zielstrebig dahin, alle im selben Tempo, mit demselben tiefen Brummen, eine Kolonne von Geisterwagen. Andere Brummis kommen ihnen entgegen. Dutzende. Einmal sind zwei auf Kollisionskurs. Doch ehe es kracht, hält einer an. Er setzt den Blinker, lässt den anderen vorüberfahren und biegt ab.

Die brummenden Geisterwagen heißen AGVs, Automated Guided Vehicles. Ihr Revier ist das Containerterminal Altenwerder (CTA) im Hamburger Hafen. Legt ein Containerschiff an, kommen sie angeschwärmt wie ein Trupp Ameisen und nehmen die Stahlboxen auf ihren Rücken. Knapp zwei Millionen Container werden hier jährlich auf Lastwagen und Güterzüge verladen oder von Bahn und Lastwagen auf die Schiffe verfrachtet. Das CTA ging 2002 in Betrieb und ist bis heute eines der technisch ausgefeiltesten, denn der Containertransport läuft vollautomatisch ab. Herz des Systems ist eine Software namens Teams. Sie dirigiert die AGVs per Funk und steuert die Kräne, die im Blocklager Container stapeln.

Am Kai liegt die „Barmbek“. Sie ist gut in der Zeit; heute wird sie eine Stunde früher als geplant auslaufen können und Platz für andere Schiffe machen. Einige Container fehlen noch. Die letzten AGVs sausen flink ans Schiff. Nur im Laufschritt kann man mithalten. Die AGVs halten das Terminal in Schwung. 86 Stück gibt es. Wird es einmal eng, weil ein Frachter auf einen Schlag 6000 Container abliefert oder weil drei dicke Pötte gleichzeitig anlegen, schicken die Techniker im Leitstand einfach zusätzliche AGVs los. Dann wird es am Kai richtig voll, dann fahren die AGVs dicht an dicht zwischen Schiff und Block­lager hin und her.

 

 

Dass sie trotzdem nicht zusammenstoßen, dafür sorgt Teams. „In all den Jahren hatten wir noch keine Kollision“, sagt Boris Wulff, der am CTA für die technische Entwicklung und die AGVs zuständig ist. „Ehe es rumst, hält die Software das Fahrzeug an.“ Sollte einmal ein AGV mit einer Panne liegen bleiben, ziehen seine Kollegen auf dem Computerbildschirm mit wenigen Klicks eine Art virtuelle Bannmeile um das Fahrzeug. Die AGVs fahren dann automatisch um das Hindernis herum.

In den meisten anderen Containerterminals der Welt transportieren hochbeinige Van-Carrier die Container durch den Hafen, schlanke Portalhubwagen, die die Container unter ihrem Bauch tragen wie Spinnen ihre Eierpakete. Oben, in 13 Meter Höhe, sitzt der Fahrer. Über Funk geben ihm die Kollegen in ­ der Zentrale durch, welchen Container er vom Schiff abholen oder wo er ihn abstellen soll. Wie schnell das geht, hängt davon ab, wie geschickt der Fahrer den Van-Carrier bedient, wie schnell er fährt – oder auch, ob er ausgeschlafen ist. Am CTA aber verknüpft der Computer alle AGVs zu einer Choreografie. Teams berechnet automatisch den kürzesten Weg und ruft Fahrzeuge dahin, wo sie gerade gebraucht werden.

Vollautomatisch funktioniert auch das Blocklager in der Terminalmitte. Das Blocklager ist ein riesiger, 1400 Meter breiter Freiluftcontainerspeicher, der den größten Teil des Terminals ausfüllt. 26 Blöcke gibt es darin, jeder ist zehn Container breit und 37 Container lang. In den Blöcken stehen die Stahlkisten eng an eng, zu je vieren übereinandergestapelt. Und über jedem Block fahren auf Schienen zwei weit ausladende Kranbrücken hin und her, die die Container aufnehmen, absetzen und stapeln – die eine kleiner als die andere, damit sie unter der großen hindurchfahren kann. Das Blocklager wird aus beiden Richtungen befüllt: mit Containern, die AGVs vom Schiff herantransportieren, und auf der anderen Seite mit Containern, die von Lastwagen oder Güter­zügen herangeschafft werden, um auf Seereise zu gehen. Da keine Van-Carrier umherbrausen, die Platz zum Manövrieren brauchen, kann man die Container im Blocklager besonders dicht stapeln.

Rollt ein AGV herbei, zoomt sich eine Kamera in die Szene. Der Computer erkennt den Container, lenkt die Kranbrücke auf Position und fiert automatisch den großen Greifer ab, den tonnenschweren Spreader. Hängt der Container am Haken, fährt ihn die Brücke auf eine bestimmte Position im Blocklager. Die hängt davon ab, wann und an welcher Stelle der langen Kaimauer ein Schiff anlegen wird. Jene Container zum Beispiel, die in Kürze auf Reisen gehen, sollten möglichst weit oben auf einem Containerstapel liegen. Container wiederum, die für ein Schiff bestimmt sind, das am nördlichen Ende des Terminals festmacht, werden in die nördlichen Blöcke eingelagert. Andernfalls müssten die AGVs Umwege fahren.

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mare No. 116

No. 116Juni / Juli 2016

Von Tim Schröder und Mathias Bothor

Trotz aller Begeisterung für die Technik am CTA gab es für den Oldenburger Journalisten Tim Schröder, Jahrgang 1970, auch Wermutstropfen. Wo heute das Terminal liegt, stand einst das Elbdorf Altenwerder. Die Bewohner wurden umgesiedelt.

Mathias Bothor, geboren 1962, Fotograf in Berlin, liebt die Porträtfotografie. In einem menschenleeren Containerterminal zu fotografieren war für ihn daher eine ungewohnte, aber umso reizvollere Herausforderung.

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Vita Trotz aller Begeisterung für die Technik am CTA gab es für den Oldenburger Journalisten Tim Schröder, Jahrgang 1970, auch Wermutstropfen. Wo heute das Terminal liegt, stand einst das Elbdorf Altenwerder. Die Bewohner wurden umgesiedelt.

Mathias Bothor, geboren 1962, Fotograf in Berlin, liebt die Porträtfotografie. In einem menschenleeren Containerterminal zu fotografieren war für ihn daher eine ungewohnte, aber umso reizvollere Herausforderung.
Person Von Tim Schröder und Mathias Bothor
Vita Trotz aller Begeisterung für die Technik am CTA gab es für den Oldenburger Journalisten Tim Schröder, Jahrgang 1970, auch Wermutstropfen. Wo heute das Terminal liegt, stand einst das Elbdorf Altenwerder. Die Bewohner wurden umgesiedelt.

Mathias Bothor, geboren 1962, Fotograf in Berlin, liebt die Porträtfotografie. In einem menschenleeren Containerterminal zu fotografieren war für ihn daher eine ungewohnte, aber umso reizvollere Herausforderung.
Person Von Tim Schröder und Mathias Bothor